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"Die Schweinegrippe wird nur der Anfang sein"

Viren kann man nicht nur mit Geld besiegen, sagt Eckhard Nagel. Wir Menschen müssen uns im Gegenteil daran gewöhnen, dass wir nur eine von vielen Spezies sind, die solchen Gefährdungen ausgesetzt sind.

    Karin Fischer: Solche Menschenansammlungen zu meiden – diesen Rat geben die Ärzte derzeit Menschen, die etwas schwach auf der Brust sind. Massenveranstaltungen sind nämlich Tummelplätze für die Viren der Schweinegrippe. Über eine Massenimpfung im Herbst – vor allem über deren Kosten – wird gerade heftig gestritten. Ist das aber nicht ein bisschen viel Aufwand für ein Virus, das in der Regel ja harmlos verläuft? Der Kieler Katastrophenforscher Wolf Dombrowski warnte zwar im Deutschlandradio Kultur davor, die Schweinegrippe zu verharmlosen, relativierte sich dann aber fast philosophisch:

    Wolf Dombrowski: Das Wichtigste bei einer Pandemie ist, die Infektionswege zu unterbrechen, und dann ist Impfung angezeigt. Wenn man der Meinung ist, es ist alles nicht so schlimm, dann könnte man es auch lassen. Aber wir wissen es vorher ja nicht so ganz genau.

    Fischer: Dombrowski hat in der Bund-Länder-Kommission den Pandemieplan mit ausgearbeitet. In Kultur heute wollen wir über die symbolischen Kosten der Schweinegrippenimpfung sprechen. Den Direktor des Bayreuther Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften Eckhard Nagel habe ich gefragt: Herr Nagel, was ist das, was da gerade passiert?

    Eckhard Nagel: Ich denke, natürlich ist es etwas, was eine Kränkung darstellt für die Menschen, nämlich die Vorstellung, man hätte sich über die Infektionskrankheiten hinweggesetzt, so wie man das in den 80er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts gedacht hat. Diese Vorstellung hat sich nicht bewahrheitet und insofern ist natürlich eine große Verunsicherung da, und diese Verunsicherung hat eine lange Historie, weil Menschen immer gefährdet waren durch Infektionskrankheiten und das auch heute noch weltweit sind.

    Fischer: Der Mediziner Wolfgang Wodarg, der auch SPD-Politiker ist, hält die Schweinegrippenpandemie für eine Inszenierung, vor allem für ein Riesengeschäft für die Pharmaindustrie. Die Zahl der Fälle sei lächerlich verglichen mit anderen Grippewellen. Da fragt man sich natürlich: Wem nützt die Angst vor einer solchen Pandemie?

    Nagel: Mit allem Respekt vor Herrn Wodarg, ich glaube, er sieht eben genau diesen Punkt nicht, dass wir hier nur an dem Anfang stehen von einer Situation, wo in dieser Welt – letztlich auch durch die Fortschritte der Globalisierung – immer neue Gefahren auf uns zukommen durch Infektionskrankheiten. Die Schweinegrippe wird nur der Anfang sein von unterschiedlichen, entsprechenden Infektionssituationen, denn die Natur erzeugt halt immer wieder neue Krankheitserreger. Und insofern ist es keine Inszenierung, sondern eine reale Gefahr. Das mit dem Geld ist natürlich vordergründig jetzt etwas, was wir diskutieren unter der Vorstellung: Wir müssen hier etwas investieren, wir müssen sozusagen Geld aufwenden. Ich finde das ausgesprochen bedenklich, diese gesamte Diskussion, weil sie letztendlich noch mal deutlich macht, dass wir offensichtlich in unserem ökonomischen Denken so weit uns verändert haben, dass selbst die Herausforderungen für unser Leben nur noch unter der Maßgabe gewertet werden: Wie viel kostet es und können wir es für alle oder nur für einen kleinen Teil verhindern?

    Fischer: Sie haben die Globalisierung erwähnt. Die mögliche wirkliche Gefahr besteht aber natürlich innerhalb des Erregers, der durchaus mutieren kann, während die Welt noch Impfstoffe testet. Ist das das Krisenszenario, vor dem man im Moment eigentlich Angst haben müsste?

    Nagel: Ja, so ist es. Ich denke, wir haben mit dem Schweinegrippenvirus ja erstmalig – zumindest zu unserer Kenntnis – ein Virus, das eben auch bestimmte Barrieren, die für uns wichtig waren, biologische Barrieren zwischen Mensch und Tier, überwinden kann. Damit gibt es neue Gefahrenszenarien für uns Menschen wie aber natürlich auch für das Tierreich insgesamt, und das, was jetzt gerade passiert, ist auch nur eine beispielhafte Diskussion, die wir wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten in verschiedenen anderen Konstellationen dann wieder besprechen werden.

    Fischer: Was wären diese anderen Konstellationen, was ist sozusagen das "Worst case"-Szenario?

    Nagel: Also, wir haben ja gerade die Situation in China, dass in einer kleinen Stadt tatsächlich eine Situation entstanden ist, wo ein vermeintlich ausgerotteter Erreger wieder, die Lungenpest, um sich greift. Wir haben in den 70er-Jahren verkündet: Diese Krankheit ist besiegt, die gibt es nicht mehr. Aber sie entsteht eben wieder aufs Neue, und insofern sind da alle möglichen, schwierigen Situationen vorstellbar. Dennoch halte ich nicht viel von Horrorszenarien, aber man muss sich eben damit sehr intensiv beschäftigen, man muss Pläne machen, was man tut, wenn solche Herausforderungen bestehen, und man muss natürlich in die Forschung investieren, damit man damit umgehen kann.

    Fischer: Viele Schranken weltweit sind gefallen, übers Händewaschen und In-den-Ärmel-Husten ist schon viel geredet werden. Was wäre denn die angemessene sozusagen geistige oder kulturelle Haltung, um mit dieser Grippegefahr umzugehen?

    Nagel: Ich denke, auf jeden Fall nicht, in Panik zu verfallen, sondern einfach sich gewahr zu werden, dass diese Herausforderung früher immer bestanden hat und zurzeit in ganz vielen Ländern immer besteht. Wir haben die häufigste Todesursache immer noch in der Tuberkulose, also einer bakteriellen Erkrankung, weltweit. Viele Menschen haben das längst verdrängt, weil wir auch glaubten, zum Beispiel in Deutschland, mit dieser Krankheit nicht mehr umgehen zu müssen. Wir haben aber in den letzten Jahrzehnten schon gesehen, dass Tuberkulosekranke ständig wieder steigen, gerade weil wir eben Menschen aus Regionen bei uns aufgenommen haben, die die Tuberkulose noch mitgebracht haben. Wir sind in der Lage, damit umzugehen für unsere Situation. Es wird Möglichkeiten geben, die uns wieder in die Lage versetzen, mit einer solchen Herausforderung umzugehen, aber es bedeutet natürlich noch mal eine Umstellung, nämlich Umstellung dahin gehend, dass man nicht das Gefühl hat, man kann alles bewerkstelligen. Wir sind sozusagen als Menschen Herr über alle Situationen der Existenz, sondern wir müssen gewahr werden, dass wir Teil eines gesamten Kosmos sind, wo die Herausforderungen beziehungsweise Gefährdungen uns genauso treffen wie andere Spezies auch.

    Fischer: Eckhard Nagel vom Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften in Bayreuth über die Rückkehr der Viren und den möglichen Umgang damit.