Montag, 06. Mai 2024

Archiv


Die Versöhnung der Planung mit dem Etat

Morgen will Verteidigungsminister Peter Struck die nächsten Entscheidungen zur Transformation der Bundeswehr bekannt geben. Wie immer vor solchen Pressekonferenzen bestimmen die Themen solcher Entscheidungen schon einen Teil der politischen Diskussionen der Vortage. So ist vieles schon im Trend bekannt, manches wird aber auch morgen noch nicht entscheidungsreif sein. Wo steht die Bundeswehr auf ihrem Weg andauernder Reform? Was wird jetzt entschieden und was braucht noch Zeit?

Von Rolf Clement | 12.01.2004
    Um zu signalisieren, dass die jetzt anstehenden Umbauprojekte der Bundeswehr den Anspruch haben, über das bisherige Reformvolumen hinauszugehen, sprechen die Experten in dieser Zeit von einer Transformation, nicht mehr von einer Reform. Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan begründete im November vergangenen Jahres auf dem Forum Bundeswehr und Gesellschaft der Welt am Sonntag den Begriffswechsel so:

    Im heutigen Sprachverständnis ist die Reform eine Neuordnung des Bestehenden. Sie ist die Fortschreibung eines bestehenden Ansatzes und impliziert zugleich Verbesserung. Transformation dagegen wird verstanden als Umwandlung von etwas Bestehendem in etwas Neues. Es geht dabei vor allem darum, einen signifikanten qualitativen Sprung in den Fähigkeiten und damit in der Wirksamkeit unserer Streitkräfte zu erreichen.

    Schneiderhan hat im Frühsommer vergangenen Jahres einen klaren Auftrag von Verteidigungsminister Struck erhalten: Versöhnen Sie die Bundeswehrplanung mit dem Haushalt! Im Klartext: Die Planung der Bundeswehr muss sich an den verfügbaren Haushaltsmitteln orientieren. Es kann nicht mehr gelten, dass die Bundeswehr das aufschreibt, was sie braucht, um die politisch vorgegebenen Aufträge zu erfüllen – sie muss organisieren, dass sie mit dem auskommt, was sie bekommt.

    Damit liegt der Rahmen auf dem Tisch, in den die Bundeswehr gestellt werden soll: Da sind die verteidigungspolitischen Richtlinien, mit denen im vergangenen Sommer die konzeptionellen Grundlagen der Bundeswehr an die gegenwärtige Einsatzrealität angepasst wurden. Da sind die Haushaltszahlen, an denen sich wenig zu Gunsten der Bundeswehr verändern lässt, so lange es unrealistisch ist, dass die politische Entscheidung getroffen wird, den Streitkräften mehr zur Verfügung zu stellen. Da sind weiter die bereits getroffenen Entscheidungen für die neue Bundeswehr, z.B. die Reduzierung der Personalstärke auf 250.000 Soldaten.

    Verteidigungsminister Struck legt Wert darauf, dass die Bundeswehr nahezu ausschließlich im Bündnisrahmen, also mit Partnern, eingesetzt werden soll. Deshalb, so formuliert er, müssen die Ressourcen für die gemeinsamen Ziele besser genutzt werden.

    Gemeinsam besser in der Lage zu sein, die veränderten sicherheitspolitischen Herausforderungen zu meistern, indem die besten Ressourcen beider Seiten für die gemeinsamen Ziele genutzt werden. Diesem Ziel dient der von mir eingeschlagene neue Kurs für die Bundeswehr. Er wird die Fähigkeiten der Streitkräfte wesentlich verbessern und ihnen erlauben, erfolgreich zusammen mit den Verbündeten und Partnern in multinationalen Operationen zu agieren. Ohne die Gefahr der Überforderung der Bundeswehr als Ganzes, angepasst an ein verändertes Aufgabenprofil.

    Eine wichtige Entscheidung, für deren Akzeptanz in den Streitkräften Schneiderhan unentwegt kämpft, ist, dass die Bundeswehr viel stärker als bisher streitkraftgemeinsam organisiert wird. Nicht mehr die Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine sind Orientierungspunkte der Planungen, sondern die Bundeswehr als ganzes. Dies ist Ausfluss der Erfahrungen, die bei den Einsätzen der vergangenen Jahre gemacht wurden – nicht nur von der Bundeswehr, sondern auch von den Streitkräften anderer Länder. Generalinspekteur Schneiderhan:

    Diese Transformation ist also mehr: Sie muss mehr bedeuten, als die Weiterentwicklung von Organisationsformen. Sie muss mehr bedeuten, als die Weiterentwicklung von Waffensystemen in Teilstreitkraftorganisation.

