Lassen Sie's mich so ausdrücken: Ich werd' ja dafür bezahlt. Und natürlich gilt: In diesem Monat bringen die zehn meistgelesenen Bücher der Deutschen 6 Kilo und 675 Gramm auf die Waage: zusammen 5817 Seiten.
Die aktuelle Spiegel-Bestseller-Liste Belletristik
inklusive eines Vergleichs von Susanne Fröhlich mit dem Autor von Madame Bovary, eines Monty-Python-Zitats, einer Anspielung auf ein Gedicht von Ingeborg Bachmann, einer kurzen Meditation über Gewicht in der Literatur und im Leben sowie einem kleinen Exkurs über Onanie.
Platz zehn: Nicholas Sparks "Die Nähe des Himmels" (Aus dem Amerikanischen von Adelheid Zöfel, Heyne Verlag, 448 Seiten, 17 Euro 90)
Wie immer erzählt Nicholas Sparks von einem Topf, der seinen Deckel findet. Der Topf ist ein New Yorker Journalist, der sich für impotent hält. Der Deckel ist eine Bibliothekarin aus North Carolina, die mit Männern aus der Großstadt schlimme Erfahrungen gemacht hat. Am Ende dieser in durchweg vergewaltigter Sprache erzählten Schmonzette ist die Bibliothekarin natürlich schwanger, und auch manch Leser wird sich von Nicholas Sparks' Kitsch unfreiwillig penetriert fühlen.
Dass Unterhaltungsliteratur so seicht nicht sein muss, beweist Jan Weiler:
Platz neun: Jan Weiler "Antonio im Wunderland" (Kindler Verlag,
267 Seiten, 16 Euro 90)
267 Seiten, 16 Euro 90)
Mit filigranem Witz erzählt Jan Weiler in seinem zweiten Roman wieder vom Kampf der Kulturen, von der Verrentung des deutschen Italieners Antonio Marcipane und dessen Ausflug nach Amerika. Ein gutes Buch über einen Fremden in einem fremden Land.
Und mit dem besten Gastauftritt von Robert De Niro, seit er den Klempner in "Brazil" gespielt hat.
Gut gemachte Unterhaltungsliteratur bietet auch
Platz acht: Rebecca Gablé: "Die Hüter der Rose" (Ehrenwirt Verlag, 1115 Seiten
Dieser historische Roman aus der Zeit des Hundertjährigen Krieges ist kompetent recherchiert, klug konstruiert und auch durchaus sehr anschaulich erzählt. Nur kranken diese Figuren allesamt an einem fürs 15. Jahrhundert allzu modernen Bewusstsein - viel fehlt nicht, und Rebecca Gablés mittelalterliche Ritter diskutierten das Für und Wider des Dosenpfands.
Platz sieben: Dan Brown, "Diabolus" (Aus dem Amerikanischen von Peter A. Schmidt, Lübbe Verlag, 524 Seiten, 19 Euro 90)
Sieben Jahre hat dieser Kryptographiethriller schon auf dem Buckel, und das ist in der Ära des Internet eine verdammt lange Zeit. Ursache des Gilbs in diesem Roman ist aber nicht die inzwischen fortgeschrittene Technik, sondern das vorsintflutliche Menschenbild seines reaktionären Autors. Oder wie Monty Python sagen würde: dieser Papagei schläft nicht, dieser Papagei ist tot.
Platz sechs: Susanne Fröhlich: Familienpackung (Krüger Verlag, 251 Seiten, 16 Euro 90)
Susanne Fröhlich erzählt von einer Hausfrau in der Provinz, die sich nach ein bisschen mehr Liebe, Spannung und Anerkennung in ihrem Leben sehnt. Aus einem ähnlichen Stoff hat Gustave Flaubert bekanntlich eine Menge gemacht. Statt Madame Bovary Konkurrenz zu liefern, beschränkt sich die Autorin auf eine Handvoll trutschiger Anekdoten, erzählt in dauervergnügtem Quietsche-Enten-Ton:
" Was für ein widerlicher Beruf. Reporterin bei RTL. Tränen in Großaufnahme. Wieso lasse ich mich überhaupt filmen? Bin ich vollkommen naiv oder nur brezelblöd?"
