Burkhard Müller-Ullrich: Dass die Nazis die Kunst, die ihnen nicht passte, als "entartet" verfemt hatten, ist bekannt. Aber was genau fiel darunter? 21.000 Bilder waren von einer entsprechenden Nazi-Kommission als "entartet" klassifiziert worden, ein kleiner Teil davon wurde dann 1937 im Münchner Haus der Kunst gezeigt. Aber was ist mit dem großen Rest? Woraus besteht er und wo befindet er sich heute? - Seit zehn Jahren arbeitet eine Forschungsstelle der FU Berlin an der Beantwortung dieser Fragen, und aus Anlass des zehnjährigen Bestehens fand gestern und heute ein Symposium statt, auf dem wir die Kunsthistorikerin Meike Hoffmann erreicht haben. Da stiefelten also in der Mitte der 30er-Jahre nazitreue Kunstsachverständige durch deutsche Museen und konfiszierten alles, was ihnen missfiel. Frau Hoffmann, was ist aus diesem öffentlichen Eigentum geworden?
Meike Hoffmann: Dazu muss man wissen, dass in den 1920er-Jahren sich in Deutschland ja eine ganz besondere Museumslandschaft entwickelt hat. Nach Abdankung des Kaisers 1918 war es hier in Deutschland möglich, Museumssammlungen moderner Kunst aufzubauen. Vorher war das nicht möglich. Es gab zwar schon vorher durchaus fortschrittliche Museumsleiter, aber wie gesagt war das durch den Kaiser verhindert worden. Das war die letzte Hürde.
Es standen dann auch Museumsleute parat, die ausgebildet worden waren durch Alfred Lichtwark, dem Direktor der Hamburger Kunsthalle, der die Kunsterziehungsbewegung in Deutschland publik gemacht hat und sie verbreitet hat. Dazu gehörte, dass man Sammlungen moderner Kunst in den Museen anlegt, dass die Bevölkerung an moderner Kunst geschult wird, nicht allein an alter Kunst. Und als dann die letzte Hürde in die Museen gefallen ist, wie gesagt, wurden überall in Deutschland über hundert Sammlungen moderner Kunst aufgebaut – nicht nur in Berlin, nicht nur in den großen Städten, wie das jetzt in Frankreich oder in England der Fall war. Da war die moderne Kunst wirklich zentriert in Paris und in London. Hier in Deutschland waren sie überall vertreten und bis in die hinterste Provinz konnte man sich moderne zeitgenössische Kunst anschauen. Diese Museumslandschaft, diese einzelnen Sammlungen auch virtuell wieder entstehen zu lassen, das ist auch eine unserer Hauptaufgaben, denn das war unsere kulturelle Identität und die haben wir verloren.
Müller-Ullrich: Jetzt ist es natürlich schwierig, die Moderne über das Etikett "entartet" zu redefinieren. Allerdings: Es gab ja seitens der Nazis da eine große Unbestimmtheit.
Hoffmann: Richtig.
Müller-Ullrich: Im Grunde war es keineswegs ausgemacht, was jetzt als entartet gelten sollte. Die hatten da weitgehend freie Hand.
Hoffmann: Das stimmt. Freie Hand, ja. Man kann sich an den Museumsführer zur Ausstellung "Entartete Kunst" halten. Die Nationalsozialisten haben auch gesehen, um Negativpropaganda mit den beschlagnahmten Werken zu betreiben, muss man das ganze mit Argumenten hinterfüttern, und in dem Museumsführer ist die entartete Kunst in neun Gruppen eingeteilt. Man hat schon versucht, das irgendwie ein bisschen zu definieren, allerdings erst nach der Beschlagnahme. Das heißt, wenn wir diese neun Gruppen mit den beschlagnahmten Werken abgleichen, haben wir viele Grauzonen, und man fragt sich bei vielen Werken, warum ist denn das jetzt als entartet beschlagnahmt worden. Alles, was nicht in das Idealbild der Nationalsozialisten passte, versucht man, anhand dieser neun Gruppen auszudrücken. Aber wie gesagt: Es herrschte eine große Grauzone und die Beschlagnahme war auch abhängig von den Abneigungen der Lokalpolitiker, die mit in dieser Beschlagnahmekommission wirkten.