    In einigen Bereichen hat die Bundeswehr diese Umstrukturierung schon vorgenommen. Vor allem die unterstützenden Bereichen wurden teilstreitkraftübergreifend zusammengefasst. So ist die Logistik und Ausbildung in einer neuen Organisationseinheit, der sog. Streitkräftebasis, der SKB, organisiert worden. Auch der Sanitätsdienst wurde aus den Teilstreitkräften herausgelöst und in einer eigenen Organisationseinheit zusammengefasst. Mit dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam wurde ein Führungselement geschaffen, das teilstreit-kraftübergreifend die Einsätze der Bundeswehr führt. Dort dienen Soldaten aus allen drei Teilstreitkräften und den Organisationsbereichen. So wird die Bundeswehr straffer geführt als bei den vorherigen Einsätzen.

    Nun kommt eine neue innere Organisation der Bundeswehr: Sie wird unterteilt in Einsatzstreitkräfte, Stabilisierungsstreitkräfte und Unterstützungsstreitkräfte. Damit soll das Einsatzspektrum der Bundeswehr abgebildet werden.

    Die Einsatzstreitkräfte sollen 35.000 - 40.000 Soldaten umfassen. Diese Zahl leitet sich aus den Verpflichtungen ab, die die Bundeswehr auf der internationalen Ebene eingegangen ist. Dazu gehören die Beteiligung an der Eingreiftruppe der EU, an der NATO-Response-Force und die Fähigkeit, in nationaler Verantwortung beispielsweise eine Evakuierungsoperation allein zu führen. Mit Einsatzkräften in dieser Größenordnung könnte die Bundeswehr innerhalb einer größeren multinationalen Operation eine Teiloperation substantiell unterstützen oder selbstständig führen. Diese Soldaten müssen auf hohem techno-logischen Niveau ausgerüstet sein, letztlich also besser als jene, die in Deutschland verbleiben. Generalinspekteur Schneiderhan:

    Eingreifkräfte für friedenserzwingende Einsätze müssen in der Lage sein, einen raschen Erfolg gegen einen militärisch organisierten Gegner bei minimierten eigenen Verlusten zu erzielen. Damit entfalten sie eine hohe Abschreckungswirkung, können friedenerzwingende Maßnahmen durchsetzen und die Voraussetzungen schaffen für friedenserhaltende Operationen. Dazu müssen sie im streitkräftegemeinsamen und multinationalen Umfeld in allen Dimensionen wirksam eingesetzt werden können. Sie müssen zu uneingeschränkt vernetzten Operationen und
    zum Gefecht der verbundenen Waffen, zur verbundenen Luft- und Seekriegführung sowie zum präzisen Waffeneinsatz im gesamten Reichweitenspektrum befähigt sein.


    Damit gehören zu den Eingreifkräften auch jene, die im Anti-Terror-Kampf eingesetzt sind. Heer, Luftwaffe und Marine bleiben als Teilstreitkräfte erhalten. Aber sie agieren nicht mehr operativ. Sie sind Truppensteller für die Eingreifkräfte.

    Nach demselben Prinzip sind auch die Stabilisierungskräfte organisiert. Sie sollen rund 75.000 Soldaten umfassen. Sie sollen in Szenarien wie in Bosnien-Herzegowina und im Rahmen der ISAF-Truppe in Afghanistan eingesetzt werden. General Schneiderhan:

    Die andere Kategorie sind die Stabilisierungskräfte für friedenserhaltende Einsätze. Sie müssen vernetzbar sein. Sie müssen sich gegen einen teilweise militärisch organisierten, überwiegend jedoch asymmetrisch operierenden Gegner bei minimierten eigenen Verlusten durchsetzen können.
    Diese Stabilisierungskräfte müssen Konfliktparteien trennen und Waffenstillstandsvereinbarungen überwachen können. Sie sollen den Schutz der Bevölkerung, den Schutz staatlicher Autorität und öffentlicher Infrastruktur sicherstellen, und sie müssen zur Abwehr örtlich begrenzter Angriffe befähigt sein. Weiterhin sollen sie friedensstörende Kräfte durch Spezial- und spezialisierte Operationen ausschalten. Diese Stabilisierungskräfte müssen auf lange Zeit durchhaltefähig sein.


