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Die Tücken der Technik

Als Lektor der Princeton University Press erlebte der Wissenschaftsautor Edward Tenner, wie das Versprechen der Computerindustrie vom papierlosen Büro in wahren Endlospapierstößen unterging. Seitdem hat ihn das Thema der unerwünschten, unerwarteten und unberechenbaren Folgen der Technik nicht mehr losgelassen. Ob im Medizinwesen, im Umweltbereich, im Büro und im Sport, in allen gesellschaftlichen Bereichen hat der 53jährige Geschichtswissenschaftler von der Princeton University "Die Tücken der Technik" aufgespürt. Vieles ist einem bekannt, hat man schon einmal gehört oder gelesen, doch erst der systematische Überblick macht einem so recht deutlich, wie oft Tecnik das Gegenteil dessen bewirkt, wozu sie geschaffen wurde.

Johannes Kaiser |
    Der Autor macht dies auch an den Fortschritten der Medizin klar. Wenn Kopfschmerztabletten Kopfschmerzen hervorrufen, Asthmamittel Atemnotanfälle auslösen, dann ist das für Tenner ein Racheeffekt der Technik. Selbst die enormen Fortschritte in der Notfallmedizin rächen sind: die Zahl derjenigen, die mit schweren und schwersten Gehirnverletzungen überleben und damit zu unheilbaren, lebenslangen Pflegefällen werden, ist stark angewachsen. Zudem steigt die Zahl der chronisch Kranken ständig an, seitdem die Medizin akut lebensbedrohliche Krisen besser bekämpfen kann. Wer länger lebt, bekommt im Alter klassische Verschleißerkrankungen wie Arthrose, Rheuma, hohen Blutdruck, Herzrhythmusstörungen. Bisweilen entstehen völlig neue Gefahren durch leichtfertigen Medikamenteneinsatz. So glaubte man z.B. voller Optimismus in den vierziger Jahren, mit der Entdeckung der Antibiotika seien endlich ein für alle Mal bakterielle und virale Krankheiten besiegt. Ein großer Irrtum, so Tenner: "Man hat immer mehr Antibiotika auch gegen kleinere Krankheiten, auch gegen Erkältungen verschrieben und durch die wiederholte Einnahme von Antibiotika sind neue Generationen von Bakterien entstanden, die doch die Antibiotika überleben können. Diese Resistenz hat sich auch dadurch verbreitet, daß man die Behandlung oft frühzeitig unterbrochen hat. Auch gibt es in den Krankenhäusern besondere Bedingungen, eine Konzentration von sehr kranken Menschen, die zur Entwicklung dieser Pesistenzen auch dazu beigetragen hat."

    Daß sich z.B. in Großstädten wie New York wieder die TBC ausbreitet, liegt nicht zuletzt daran, daß ihre Erreger auf keines der üblichen Antibiotika mehr ansprechen.

    Doch nicht nur in der Medizin, auch in der Umwelt hat sich der technische Fortschritt als extremer Störenfried erwiesen. Das zeigen in den USA immer wieder die großen Naturkatastrophen. Mithilfe computergestützter besserer Wettervoraussagen, längerer Vorwarnzeiten und eines rascheren Rettungsdienstes hat man bei Erdbeben und Überschwemmungen, Hurricans und Tornados die Zahl der Todesopfer drastisch senken können, dafür sind jedoch die wirtschaftlichen Verluste, die materiellen Schäden enorm angestiegen. Da die unmittelbare Lebensgefahr nachgelassen hat, siedeln sich immer mehr Menschen in genau jenen Landstrichen an, die von solchen Naturkatastrophen regelmäßig heimgesucht werden. Man ist leichtsinnig geworden. Das kostet die Gesellschaft viel Geld.

    Ob im Büro oder in der Natur, in der Medizin oder selbst im Sport, die Technik zeigt allerorten ihr Janusgesicht. Soviel sie helfen kann, soviel kann sie auch zerstören. Nach Ansicht Edward Tenners hilft hier nur eines: sich wieder darauf zu besinnen, daß jede Technik ständiger Aufmerksamkeit bedarf. Man darf sich durch sie nicht in Sicherheit wiegen lassen, sondern muß sie besser überwachen, ständig warten und kontrollieren. "Wir haben geglaubt, daß die Technik sich selbst dirigieren könnte", erklärt Edward Tenner. "Wir haben geglaubt, daß wir nicht mehr aufpassen müßten, aber ich meine, daß gerade durch Wachsamkeit die Technik erst nutzbar ist, d.h. man muß immer die Folgen einer Technik sehr sorgfältig beobachten und auch die erfolgreichste Technik erfordert oft die größte Aufmerksamkeit. Man kann das schon so in den Krankenhäusern sehen. Wenn man sehr kräftige Heilmittel hat, müssen die Ärzte um so aufmerksamer sein. Das ist der Preis des Fortschritts. Ich bin keineswegs gegen den Fortschritt, aber ich bin gegen die Auffassung, daß alles von selbst laufen wird."