Montag, 06. Mai 2024

Archiv


Die Schwalben von Kabul

Yasmina Khadra, eigentlich der Name einer Frau...Dahinter verbirgt sich aber Mohammed Moulessehoul, Ex-Offizier der algerischen Armee. Yasmina Khadra sind die beiden Vornamen seiner Frau. Mohammed Moulessehouls Krimis über die Verstrickungen von Polit- und Finanzmafia mit dem islamistischen Terrorismus gefielen weder der algerischen Armee noch den Fundamentalisten. Als vor drei Jahren französische Medien sein Pseudonym lüfteten, verließ Yasmina Khadra Algerien und lebt seitdem in Südfrankreich.

Catherine Brabandere | 02.07.2003
    Ich habe ein Pseudonym benutzen müssen, nicht weil ich Angst vor den Fundamentalisten hatte. Ich habe ja unter meinem richtigen Namen angefangen zu schreiben. Langsam wurde ich auch in Algerien bekannt. Aber dann bekam ich in Frankreich einen kleinen Literaturpreis, und meine Vorgesetzten beim Militär wurden auf mich aufmerksam. Ich wurde beobachtet und hatte mit der Zensur zu kämpfen. Da wurde das Pseudonym nötig. Interessanter Weise habe ich bemerkt, dass ich dann besser schreiben konnte, weil ich heimlich arbeiten musste. Ein Schriftsteller schöpft aus der Kraft der inneren Freiheit. Ich möchte betonen, dass ich notgedrungen Soldat wurde. Mit neun Jahren wurde ich von meinem Vater auf die Militärakademie geschickt. In diesem Alter wusste ich nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Also habe ich mein Militärdasein hingenommen. Gehorsam gehörte zu meiner strengen Erziehung. Parallel dazu gab es so etwas wie den Schatten eines Schriftstellers, der mich weiter trieb. Ein wohltuender Schatten, der mit mir sprach und mir Mut gab. Er hat mich dazu gebracht, Bücher zu lesen, und das Leben, das mir als Kind gestohlen worden war, doch irgendwie nachzuholen. Deshalb wurde ich Schriftsteller: Ich wollte zurückgeben, was mir die Literatur gegeben hatte. Literatur ist für mich Großzügigkeit, Barmherzigkeit, egal ob man Christ oder Moslem ist.

    Anders als die anderen Romane von Yasmina Khadra spielt Die Schwalben von Kabul nicht in Algerien, sondern in Afghanistan zur Zeit der Taliban. Im Zentrum der Geschichte: zwei Ehepaare, die sich mit dem langsamen Abgleiten in die Barbarei auseinandersetzen.

    Da ist zunächst Atiq, der als Gefängniswärter Frauen bewacht, die hingerichtet werden sollen. Atiq weiß nicht, wie er sich seiner todkranken Ehefrau gegenüber verhalten soll. Freunde raten ihm immer wieder, sie zu verstoßen, da sie ihren ehelichen Pflichten nicht mehr nachkommen kann.

    Mohsen und Zunaira bilden das zweite, viel jüngere Paar. Sie waren Kinder, als die Sowjets 1979 in Afghanistan einmarschierten. Mohsen wollte Diplomat werden. Der Krieg und später die Diktatur verhinderten alles.

    Beide Paare sind gebrochen von dem dauernden Kriegszustand, der Armut und der Angst. Ein Zustand, den Yasmina Khadra seit dem algerischen Bürgerkrieg sehr gut kennt...

    Ich wollte immer herausfinden, ob ich Universalthemen behandeln kann. "Die Schwalben von Kabul" spielen zwar in einem anderen Kontext, aber die Themen bleiben dieselben wie in allen meinen Romanen: Fundamentalismus, politische Gewalt, Repression, die Unterdrückung der Frauen. Ich dachte, wenn ein Moslem über die afghanische Tragödie schreibt, bringt er sicherlich eine neue Perspektive ein, mit der die Situation besser verstanden werden kann. Ich habe viele westliche Bücher über Afghanistan gelesen. Oft schienen mir diese Bücher unvollständig, voll von verwegenen Behauptungen. Ich aber wollte als Schriftsteller versuchen, das Taliban-Regime - aber eigentlich jegliches autoritäres Regime - von innen zu betrachten: Was es für Spuren in sehr unterschiedlichen Menschen hinterläßt. Als ich damals im Fernsehen sah, wie eine Frau aus Kabul gesteinigt wurde, war ich schockiert und musste unbedingt darüber schreiben. Barbarei darf nicht zur Normalität werden. Ich musste unbedingt diese Frau retten, indem ich über sie schrieb. Im Grunde genommen können sich die Hauptfiguren meines Romans ihrem Schicksal nur fügen, nur ausharren, so allgegenwärtig sind die Einschüchterungen und die Gewalttätigkeit der Taliban. Ich bin selber nie in Afghanistan gewesen, aber ich bin Moslem und habe die Taliban in meinem eigenen Land bekämpft. Ich konnte mich also in sie hineinversetzen.