    Die Trennlinien zwischen den Aufgaben sind nicht immer ganz klar zu ziehen, manches fließt in den Grenzbereichen. So können Eingreifkräfte nach Vollendung ihrer Aufgabe Stabilisierungsaufgaben wahrnehmen müssen, bevor die Stabilisierungskräfte kommen. Andererseits kann es auch Lagen geben, in denen Stabilisierungsmissionen in Einsatzszenarien umschlagen, die von den vorhandenen Streitkräften bewältigt werden müssen.

    Insgesamt stehen damit rund 100.000 Soldaten für die verschiedenen Einsatzoptionen der Bundeswehr bereit. Das heißt aber nicht, dass diese alle gemeinsam eingesetzt werden können. Zu jedem Einsatz gehören eine Vorbereitungs- und eine Nachbereitungsphase. Damit werden zwei weitere Einsatzkontingente gebunden. Aber es wird eine deutlich höhere Einsatzbereitschaft als heute sichergestellt. Vor allem werden Verbände gebildet, die dann insgesamt gemeinsam - und nicht mehr frisch aus vielen Einheiten zusammengestellt - ausrücken, wodurch die Effektivität erhöht wird.

    Die Unterstützungskräfte bestehen aus rund 140.000 Soldaten, die all jene Aufgaben wahrnehmen, die einen Einsatz möglich machen – vor dem Abmarsch und auch während der Durchführung der Mission.

    Gegen diese Trennung und die teilstreitraftübergreifende Organisation der Streitkräfte gibt es in der Bundeswehr noch erhebliche Vorbehalte. Vor allem die Führung des Heeres sucht immer wieder, die Rolle der eigenen Teilstreitkraft auch im unterstützenden Bereich und bei der Einsatzführung stärker zu beschreiben als dies dem Generalinspekteur vorschwebt. Sie fordert eine stärkere heereseigene Autarkie in den Missionen und Einsätzen. Deswegen müssten auch unterstützende Elemente stärker beim Heer bleiben. Dem stehen erhebliche Synergieeffekte entgegen, die entstehen, wenn weitgehend identische Logistikstrecken für die Teilstreitkräfte gemeinsam aufgebaut werden. Für eine teilstreitkraft-orientierte Organisation, so der Generalinspekteur, fehlt schlicht das Personal. Dieser Konflikt wird hinter den Kulissen sehr heftig ausgetragen. Er ist einer der Bremsen, die dieser Transformation immer wieder entgegenstehen. In diesem Fall geht es so weit, dass es Spekulationen um eine Ablösung des Inspekteurs des Heers, General Gudera, gibt.

    Gliederungen dieser Art sind immer mit Diskussionen verbunden, in denen auch das Wort von einer Zwei-Klassen-Armee die Runde macht. Aber dies ist nicht neu. Schon zu Zeit des Kalten Krieges war die Bundeswehr, vor allem das Heer, unterteilt in Territorialstreitkräfte, die damals die Sicherung des Hinterlandes in der damaligen Bundesrepublik zur Aufgabe hatten, und das Feldheer, das an der damaligen Systemgrenze das Eindringen des Gegners nach Westdeutschland verhindern sollte.

    Später, in den 90er Jahren, wurde die Bundeswehr unterteilt in Krisenreaktions- und Hauptverteidigungskräfte. Die Krisenreaktionskräfte sollten damals zunächst die Auslandseinsätze bewältigen. Erste Aufgabe der Hauptverteidigungskräfte war die Landes- und Bündnisverteidigung, bevor diese Truppe dann als zweites auch für die internationalen Missionen der Bundeswehr eingesetzt werden sollte.


    In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wuchsen die Anforderungen an die Bundeswehr für Auslandseinsätze sehr schnell stark an. Zudem wurde es als immer unwahrscheinlicher angesehen, dass Landes- und Bündnisverteidigung noch realistische Aufgabenprofile sein würden. Damit war die innere Aufteilung in Krisenreaktions- und Hauptverteidigungskräfte nicht mehr ausreichend. Sie wurde aufgegeben. Jetzt wird eine neue Struktur aufgelegt.

