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Die Speed Queen

Es gibt Romane, die leben von einer einzigen guten Idee. "Die Speed Queen" ist so ein Roman. In der Nacht vor ihrer Hinrichtung durch Giftinjektion sitzt Marjorie Standiford in der Todeszelle und spricht ihr Leben auf Band. Sie hat zusammen mit ihrem Mann Lamont und ihrer Freundin Natalie eine Reihe bestialischer Morde begangen. Sie akzeptiert ihre Situation, obwohl sie sich unschuldig erklärt. Sie sagt, sie habe zu Jesus gefunden, tatsächlich hat sie aber zu jemand anderem gefunden, zum größten Schriftsteller Amerikas, zum Horrorautor Steven King. Der hat Geld dafür gezahlt, daß Margie ihm eine Reihe von Fragen beantwortet, 114 sind es wohl, wenn die Kapiteleinteilung mit den Fragen übereinstimmt, was nicht immer ganz klar ist. Steven King ist also zur Autorität geworden für eine Existenz, die erst erzählend zu einem Leben wird, zu einer Lebensgeschichte, aber eben nicht, und das ist besonders, mit Linearitäten, Kausalitäten und Reflexion, sondern mit Wiederholungen, Parodien und Steigerungen. Steven King als Autorität, das darf man wörtlich nehmen. Der abwesende Mister King bringt die tödliche Geschichte Margies gewissermaßen erst hervor, macht aus einer Serie biographischer Einzelheiten eine bizarre, aber eben keine tragische Einheit.

Hubert Winkels |
    "Ich hoffe, es stört Sie nicht, aber ich hab diesen ersten Teil aufgeschrieben, drum lese ich das jetzt einfach vor, damit wir's hinter uns haben. Mr. Jefferies hat mir dabei geholfen. Ich hoffe, das ist okay. Also, lassen Sie's mich schnell vorlesen. Bevor ich anfange, möchte ich darauf hinweisen, daß ich versuche, mir alles so gut wie möglich ins Gedächtnis zu rufen, auch wenn ich weiß, daß ich manchmal falsch liegen werde. Das, was Sie wissen wollen, ist vor acht Jahren passiert, bevor ich zu Gott gefunden habe. Damals war ich ein anderer Mensch, jemand, den ich nicht mal heute völlig verstehe. Das soll keine Entschuldigung sein, genauso wenig wie die Drogen. Für das, was ich getan habe, übernehme ich die volle Verantwortung - nicht mehr und nicht weniger. Ich beteuere meine Unschuld und betrachte meine Strafe als ungerecht. Ich halte es auch für wichtig, die Öffentlichkeit wissen zu lassen, daß ich aus juristischer Sicht jegliche Form der Todesstrafe ablehne, nicht bloß in meinem Fall. War das okay? Sie brauchen es nicht zu verwenden, wenn Sie nicht wollen. Mr. Jefferies hat gesagt, wir könnten es direkt an den Anfang des Buches setzen. Er hat gesagt, Sie würden das vielleicht wollen, weil es die Sache wirklicher macht - so ähnlich wie der Satz: Beruht auf einer wahren Geschichte. Ich kenn mich mit dem Bücherschreiben nicht aus, drum bleibt das Ihnen überlassen. Mr. Jefferies hat bloß gesagt, ich soll es machen, um rechtlichen Problemen aus dem Weg zu gehen. Es wird ein Roman, stimmt's? Dann sollte es also frei erfunden sein. Am Anfang müßte irgend so was stehen wie am Ende eines Films - jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist rein zufällig -, obwohl jeder weiß, daß das nicht stimmt. Ich wette, alle fragen Sie immer nach Jack in Shining und ob Sie das sein sollen. Und Sie sagen bestimmt nein, oder vielleicht, daß er es bloß zu einem kleinen Teil ist. Das hier wird mehr wie eine Mischung aus Dolores Claiborne und The Green Mile werden, aber trotzdem. Wenn Sie sagen, es sei frei erfunden, und diesen Absatz dazusetzen, sind Sie aus dem Schneider, dann müssen Sie sich eigentlich nicht dafür rechtfertigen."