    In Die Schwalben von Kabul spielt der Afghane Mohsen eine zentrale Rolle. Besonders an seiner Figur wird das ganze Ausmaß des Schreckens deutlich. Eines Tages wohnt er im Zentrum von Kabul der Hinrichtung einer Frau bei. Statt zu rebellieren, wird er vom Blutrausch der Menge mitgerissen. Mohsen erkennt sich selbst nicht wieder, doch er kann den Zorn, der ihn ergriffen hat, nicht eindämmen.

    Mit Mohsen habe ich versucht, den vom Krieg erschütterten Afghanen zu porträtieren: ohne Orientierung, ohne Hoffnung, der alltäglichen Gewalt auf den Straßen von Kabul ausgeliefert. Eines Tages wird er Zeuge einer Steinigung. Ohne sich dessen bewußt zu werden, wird er von der Massenhysterie angesteckt. Er wird selber zum Komplizen dieses Mordes. Noch schlimmer: einer der Steine, die er wirft, trifft die Verurteilte tödlich. Sein Leben kippt in diesem Augenblick um. Mohsen wird zum Symbol eines ganzen Volkes, das vom Horror gewürgt wurde. Ich sehe meine Rolle als Schriftsteller darin, solche Verhaltensweisen zu erklären, um das Gewissen des Lesers wach zu rütteln. In einer Diktatur herrschen andere Naturgesetze, herrscht eine andere Logik. Die Figur von Mohsen wird vom Absurden verschluckt.

    Zunaira – Mohsens Frau – war Anwältin. Seit der Talibanherrschaft geht sie nicht mehr aus dem Haus. Denn sie haßt den obligatorischen Tschadri, den traditionellen Umhang, und will sich den Demütigungen der Taliban nicht aussetzen. Eines Tages - wie in alten Zeiten – geht sie doch mit ihrem Mann spazieren. Das Paar wird aber sofort von einer Patrouille angepöbelt. Mohsen wehrt sich nicht. Als es daraufhin zum Streit zwischen dem Ehepaar kommt, fällt Mohsen unglücklich und stirbt. Zunaira wird als Mörderin verhaftet und landet in der Todeszelle. Damit schließt sich der Kreis zu Atiq, dem Gefängniswärter, der sich in die schöne Gefangene verliebt. Atiqs Frau erlebt zum ersten Mal, dass ihr Mann Gefühle zeigt. Sie wird davon so gerührt, dass sie vorschlägt, an Zunairas Stelle zu sterben.

    Diese Frauenfiguren sind "die Schwalben von Kabul". Sie sind der Frühling in diesem zerstörten Land und bilden in meinem Roman eine zentrale - heldenhafte - Rolle. Aber kann Afghanistan ihre Bedeutung verstehen? Ich bezweifle es, denn die Männer sind blind geblieben. Sie kommen nicht aus dem Teufelskreis der Gewalt heraus, sehen nichts weiter als die eigene Wut und Frustration. In der Unterdrückung der Frau sehe ich das Symptom des Terrors und der Menschenverachtung in einem Land, das sich zu einem friedlichen Ort hätte entwickeln können.

    Wie in einer antiken Tragödie kann nur die Würde der Schwalben von Kabul den ewigen Kreislauf von Wut und Gewalt durchbrechen. Yasmina Khadras poetische Sprache kontrastiert mit dem Schrecken, den er beschreibt. Aber sein politisches Märchen wirkt nach. Denn es macht deutlich, wie schwierig es ist, eine völlig aufgelöste, fundamentalistische Gesellschaft wiederaufzubauen, egal ob es sich um Kabul, Algier oder jetzt Bagdad handelt. Eine wichtige Lektüre, erst recht heute, wo das Interesse für die Ursachen des afghanischen Dramas wieder schwindet.