    Verteidigungsminister Struck hat die Stärke der Bundeswehr auf 250.000 Soldaten festgelegt. Damit sollen die Aufgaben erfüllbar sein. Allerdings stand auch bei dieser Entscheidung der Blick in den Haushaltsplan Pate. Personalkosten sollten reduziert werden, damit Mittel für notwendige Beschaffungen frei werden. Welche Auswirkungen diese neue Struktur auf das Standortkonzept der Bundeswehr haben wird, ist noch Gegenstand von Untersuchungen, die der Führungsstab der Streitkräfte noch anstellt. Allerdings ist von weiteren Standortschließungen auszugehen.

    Ein weiteres noch nicht abgeschlossenes Element ist die Ausrüstungsplanung. Zur Grundlage für dieses Planung nochmals Generalinspekteur Schneiderhan:

    Eine moderne und qualitativ hochwertige materielle Ausprägung sämtlicher Teilfähigkeiten ist angesichts der sicherheitspolitischen Lage nicht erforderlich. Sie ist auch finanziell nicht zu leisten. Wir müssen bei der Ausprägung unserer militärischen Fähigkeiten also Prioritäten setzen. Wir müssen bei der Beschaffung, bei der so genannten "operativen Hardware", auch bereit sein, auf die uns lieb gewordenen Goldrandlösungen zu verzichten.


    Auch hier muss die Planung mit dem Etat versöhnt werden, wie es in der Spitze der Bundeswehr so gern formuliert wird. In zahlreiche Rüstungsprojekte wird eingegriffen werden, aber dafür sind erst Vorarbeiten geleistet. Denn bei der Veränderung in der Ausrüstungsplanung müssen einige Parameter berücksichtigt werden.

    So sind viele Projekte bereits in konkrete und bindende Verträge gegossen. Bei einigen davon sind allerdings die Stückzahlen noch nicht bis ins letzte festgelegt. Dort sind bei der Vereinbarung über künftige Lieferetappen, sog. Lose, Veränderungen denkbar. Die dadurch erzielbaren Einsparungen sind aber nicht in Form eines klassischen Dreisatzes berechenbar, da eine geringere Gesamtstückzahl die Preise für die einzelnen Waffensysteme anhebt. Die Preiskalkulationen wurden immer aufgrund erwarteter Bestellzahlen angestellt, die die Streitkräfte angegeben haben.

    Bei weiteren Systemen gibt es internationale Verpflichtungen, die nur im Einvernehmen mit den Partnerländern und den Vertragspartnern der Industrie verändert werden können. Hier ist also noch Verhandlungsbedarf.

    So denkt man bei der Bundeswehr über ein Schieben in der Entwicklung des neuen Radpanzers nach, über Stückzahlkürzungen bei dem NATO-Transporthubschrauber NH 90 und dem Kampfhubschrauber Tiger. Eine Kampfdrohne, die erst in der Entwicklung steht, könnte ganz gestrichen werden.

    Klare Akzente werden in jenen Bereichen gesetzt, die die persönliche Ausrüstung von Soldaten betrifft. Ihr Schutz soll nachhaltig verbessert werden. Die Aufklärungsfähigkeit der Bundeswehr soll ebenfalls geschärft werden. Dies sind zwei Bereiche, die aller Voraussicht nach von Kürzungen nicht betroffen sein werden, in denen sogar an die Neuauflage von Projekten gedacht wird.

    Hinzu kommt ein andauernder Erneuerungsbedarf, den Streitkräfte immer haben. So rüttelt z.B. gegenwärtig niemand an der Planung, eine neue Fregatte für das kommende Jahrzehnt zu entwickeln.

    Das Einsparvolumen wird in der öffentlichen Debatte zur Zeit mit rund 25 Milliarden Euro bis zum Jahr 2012 angegeben. Diese Zahl erscheint Experten als zu hoch. Allenfalls 20 Milliarden Euro sind in diesem Zeitraum realistisch. Bis zum Jahr 2007 ist sogar ein Sparvolumen aus dem Ausrüstungsbereich nur bis zur Größenordnung von 1.9 Milliarden Euro realistisch.