    Stewart O´Nan ist ein raffinierter Autor. Seinen grandiosen Einfall setzt er nicht nur dramaturgisch-technisch, sondern auch erzählpsychologisch perfekt in Szene. Denn der Fragebogen des King of Horror scheint zunächst distanziert und bürokratisch, und Margies Antworten sträuben sich gegen die Zumutungen solcher ersten Fragen wie: warum und wie sie gemordet habe, ob sie schon früh Drogen genommen habe und wie sie von anderen beurteilt worden sei. Margie gefällt das nicht und beginnt die Erzählung anders herum, von vorne nämlich, mit ihrer Kindheitsgeschichte. Das sieht zunächst so aus, als ob sie die These von Slavoj Zizek belegen wolle, daß heute jeder debile Kriminelle seine Taten auf frühkindliche Erlebnisse und gesellschaftliche Umstände selbst zurückführe, das Instrument der Selbstreflexion also durch universelle Anwendung stumpf geworden sei. Doch Margie macht es anders: sie erzählt zwar so, als ob auf diese Weise Kausalitäten zu gewinnen seien, behauptet aber zugleich, da seien keine. Nichts, sagt sie, was in meiner Kindheit und Jugend passiert ist, nicht mein Dad und nicht meine Mom sind im geringsten schuld daran, daß aus mir das wurde, was ich jetzt bin: eine Serienkillerin vor der Hinrichtung.

    Mit dieser Konstellation hat sich Stewart O´Nan alle Möglichkeiten geschaffen, aus der erzählten Geschichte all die Bruchstücke zu exponieren, die ex post, d.h. vom nahen Tod der Erzählerin her gesehen, ihre kriminelle Karriere plausibel machten; gleichsam gegen ihren Willen das verpfuschte Leben der Heldin, wenn auch im Bösen, sinnvoll sich runden zu lassen. O´Nan nutzt sie nicht. Er baut keine moralische Person, keinen Charakter auf, um diesen an seinen Widersprüchen und denen zur Welt scheitern zu lassen. Er baut vielmehr einen Text, dessen Elemente alle in einer spezifischen Verkehrung und Radikalität wiederkehren. So arbeitet Margie, die später in einem Sonic-Imbiss mit Frittieröl tödlich rasen wird, zuvor als Frittiererin in einem Long John Silver´s Imbiss. Oder die fremde Familie, die nach einem Umzug von Margies Eltern in deren Haus einzieht: sie wird später am selben Ort hingemetzelt. So geschieht alles zweimal, einmal als Theater der Banalität, ein zweites Mal als Theater der Grausamkeit. Das ist es, was zählt. Daß die kleine Margie hingegen ihre Eltern beim S/M-Sex beobachtet hat, wird so beiläufig erzählt, als solle das spezifisch psychoanalytische Verständnis von Wiederholung verhöhnt werden. Gewalt und Fetischismus liegen auf einer Ebene mit Onion-Burgers und Literbechern Cola. Kein Über-ich, nirgends, nur ein Medienstar, der Stoff für eine Geschichte braucht. Und die ist strukturiert durch unauffällige Wiederholungen.

    Die Welt, die Stewart O´Nan entwirft, ist moralisch so flach wie die Prärie von Oklahoma und die Wüste von New Mexiko, durch die Margie und Lamont mit ihrem Roadrunner rasen, so flach wie der Bildschirm, vor dem sie sich Comics und Serien reinziehen, und so flach wie der Speed- und Kokainrausch, der sie aufgekratzt und scheinlebendig wieder fahren und Musik hören und sich lieben läßt nach dem vorangestellten Motto (aus dem ´Golden Earring`-Song ´Radar love´) "I been drivin´all night, my hand´s wet on the wheel". Zu sich selbst kommen die Figuren, wenn sie vor sich abhauen: auf der Interstate, ziellos oder auf der Flucht. Ihren Ort finden sie, wo kein Ort ist: unterwegs in der Wüste. Halt finden sie, wo es kein Halten gibt: beim Abfahren auf Speed. Zum Gegenüber finden sie, wo es kein Gegenüber gibt: nebeneinander im Convertible. Zum Innehalten kommen sie im Tod oder in der Todeszelle.

