Doch ach, liest man die Tagungsberichte, verfolgt man das Internet-Echo im "Pool" http://www.ampool.de oder dem "Forum der Dreizehn" http://www.nordkolleg.de, ja studiert man selbst den 17 Manuskriptseiten langen Eröffnungs-Rundumschlag von Maxim Biller, man kommt nicht dahinter, was diese Tutzinger Tagung von allen vorhergegangen Autorentreffen unterschied. Das Bier sei sehr gut gewesen, und die Schwäne seien so hübsch über den See geschwommen, erfährt man von den einen, auch daß keiner die Koffer gepackt und der Moderator seine Sache einfach fabelhaft gemacht habe, außerdem sei die Atmosphäre gewesen wie auf einem "Konvent intergalaktischer Lebensformen". Dann hört man von anderen Tagungsteilnehmern, der Moderator habe nach der Hälfte wegen Inkompetenz leider ausgewechselt werden müssen, der als Referent eingeladene Szenebub Benjamin von Stuckrad-Barre habe seine Koffer lieber für Thailand als für Tutzing gepackt, die Schwäne hätten arg zerrupft ausgesehen und überhaupt habe mal wieder jeder an jedem vorbeigeredet. Bleibt also das Bier.
Seit einigen Jahren schon ist es in Mode gekommen, die Veröffentlichung eines Romans durch allerlei werbe-trächtige Veranstaltungen jenseits der üblichen Tourneen durch Buchhandlungen und Literaturhäuser zu unterstützen. Ob angekündigte Nacktlesungen, Kollegenbeschimpfungen auf Tagungen oder skandalträchtige Essays, anything goes, solange es nur für den nötigen PR-Schub sorgt, um den Autor raus aus dem Literaturteil auf die Titelseiten der Feuilletons zu bringen, ja möglichst noch darüber hinaus in die Klatschspalten und, vielleicht, vielleicht, sogar in die TV-Talkshows. Gewiß liegt es in der Arbeitsökonomie der Schriftsteller begründet, wenn sie erst nach Abschluß eines umfangreichen Buchs die Zeit finden zu einem poetologischen Aufsatz oder der Organisation eines Treffens mit Kollegen. Dennoch drängt sich bei solchen Koinzidenzen der Verdacht auf, hier würde ein Rummel um des Rummels willens veranstaltet, würden Hilfskohorten um sich geschart, publizistische Sperrfeuer geordert.
Der letzte, der das nötig hat, ist Maxim Biller. Sein Roman "Die Tochter" ist eine beklemmend kluge Meditation über Täter und Opfer, Liebe und Verrat, Heimat und Fremde. Die durch kunstvoll motivierte Rückblenden immer wieder unterbrochene Odyssee des Protagonisten Motti durch das München der Gegenwart schenkt dem deutschen Leser einen Blick quasi von außen auf Deutschland, einen angesichts der Romanlänge von nur 425 Seiten erstaunlich umfassenden und tiefenscharfen Blick, ermöglicht durch eine fein austarierte Erzählerhaltung vergleichbar der ausgeklügelten Optik eines Weltraumteleskops, das trotz eines geringen Umfangs das Mehrfache seiner Eigengröße an Brennweite bietet. Gut möglich, daß wer das Wochenende statt in Tutzing mit der Lektüre dieses wirklich großen und bedeutenden Romans verbracht hat, einst von einem Erlebnis zu erzählen weiß.