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Die Totalität der Kunst und das Totalitäre

Zum 85. Geburtstag wird er in Wien mit zwei Ausstellungen geehrt. Der Aktionskünstler Otto Muehl. Unumstritten ist er jedoch nicht. Wegen Kindsmissbrauchs im Namen der Kunst saß er im Gefängnis. Nun hat er sich in einem Brief öffentlich bei den Opfern entschuldigt.

Von Beatrix Novy | 13.06.2010
    "Liebe Daniele,

    ich glaube, du hast mich vollkommen verstanden, dass ich mich in einigen sachen grundsätzlich geirrt habe. Ich habe als Künstler und, davon angestachelt, auch als Mensch Risiko auf mich genommen."


    Die Zahl der Künstler, die man posthum des sexuellen Missbrauchs bezichtigen darf, ist nicht gering. Aber nur einer wurde alt - und vielleicht weise - genug, nur einer konnte von einer neuzeitlich sensibilisierten Mitwelt lange genug gepiesackt werden, um sich dafür zu entschuldigen. Otto Muehl ließ gestern, in der Pressekonferenz zur ihm gewidmeten Ausstellung im Wiener Leopoldmuseum, einen Brief verlesen, in dem er Grund zur Reue bekennt.

    "Ich wollte sie"

    – die Kinder –

    "befreien und habe sie mit sexueller Überschreitung stattdessen überrumpelt und gekränkt"

    heißt es da. Und:

    "Es war auf keinen Fall meine Absicht."

    Es klingt wie das naive Erwachen eines fast 85-Jährigen. Als habe er, der 30 Jahre zuvor als Kaiser seiner Kommune kleine Mädchen nicht zu kränken glaubte, wenn er an ihnen das Privileg der Entjungferung vollzog, doch bessere Entschuldigungen für sein Tun als x-beliebige Triebtäter. Wie war das damals, als die Studentenbewegung ihre Kinder in alle Himmelsrichtungen der sektiererischen Weltveränderungs-Gangs entließ, eine davon die Aktionsanalytische Kommune des Wiener Aktionisten Otto Muehl, kurz AA-Kommune? Als das Mühlsche Amalgam aus Wilhelm Reich-Lektüre, eigenen psychoanalytischen und Aktionismuserfahrugen den Anspruch auf Befreiung begründete, der später an Jugendlichen exerziert werden sollte? Es ging um die Erlösung von den Verkrustungen autoritärer Erziehung und sexueller Repression, geübt wurde sie in Rollenspielen, verordneter Promiskuistät und verbaler Drastik, die Tabulosigkeit suggerierte, aber eher wie ein Hommage an Otto Muehls pralle burgenländisch-dörfliche Herkunft wirkten. Schon früh hörte man von der unbeschränkten Macht des Alphatiers Muehl und vom hierarchischen Gefüge der Gruppe, die nichtsdestoweniger ein beeindruckend produktiv funktionierendes Kollektiv auf dem burgenländischen Friedrichshof bildete. Realisierte Gemeinschaftsutopie auf hohem technischen Stand, daneben der Hordenchef, der wie weiland der Sonnenkönig mit dem privilegierten inneren Kreis, seinen Frauen und Kindern vor dem stehenden Fußvolk speiste. Den basisdemokratischen Anspruch aller Kommuneexperimente eben nicht zu haben, gehörte dazu: die Unverschleiertheit der Macht galt als ihre Überwindung. Ist ja alles nur Spiel, pflegte Otto den Gedemütigten zu sagen; auch die Gewalt, physisch oder psychisch, alles Spiel – also Kunst. Die ideologischen Wendungen des Gurus, mal galt das eine, mal das andere: alles Spiel – also Kunst. Wer es schaffte, im Spiel der emotionalen Selbstdarstellung zu brillieren, kam nach oben. Otto Muehl brauchte, um Gott zu sein, keine Metaphysik, deren Stelle nahm, neben seinem Charisma, die Kunst ein. Ein einzelner Vertreter der aktionistischen Kunst der 60er, die Kunst und Leben in eins setzen wollte, verlängerte seine Erfolgszeit um gut 20 Jahre. Aber Kunst ist nicht Leben; was Mühl betrieb, war die Verdrehung von beiden im Dienst der Machterhaltung. Totalität wurde zu Totalitarismus.

    Kunst und Leben des Künstlers sind immer auseinanderzuhalten – diese Maxime gilt, und doch gilt sie nur modifiziert, wo die lebenden Opfer danebenstehen. Die Initiative der geschädigten Ehemaligen vom Friedrichshof ist zufrieden darüber, dass in der Ausstellung keine Bilder von jugendlichen Missbrauchsopfern aus Otto Muehls Werk gezeigt werden. Lieber hätte sie es gehabt, wenn die Diskussion um Werk UND Leben des Künstlers nicht nur auf der Homepage des Museums, sondern in der Ausstellung selbst stattgefunden hätte.

    Als Wiederholung der aktionistischen Ineinssetzung von Kunst und Leben auf dem Terrain des Museums wäre das in diesem Fall zumindest kein Widerspruch.