Müller-Ullrich: Die deutschen Museen haben sich ja nach 1945 mehr oder weniger darauf geeinigt, diese Beschlagnahme auf sich beruhen zu lassen. Dient Ihre Arbeit dazu, das Paket wieder zu öffnen?
Hoffmann: In juristischer Hinsicht sicherlich nicht. Diese Lage ist entschieden und soll auch so entschieden bleiben. Dennoch bin ich zum Beispiel immer dafür, dass sich die Museumsleiter der damals betroffenen Museen vielleicht noch mal an einen Tisch setzen. Es herrscht immer noch große Unsicherheit im Umgang mit Kunstwerken, die im Dritten Reich den Besitzer gewechselt haben, auch bei entarteter Kunst. Viele Museen melden sich, sobald ein Werk auftaucht, auch auf dem internationalen Markt, und sind auch der Meinung, sie haben einen Rückerstattungsanspruch. Aber das kann sicherlich nicht auf einem juristischen Weg ausgehandelt werden.
Müller-Ullrich: Wie ist das denn mit diesem Auftauchen in den letzten zehn Jahren? Gibt es da spektakuläre Entdeckungserlebnisse aufgrund Ihrer Datensammlung?
Hoffmann: Na ja. Der Letzte, der ja auch wirklich reichlich durch die Medien gegangen ist, das ist der Berliner Skulpturenfund. Der Landesarchäologe von Berlin hat ja bei Ausgrabungen vor dem Roten Rathaus insgesamt 16 Skulpturen ausgraben können mit seinem Team und die Forschungsstelle ist schnell zurate gezogen worden und anhand unserer Datenbank konnten wir ja bis auf eine Figur alle ganz eindeutig identifizieren und auch die Herkunft und auch die Schicksalswege nachvollziehen. Das war natürlich schon eine der spektakulären Entdeckungen, auch wenn diese Figuren heute nur noch fragmentiert aus der Erde geholt werden konnten.
Müller-Ullrich: Meike Hoffmann von der Forschungsstelle "Entartete Kunst” am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin gab anlässlich des zahnjährigen Bestehens Auskunft über eine ganz besondere Recherche- und Katalogisierungsarbeit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Meike Hoffmann: Dazu muss man wissen, dass in den 1920er-Jahren sich in Deutschland ja eine ganz besondere Museumslandschaft entwickelt hat. Nach Abdankung des Kaisers 1918 war es hier in Deutschland möglich, Museumssammlungen moderner Kunst aufzubauen. Vorher war das nicht möglich. Es gab zwar schon vorher durchaus fortschrittliche Museumsleiter, aber wie gesagt war das durch den Kaiser verhindert worden. Das war die letzte Hürde.
Es standen dann auch Museumsleute parat, die ausgebildet worden waren durch Alfred Lichtwark, dem Direktor der Hamburger Kunsthalle, der die Kunsterziehungsbewegung in Deutschland publik gemacht hat und sie verbreitet hat. Dazu gehörte, dass man Sammlungen moderner Kunst in den Museen anlegt, dass die Bevölkerung an moderner Kunst geschult wird, nicht allein an alter Kunst. Und als dann die letzte Hürde in die Museen gefallen ist, wie gesagt, wurden überall in Deutschland über hundert Sammlungen moderner Kunst aufgebaut – nicht nur in Berlin, nicht nur in den großen Städten, wie das jetzt in Frankreich oder in England der Fall war. Da war die moderne Kunst wirklich zentriert in Paris und in London. Hier in Deutschland waren sie überall vertreten und bis in die hinterste Provinz konnte man sich moderne zeitgenössische Kunst anschauen. Diese Museumslandschaft, diese einzelnen Sammlungen auch virtuell wieder entstehen zu lassen, das ist auch eine unserer Hauptaufgaben, denn das war unsere kulturelle Identität und die haben wir verloren.