    "So hat Lamont mich näher kennengelernt - indem er mich nach Schichtende heimbrachte. Das erste Mal, als er es mir anbot, wußte ich, daß so was kommen würde, weil er vorher schon zweimal übers Gelände gekurvt war. Er kam gegen zehn vor elf wieder und parkte am Druckluftmesser. Inzwischen hatte ich meine Flasche ausgetrunken und fühlte mich gut. Daheim hatte ich noch eine im Gefrierfach, in einer Schachtel tiefgekühlter Erbsen versteckt. Es war eine gute Zeit am Abend. Ich überprüfe also meine Registrierkasse, zeichne den Papierstreifen ab und schicke ihn in den Safe. Mr. Fred Fred rechnet schon Kunden ab. "Gute Nacht", sage ich richtig laut und geh nach draußen, um drauf zu warten, daß Garlyn mich abholt. Aber ich warte nicht wirklich auf sie, ich warte drauf, daß Lamont rüberkommt und mir anbietet, mich zu fahren. Es gefällt mir, daß er nicht sofort kommt. Der 442 hat getönte Scheiben; unter den Lampen verwandelt sich das Lila in Schwarz, man kann nichts erkennen. Dann startet er den Wagen. Er hat einen Sound wie ein Tier, und das Herz schlägt mir bis zum Hals. Die Scheinwerfer sind direkt auf mich gerichtet. Es ist lächerlich - ich sehne mich jetzt schon nach ihm -, aber es ist auch angenehm. Er läßt plötzlich die Kupplung kommen, und der 442 hinterläßt eine Reifenspur, als er einen Satz nach vorn macht und mit röhrendem Auspuff direkt vor mir stehenbleibt. Ich kann immer noch nichts durch die Scheiben erkennen. Die Beifahrertür schwingt auf, und es dröhnt ein Song von MC5 raus. Das ist ja wie in der High School, denke ich, aber was soll's? Ich sehe mich ein letztes Mal nach Garlyn um, dann steige ich ein. Seine Augen sind genauso wie neulich, sie saugen mich einfach an. Er lächelt und zeigt mir seine Fangzähne. ‘Und’, sagt er. ‘Wo willst du hin?’"

    Etwas von dem Sog der Geschwindigkeit, der Margie und Lamont erfaßt, überträgt sich durch geschickte Dramaturgie auch auf den Leser. Wir wissen von der ersten Seite an, daß die Geschichte Margies auf mehrere Morde und schließlich auf ein Massaker hinauslaufen wird. Und wir ahnen bald, daß es von der Art sein wird, die wir aus Oliver Stones ´Natural Born Killers´, von den Filmen Quentin Tarrantinos oder der Brüder Coen kennen. Und je mehr Stewart O´Nan die Bewegung verlangsamt, indem er die banalen Szenen einer Ehe ausmalt oder immer wieder ausführlich auf die Situation in der Gefängniszelle zurückkommt, um so stärker zieht es uns hin zum Ungeheuerlichen, zum unerhörten Ereignis, zum Exzess der Gewalt. Wir wollen es lesen, gieren danach, doch wenn es eintrifft, ist es eben nicht ungeheurlich, sondern wirkt ´total normal´.

    Und das liegt an der mündlich lakonischen Erzählweise Margies. Diese selbst baut nämlich zunächst keine Spannung auf, weil sie selbst ihr Leben nicht als Drama interpretiert, auch nicht in dem Sinne, daß sie zutiefst schuldig geworden sei. Dieser Margie sind alle Ereignisse gleich nah und gleich fern. Sie erzählt vom Banalsten und vom Schrecklichsten im gleichen Tonfall. Sie hat sich vor keinem Richter zu verantworten, sie hat interessanten Stoff für den Autor zu liefern, nicht dem König der Welt, sondern dem Medien-King. Er macht den Roman daraus, und aus dem Roman wird ein Film, das weiß sie und wünscht sich schon die Schauspieler; für ihren geliebten Lamont mit den schwarzen Augen und den großen Zähnen, den Fängen im Gesicht, Keanu Reeves bitte. Margies Geschichte ist noch eine medial auszuwertende, sie ist noch nicht formatiert. Ihr Adressat ist einer, der Geschichten formt. Und da wir Leser exakt in der Rolle jenes immer wieder angeredeten Steven King sind, müssen wir den Stoff selbst ordnen, müssen ihm Bedeutung beibringen, ihn auf etwas hin orientieren, was mehr ist als der Tod durch eine Giftspritze. Wir müssen das, weil wir nicht akzeptieren, daß dies alles eine Verkettung von Banalitäten, Beiläufigkeiten und Zufällen ist. Die Autoleidenschaft, die Drogen, das Dealen und Hehlen, das Pech mit dem Geld und den Drogen, die dumme Reaktion der Raubopfer usw. Das alles darf nicht einfach so vom Himmel fallen, weil wir dem Bösen eine Eminenz zusprechen wollen, eine Größe und Tiefe und in Maßen auch Rekonstruierbarkeit.

