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Die Suche nach dem verlorenen Kopf

Anthropologie. - Friedrich Schiller gilt als einer der bedeutendsten Köpfe der deutschen Literaturgeschichte, doch weniger sorgsam als mit seinen Werken wurde mit seinen sterblichen Überbleibseln verfahren. Weil sich in seiner Gruft mehrere Schädel fanden, untersuchen Experten die Gebeine mit modernen rechtsmedizinischen Methoden.

Von Thomas Wagner |
    Obwohl mit reichlich Fantasie ausgestattet – das hätte sich Friedrich Schiller zu Lebzeiten nie träumen lassen: Dass ausgerechnet sein Kopf Gegenstand hochkomplexer dreidimensionaler Computer-Simulationsmodelle sein wird – und das über 200 Jahre nach seinem Tod. Schiller starb am 9. Mai 1805. Er wurde, zusammen mit weiteren Toten, in der so genannten "Kassengruft" in Weimar beigesetzt. Dies ließ seinem Freund Johann Wolfgang von Goethe keine Ruhe. Jahre später stieg Goethe in die Gruft hinab.

    "Aus der ursprünglichen Bestattung der Kassengruft in Weimar sind damals etwa 20 Schädel von Goethe geborgen worden. Und Goethe und der Bürgermeister von Weimar haben von diesen 20 Schädeln einen herausgesucht, von dem sie glaubten, dass er Friedrich Schiller gehört, wobei die Argumentation von Goethe war: Es muss der größte und schönste Schädel sein..."

    Bei allem Respekt: Überaus wissenschaftlich, weiß Professor Ursula Wittwer-Backofen vom Freiburger Institut für Humangenetik und Anthropologie, war diese Argumentation nicht. Kein Wunder, dass die Forscher später schon genauer wissen wollten, wo Schillers Schädel abgeblieben war.

    "Der zweite Schädel stammt ebenfalls aus dieser Gruft und ist deutlich später von dem Anatom Frohrieb, fast 80 Jahre später, geborgen worden. Frohrieb hat damals auch schon mit dem Vergleich der Totenmaske und des Schädels gearbeitet, allerdings nicht mit der dreidimensionalen Methodik, die uns heute zur Verfügung stehen. Er hat zweidimensional gearbeitet und Punkte, Vergleiche zwischen Schädel und Totenmaske vorgenommen."

    Immerhin befand sich Frohrieb auf dem richtigen Weg. Denn das, was die Freiburger Forscher heute tun, ist eine Fortentwicklung dieses vergleichenden Verfahrens. In einem ersten Schritt werden die angeblichen Schiller-Schädel mit einem Computer-Tomographen gescannt. Auf der Basis dieser Daten entsteht ein dreidimensionales Modell. Wichtig dabei sind die so genannten "Landmarks".

    "An diesen Punkten wissen wir exakt die Weichteilstärken. Wir wissen genau bei einem solchen Punkt auf dem Schädel, welcher Punkt auf dem Weichgewebe darüber sitzen muss. Das wird vor allem auch benutzt in der Methodik der Planung von Gesichtsoperationen beispielsweise, wenn Unfall-Opfer wieder rekonstruiert werden müssen. Man versucht hier, nach bestimmten Messpunkten die Gesichter von Unfall-Opfer zu rekonstruieren."

    Aus diesen "Landmarks" und deren Anordnung zum restlichen Knochenaufbau können die Experten am Rechner den gesamten Kopf einschließlich des Gesichtes darstellen – und das auch noch dreidimensional. Was einfach klingt, ist allerdings äußerst zeitaufwendig: Denn die Analyse der Landmarks auf dem Schädel ist mühsam. Im Laufe der Jahrhunderte erlitten die Knochen Schäden, die erkannt und am Rechner extrapoliert werden müssen. Doch schon in den nächsten Wochen rechnen die Freiburger Wissenschaftler damit, die Köpfe und Gesichter, die zu den beiden Schädeln gehören, dreidimensional abbilden zu können. Parallel dazu bedienen sie sich noch eines weiteren Verfahrens: Sie wollen per DNA-Analyse die beiden Schädel mit einem so genannten "genetischen Fingerabdruck" Schillers vergleichen.

    "Wir haben beispielsweise in Bonn auf dem Alten Friedhof die Ehefrau Schillers, Charlotte, und den Sohn Ernst von Schiller exhumiert. Und hier haben wir dann eine Reihe von Vergleichsproben, die wir dann nutzen können."

    Die Exhumierung des Sohnes und der Ehefrau Schillers war aus einem wichtigen Grund notwendig: Nur so können die Wissenschaftler erfahren, welche Erbanteile des Sohnes von der Mutter und welche vom Vater stammen. Zwar gehören DNA-Tests schon seit Mitte der 90er Jahre zum Handwerkszeug der Kriminologen. Im Falle der Schiller-Schädel sind solche Abgleiche aber erst jetzt möglich, erklärt die Freiburger Projektleiterin Ursula Wittwer-Backofen. Zum einen entwickelten die Forscher erst jetzt die Technik, um die nur in sehr geringen Mengen vorliegende, 200 Jahre alte DNA zu isolieren, ohne dass es zu einer Vermengung mit neuer DNA kommt, beispielsweise durch die Berührung mit den Wissenschaftlern:

    "Zum anderen steht jetzt eine Methodik zur Verfügung, auch mit minimalen Spuren bei langem, bodengelagerten Material zu arbeiten. Und das nutzen wir natürlich."

    Beide Verfahren, sowohl die 3D-Rekonstruktion als auch die DNA-Tests, wenden die Freiburger Experten parallel auf beide Schädel an. In einigen Wochen, glauben sie, wird klar sein, welches der "echte" Schiller-Kopf ist. Daneben gibt es, so Ursula Wittwer-Backofen, ja noch eine weitere Alternative:

    "Es ist durchaus möglich, dass keiner der beiden Schädel Friedrich Schiller gehört und dass der tatsächliche Schiller-Schädel sich noch in der Kassen-Gruft befindet, die allerdings heute so stark beschädigt ist, dass keine Zuordnung der Fragmente mehr möglich sein wird."