Müller-Ullrich: Jetzt ist es natürlich schwierig, die Moderne über das Etikett "entartet" zu redefinieren. Allerdings: Es gab ja seitens der Nazis da eine große Unbestimmtheit.
Hoffmann: Richtig.
Müller-Ullrich: Im Grunde war es keineswegs ausgemacht, was jetzt als entartet gelten sollte. Die hatten da weitgehend freie Hand.
Hoffmann: Das stimmt. Freie Hand, ja. Man kann sich an den Museumsführer zur Ausstellung "Entartete Kunst" halten. Die Nationalsozialisten haben auch gesehen, um Negativpropaganda mit den beschlagnahmten Werken zu betreiben, muss man das ganze mit Argumenten hinterfüttern, und in dem Museumsführer ist die entartete Kunst in neun Gruppen eingeteilt. Man hat schon versucht, das irgendwie ein bisschen zu definieren, allerdings erst nach der Beschlagnahme. Das heißt, wenn wir diese neun Gruppen mit den beschlagnahmten Werken abgleichen, haben wir viele Grauzonen, und man fragt sich bei vielen Werken, warum ist denn das jetzt als entartet beschlagnahmt worden. Alles, was nicht in das Idealbild der Nationalsozialisten passte, versucht man, anhand dieser neun Gruppen auszudrücken. Aber wie gesagt: Es herrschte eine große Grauzone und die Beschlagnahme war auch abhängig von den Abneigungen der Lokalpolitiker, die mit in dieser Beschlagnahmekommission wirkten.
Müller-Ullrich: Die deutschen Museen haben sich ja nach 1945 mehr oder weniger darauf geeinigt, diese Beschlagnahme auf sich beruhen zu lassen. Dient Ihre Arbeit dazu, das Paket wieder zu öffnen?
Hoffmann: In juristischer Hinsicht sicherlich nicht. Diese Lage ist entschieden und soll auch so entschieden bleiben. Dennoch bin ich zum Beispiel immer dafür, dass sich die Museumsleiter der damals betroffenen Museen vielleicht noch mal an einen Tisch setzen. Es herrscht immer noch große Unsicherheit im Umgang mit Kunstwerken, die im Dritten Reich den Besitzer gewechselt haben, auch bei entarteter Kunst. Viele Museen melden sich, sobald ein Werk auftaucht, auch auf dem internationalen Markt, und sind auch der Meinung, sie haben einen Rückerstattungsanspruch. Aber das kann sicherlich nicht auf einem juristischen Weg ausgehandelt werden.
Müller-Ullrich: Wie ist das denn mit diesem Auftauchen in den letzten zehn Jahren? Gibt es da spektakuläre Entdeckungserlebnisse aufgrund Ihrer Datensammlung?
Hoffmann: Na ja. Der Letzte, der ja auch wirklich reichlich durch die Medien gegangen ist, das ist der Berliner Skulpturenfund. Der Landesarchäologe von Berlin hat ja bei Ausgrabungen vor dem Roten Rathaus insgesamt 16 Skulpturen ausgraben können mit seinem Team und die Forschungsstelle ist schnell zurate gezogen worden und anhand unserer Datenbank konnten wir ja bis auf eine Figur alle ganz eindeutig identifizieren und auch die Herkunft und auch die Schicksalswege nachvollziehen. Das war natürlich schon eine der spektakulären Entdeckungen, auch wenn diese Figuren heute nur noch fragmentiert aus der Erde geholt werden konnten.
Müller-Ullrich: Meike Hoffmann von der Forschungsstelle "Entartete Kunst” am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin gab anlässlich des zahnjährigen Bestehens Auskunft über eine ganz besondere Recherche- und Katalogisierungsarbeit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.