    Also sind wir gefordert als Co-Autoren von Steven King, ob wir wollen oder nicht. Und der Geschlossenheit seiner mit bösen Zeichen und Zeichen des Bösen verriegelten Welt möchten wir eine Fallhöhe des Sozialen und Moralischen entgegensetzen, und so arbeiten wir uns ab an der provozierenden Flachheit der Geschichte. Wenn die Rede von einem ´impliziten Leser´ je wirklich explizit war in einem Roman, dann in dem der Speed Queen, der Geschichte für den Horror-King.

    Margie beginnt ihre Geschichte mit der Kindheit. Wie sie mit dem Dreirad einen Hügel hinuntersaust und sich das Handgelenk bricht, erzählt sie uns. Später wird sie sich bei einem Autounfall das Handgelenk brechen. Wie ihr Vater den Familienhund in einem Müllsack verstaut, wie dessen Beine immer wieder herausrutschen und wie er schließlich im Müllwagen zerquetscht wird, erzählt sie uns. Später wird das mörderische Trio Margie, Lamont und Natalie eine Familie in Müllsäcken niedermachen. Wie das Kind zu Hause immer auf die legendäre Route 66 hinausstarrt, nach dem Tod des Hundes aus dessen Hütte heraus, erzählt sie uns. Später wird Margie mit dem toten Lamont hinter sich und der schwerverletzten Natalie im Kofferraum auf eben jener Route 66 dahinbrausen.

    "Noch in derselben Nacht. Ich war immer noch drauf, aber Natalie mußte pennen. Wir ließen Lamont da, wo er war. Ich sagte, ich würde auf dem Fußboden schlafen, und sie war so müde, daß sie mir glaubte. Ich guckte eine Weile bei abgestelltem Ton Fernsehen - irgendwas Blödes, Sie können sich was ausdenken. Gegen Mitternacht ging ich ins Bad und sniffte noch drei Lines vom Waschbeckenrand. Das Licht vom Fernseher ließ das Tapetenmuster vorspringen wie ein Testbild. Ich blickte eine Weile in den Spiegel, bis ich's nicht mehr ertragen konnte. Dann ging ich zum Wagen raus und holte die 45er und eine Schachtel Patronen. Es war kühl draußen, und das Neon tauchte meine Haut in ein hübsches Blau. Ich ging wieder ins Bad, lud die Pistole, sniffte noch vier Lines und wusch mir das Gesicht. Im Spiegel atmete ich tief durch. ‘Okay’, sagte ich. Ich nahm das Kissen von Lamonts Bett und ging zu Natalie rüber. Das Licht war aus, und das Fernsehbild lief über die ganzen Wände. Ich stand eine Weile da und betrachtete sie - ihr Haar und ihre Arme, ihre perfekten Nägel. Ich dachte an unsere Vormittage mit ihrem Spielzeug und daran, daß ich mich noch nie so begehrenswert, so lebendig in meiner Haut gefühlt hatte. Ich schaute zu Lamont rüber und dachte dran, daß man sie zusammen finden würde; das wollte ich nicht. Genau in dem Moment wurde die Show durch einen Werbespot unterbrochen, und der Bildschirm wurde schwarz und ließ mich im Dunkeln stehen. Als das Bild wiederkam, blickte Natalie mich direkt an. Ich stieß ihr die Pistole gegen die Brust und drückte ab. Ich vergaß völlig das Kissen; das Geräusch brachte Gainey zum Schreien. Natalie rollte vom Bett und stieß dabei den Eimer vom Nachttisch. Das Wasser spritzte ihr auf den Rücken. Man konnte da, wo die Kugel ausgetreten war, das Loch schehen. Ich glaubte nicht, noch mal nachsehen zu müssen. ‘Lügnerin’, sagte ich. Ich warf die Bettdecke über sie und fing an zu packen. Als ich alles zusammenhatte, ging ich raus und schloß den Wagen auf. Unser Wagen war der einzige auf dem Parkplatz. Die Straße war leer. Ich ging wieder rein, hüllte Lamont in die Tagesdecke, packte ihn unter den Armen, schleppte ihn über den Teppichboden zur Tür raus und schob ihn halbwegs auf den Rücksitz. Ich mußte auf die andere Seite gehen und ihn ganz reinzerren, und inzwischen lief mir der Schweiß runter. Ich schaffte Natalie genauso nach draußen und hievte sie in den Kofferraum. Dann holte ich die Taschen und schnallte Gaineys Kindersitz neben mir fest. Er schrie immer noch. Ich ließ die Scheinwerfer aus, bis ich ungefähr 'ne Viertelmeile weit weg war. Als ich sie anknipste, schossen die weißen Linien vor mir aus dem Boden wie auf einer Startbahn, aber ich wußte, daß ich eigentlich nirgends hinfuhr. Erinnern Sie sich an Gesprengte Ketten , wo Steve McQueen auf seinem Motorrad einen Satz über den Stacheldraht macht? Einer von diesen Filmen, in denen sie mit Löffeln und selbstgebauten Schlitten, auf die sie sich legen, einen Fluchttunnel graben. Sie wissen nie, wo sie die Erde hintun sollen. Man drückt ihnen immer die Daumen, daß sie rauskommen, selbst wenn sie in einem Knast wie Alcatraz sind. Man macht sich eigentlich keine Gedanken drüber, warum sie sitzen, weil sie immer unschuldig sind. Aber ich fuhr damals so vor mich hin, durch die Wüste, und dann kam ich an diesem Schild vorbei, auf dem stand Vorsicht! Tramper könnten entflohene Strafgefangene sein , und da verriegelte ich als erstes Gaineys Tür."