    Generalinspekteur Schneiderhan will in die neue Struktur möglichst viele Elemente der Flexibilität einbauen. So soll in der Ausrüstungsplanung ein Aufwachsen möglich werden, wenn sich politisch eine bessere Ausstattung der Bundeswehr ergeben sollte. Bei der Ausplanung der Personalstruktur soll darauf geachtet werden, dass die Strukturveränderungen nicht allzu tiefgreifend sind, wenn eine politische Entscheidung gegen die Fortführung der Wehrpflicht fallen sollte. Die Ausbildungseinheiten sollen in einer Art Reißverschlussverfahren an die anderen Verbände angefügt werden.

    Generalinspekteur Schneiderhan und Verteidigungsminister Struck sind Anhänger der allgemeinen Wehrpflicht. Struck soll, wie man hört, auf der morgigen Pressekonferenz ein eindeutiges Bekenntnis zur Fortführung der Wehrpflicht abgeben. Allerdings wird diese reformiert. Eine Arbeitsgruppe im Verteidigungsministerium arbeitet an einer Reform der Ausbildungsgänge, in denen stärker als bisher Einsatzerfahrungen eingebaut werden sollen. Wenn Soldaten sich über die neun Monate Grundwehrdienst hinaus verpflichten und damit zu Auslandseinsätzen mitgenommen werden können, soll die militärische Ausbildung bereits abgeschlossen sein. Lediglich eine Spezialausbildung, die sich auf die Region des Einsatzes und den konkreten Auftrag bezieht, soll dann noch nötig sein.

    Offensichtlich denkt Verteidigungsminister Struck auch über weitergehende Einsatzoptionen für Grundwehrdienstleistende nach. In einem Beitrag für die Januar-Ausgabe der Fachzeitschrift "Europäische Sicherheit" schrieb der Minister:

    Auf freiwilliger Basis und sofern ihre Ausbildung hinreichend ist, können Grundwehrdienstleistende auch im Auslandseinsatz der Bundeswehr wichtige Aufgaben wahrnehmen.

    Diese Planungen sind noch nicht abgeschlossen. Durch zwei Entwicklungen wird die Diskussion um die Wehrpflicht immer wieder angeheizt. Die eine liegt in der Bundeswehr selbst: Durch die Reduzierung der Gesamtstärke der Bundeswehr auf 250.000 Soldaten reduziert sich auch die Zahl der Grundwehrdienstleistenden auf 30.000. Deshalb ist schon von einer Auswahlwehrpflicht die Rede, der dann nicht mehr alle wehrfähigen jungen Männer Folge leisten müssten. Eine solche Auswahlwehrpflicht hat auch die Zukunftskommission ins Gespräch gebracht, die der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping eingerichtet und der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker geleitet hatte. Kritiker wenden ein, dass dies mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes nicht vereinbar sei.

    Die zweite Entwicklung setzt Jugendministerin Renate Schmidt. Sie gilt als Gegnerin der Wehrpflicht. Sie hat bei den letzten Sparbeschlüssen der Bundesregierung das auf sie entfallende Sparvolumen zu überwiegenden Teilen durch den Abbau von Zivildienstplätzen erwirtschaftet. Sie wurden in den letzten Jahren nahezu halbiert. Damit können bei weitem nicht alle zivil-dienstpflichtigen jungen Männer einberufen werden. In diesem Bereich besteht damit das Problem der Dienstgerechtigkeit. Vor diesem Hintergrund sind auch die heutigen Andeutungen einiger Verbände, die Zivildienstleistende einsetzen, zu verstehen, nach denen diese den Eindruck haben, die Tage des Zivildienstes seien gezählt.

    Struck ist in der Wehrpflichtfrage in einem strukturellen Vorteil: Jeder, der eine Veränderung an der Wehrstruktur erreichen will, braucht dafür eine Mehrheit im Parlament. Für die Veränderung ist ein Gesetz erforderlich. Die anderen Entscheidungen, die die Transformation der Bundeswehr ausmachen, bedürfen keiner Gesetzesänderung. Hierfür ist also eine formale parlamentarische Zustimmung nicht erforderlich. Lediglich die Beschaffungen muss der Bundestag genehmigen. Aber er bekommt dabei nur Vorlagen zur Abstimmung, die das enthalten, was die Bundeswehr beschaffen will – nicht das, was gestrichen wird. Bei der Transformation der Bundeswehr ist die Regierung also in einem sehr weitgehenden Rahmen allein handlungsfähig.