Sagen wir so: Susanne Fröhlichs Roman "Familienpackung" hat meine Erwartungen voll erfüllt.
Platz fünf: Francois Lelord: Hectors Reise. Aus dem Französischen von Ralf Pannowitsch, 187 Seiten, 16 Euro 90)
Eine Aussteigergeschichte über einen gestressten Psychiater aus Paris, der sich auf einer Reise um die Welt erklären lässt, was Glück ist. Die Ratschläge, die Herr Lelord bereit hält, sind von der Sorte: "Gib mir deine Uhr, und ich sage dir, wie spät es ist." Schwer zu sagen, was an diesem Buch verlogener ist: die banalen Antworten der Glücksexperten oder das Kalkül eines Autors, der mit der Abgezocktheit einer SM-Domina die Gelüste seiner regressionsbereiten Leserschaft bedient.
Platz vier: Ken Follett: Eisfieber (Aus dem Englischen von Till R. Lohmeyer und Christel Rost, Lübbe Verlag, 462 Seiten, 22 Euro 90)
Zugegeben: die Sprache dieses Thrillers über einen Diebstahl in einem schottischen Biotech-Labor klingt in etwa so harmonisch wie ein angerosteter Gartenhäcksler. Und auch die Charaktere und die Handlung scheinen sämtlich aus einem Fundus angloamerikanischer Gebrauchttexthändler entliehen. Aber irgendwie gefallen hat mir dieser Krimi in seiner sozialdemokratischen Behäbigkeit denn doch - erklär mir Liebe!
Platz drei: Dan Brown: Sakrileg (Deutsch von Piet van Poll, Lübbe Verlag, 605 Seiten, 19 Euro 90)
Schwer zu glauben, dass es noch irgend jemand gibt, der diese nervenzerfetzend spannende Geschichte über Jesus und seine Frau und den Heiligen Gral und die Jagd danach noch nicht kennt. Aber so muss es sein, sonst fände sich dieses Romanäquivalent zum Popcornkino ja nicht immer noch auf der Bestsellerliste.
Doch wie lautet einer der schönsten Sätze im Schwäbischen?
Jetzt war's aber lang schön!
Platz zwei: Diana Gabaldon: "Ein Hauch von Schnee und Asche" (Aus dem Amerikanischen von Barbara Schnell, Blanvalet Verlag, 1302 Seiten, 24 Euro 90)
Der eigentümliche Reiz von Zeitreisegeschichten liegt darin, dass jeder Doofel aus der Gegenwart, nur ein paar hundert Jahre in die Vergangenheit versetzt, zum Genie mutiert. Und deshalb macht es durchaus Spaß, Gabaldons Heldin, einer aus dem Jahr 1945 ins 18. Jahrhundert versetztem Krankenschwester, etwa dabei über die Schulter zu schauen, wie sie dort Penizillin herstellt. Aber dieser Spaß trägt nicht über weit, weit mehr als 1000 Seiten. Lesen ist eine persönliche Erfahrung, und dieser Roman und ich haben eines gemeinsam: wir beide sollten unbedingt abnehmen!
Platz eins der aktuellen Spiegel-Bestsellerliste Belletristik
Trommelwirbel, Tusch
Wie könnte es anders sein:
J.K. Rowling: Harry Potter und der Halbblut-Prinz. (Aus dem Englischen von Klaus Fritz, Carlsen Verlag, 656 Seiten, 22 Euro 50)
Darin wird Harry Potter wieder ein Jahr älter, muss sich wieder der Tücke Lord Voldemorts erwehren und verliert wieder einen Ersatzvater. Je älter Harry Potter allerdings wird, desto alberner erscheint das backfischhafte Herumgetänzle Rowlings um das Thema Sex: im Zaubererinternat Hogwarts wird nicht onaniert. Das ist schade, weil durch diese unnötige Entfernung von der Wirklichkeit die Kluft zwischen dem Unsagbaren und dem Unsäglichen unnötig erweitert wird. Davon abgesehen ist dieser Roman eine einzige große Vorbereitung auf das Finale in Band sieben, und: ein einziges großes Vergnügen.