    Das alles ist Maßarbeit. Nicht Ursache und Wirkung, sondern verschobene Wiederholungen in einem Zufallsfeld prägen die erzählte Geschichte. Und amerikanische Mythen natürlich. Eine Satire hat Stewart O´Nan seinen Roman genannt, "ein sehr brutales, aber auch lustiges Buch über die amerikanische Medienbesessenheit und über die Obsession, die von Serienkillern, Drogen und Gewalt ausgeht." Sehr richtig, denn hier hat er den Bezug zum Leser schon zum Wesen des Romans selbst ernannt. Fügen wir hinzu, daß es zugleich um all die Bilder vom weiten Westen, von der Route 66, vom Grand Canyon, von Indianerreservaten geht, um Automarken und Burgernamen, Drive Ins, Motels und Sherry Colas, um Schokoriegel und Benzin, Heavy Metal und Dope und was der Signale von Freiheit, Freßlust und Abenteuer mehr sind.

    Abgründig ist die amerikanische Oberfläche. Und O´Nan ist nicht der einzige, der uns das sagt, ohne die Tiefe auszuloten. Und er ist auch nicht der einzige, der das mit Witz tut, mit einem Witz, der weh tut, weil er das Grausame in eine Reihe stellt mit Trash und Junk, weil er es einbaut in die Ideologie von Hip- und Coolness. Quentin Tarrantino hat bereits die Filmrechte an "Die Speed Queen" gekauft. So muß es sein. Exakt dafür ist der Roman geschrieben. Denn hier wiederholt sich im Realen die Fiktion des Romans selbst: daß eben ein Medien-King die Rechte an der Story kauft.

    Es ist ein heikles Spiel mit dem Aberwitz von Medien und Gewalt, das hier gespielt wird, aber es ist ein Weg, an die amerikanische Erfahrung sich auflösender Schuldverhältnisse heranzukommen. In "Engel im Schnee" hatte O´Nan noch auf die Psychologie seiner depravierten Kleinstadtfiguren gesetzt, doch sie alle agieren wie in einem Raumschiff ohne Kommunikation zur Außenwelt. Dort sind die Morde motiviert, aber sie scheinen alternativlos. Nur der rückblickende Erzähler hält einen Türspalt auf.

    In "Die Speed Queen" ist es mit der Psychologie nicht weit her. Was geschieht, geschieht einfach. Insofern ist "Die Speed Queen" karger und konsequenter als "Engel im Schnee" . Doch auch hier gibt es zwei Bewegungen, die, wenn nicht aus der Hölle herausführen, doch über sie hinausweisen: Die Ironie, die an Stelle der Moral die Welt in der Schwebe hält. Und es gibt ein inhaltliches Motiv, das befremdet, weil es mehr ist als ein Mittel sarkastischer Zuspitzung: Die mordende Margie ist mit ihrem Baby unterwegs. Wie ein Wesen von einem anderen Stern ist die Inkarnation der Unschuld immer mit von der Partie. Mit Blut bespritzt sitzt sie zwischen Mutter und Totem. Am Ende bleibt das Kind übrig. Wenn es erwachsen ist, werden ihm statt Mutter und Vater Band und Buch und Film zukommen. Und der Erlös aus den Buch- und Filmrechten. Der Erlös, nicht die Erlösung.