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Die Solarschule 'artefact'

"Dann haben wir 34 Volt. Ja?" - "Okay. So, der ganze Apparat hat 150 Volt?" - "Einer. Und zusammen 300 Volt."

Von Michael Netzhammer | 11.08.2003
    Fragen. Kingsley Akom aus Ghana hat jede Menge Fragen, während er das Solarmodul an den Laderegler anschließt. Denn in der Solarschule "artefact" in Glücksburg bei Flensburg kommt der Techniklehrer aus Ghana zum ersten Mal mit Solarenergie in Berührung. So wie ihm ergeht es auch den neun anderen Stipendiaten von InWent, die für ein Jahr nach Deutschland gekommen sind, um ihre Elektronikkenntnisse zu verbessern. Die einwöchige Schulung bei "artefact" soll ihnen einen Überblick über die erneuerbaren Energien liefern. Die meisten sind begeistert. Für Kingsley Akom aus Ghana könnten Windenergie und Solarkraft einige Probleme seines Landes lösen:

    Erneuerbare Energien haben ein großes Potenzial in Ghana, und wir benötigen sie. Denn unsere Energieversorgung basiert auf Staudämmen, wobei die Flüsse aufgrund der Klimaveränderung kaum noch Wasser führen. Jetzt liefert ein Ölkraftwerk Strom, der aber ist sehr teuer.

    Das Potenzial für erneuerbare Energien ist im Süden riesig. Zwei Milliarden Menschen sind ohne Strom. Die flächendeckende Versorgung mit Stromleitungen ist jedoch zu aufwändig. Dezentrale Windanlagen oder netzunabhängige "Solar Home Systems", mit denen eine Batterie aufgeladen oder ein Kühlschrank für Medikamente gekühlt werden kann, würden die Lebenssituation vieler Menschen verbessern. Dieser Mangel hat die Fantasie deutscher Solarfirmen angeregt. Von der Bundesregierung fordert der "Club für ländliche Entwicklung", hinter dem sich 16 Firmen und Forschungsinstitute verbergen, eine Exportinitiative. Innerhalb von sieben Jahren sollen eine Million Hütten mit solaren Systemen versorgt werden. Der Geschäftsführer von "artefact", Werner Kiwitt, würde eine derartige Initiative begrüßen, aber nur unter Bedingungen:

    Es kann mit diesem Geld sicherlich sehr viel Sinnvolles gemacht werden, aber es darf nicht sein, dass quasi krampfhaft mit Zeitdruck in Technik investiert wird und Bildungsmaßnahmen und andere begleitende Programme zu kurz kommen.

    Werner Kiwitt weiß wovon er spricht. Fünf Jahre lang hat der ausgebildete Technikpädagoge in Afrika gearbeitet und zahlreiche Entwicklungsprojekte scheitern sehen. Photovoltaik ist eine einfache Technik. Aber auch sie läuft nicht ohne Störungen. Ohne Wartung fällt eine Photovoltaikanlage im Durchschnitt zweimal im Jahr aus. Nur jede vierte Störung kann der Betreiber selbst reparieren. Deshalb warnt Werner Kiwitt, dieselben Fehler wie früher zu wiederholen:

    Es reicht nicht nur, eine Anlage auf dem Markt zu verkaufen, sondern es bedarf in jedem Fall auch der begleitenden Ausbildung von Handwerkern, von Hausmeistern oder anderen. Das müssen nicht immer geschulte Elektriker sein.

    Bevor sich diese Technik also durchsetzen kann, muss sie Eingang in die Lehrpläne finden. Dafür müssen zuerst die Regierungen überzeugt werden. In wenigen Jahren ist das nicht zu schaffen, bedauert Sally Sayed Mansou Moursy, Ingenieurin aus Kairo:

    Ich wäre froh, wenn ich mich auf erneuerbare Energien spezialisieren könnte. Die Frage ist, wo? Wenn mich meine Vorgesetzten fragen, was ich tun möchte, so werde ich ihnen von dieser Technologie erzählen, die wir nach Ägypten transferieren sollten. Ob und wann und wie wir damit anfangen sollten, das sind Fragen, die ich nicht beantworten kann...

    Einfach wird es auch für die bundesdeutschen Hersteller von Windkraftanlagen und Solarsystemen nicht. Zwar produzieren sie hervorragende Anlagen. Die nötigen Techniker in den südlichen Regionalsprachen auszubilden, dazu sind sie nicht in der Lage. Hier sieht Werner Kiwitt Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit zwischen Exportindustrie und entwicklungspolitischen Gruppen, wenn die Industrie stärker den Gedanken der Hilfe zur Selbsthilfe aufgreife:

    Das kann ja auch in Form von Joint Ventures passieren, aber wir wollen nicht, dass Abhängigkeiten von Kohle ersetzt werden durch Abhängigkeiten von Ersatzteilen von Windkraftanlagen.