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"Die Wahrheit liegt in der Urne"

Das gemeinsame Wahlprogramm der Union sieht zwar einige Steuergeschenke vor, der bayerischen CSU gehen diese jedoch nicht weit genug. Sie veröffentlichte daher einen eigenen "ergänzenden Wahlaufruf". Auf dem CSU-Parteitag war dagegen viel von Geschlossenheit die Rede - wie unter Schwestern üblich?

Von Barbara Roth, Christiane Wirtz und Stefan Maas | 18.07.2009
    Ständchen Kinderchor Nürnberg: "Zum Geburtstag wünschen heute große und auch kleine Leute alles Gute und viel Glück, Du bist unser bestes Stück."

    Delegierter: "Sie ist das beste Stück. Das beweisen ja auch alle Umfragen. Sie steht an erster Stelle. Und ich glaube, es ist ein Glücksfall für uns, für die CSU/CDU, dass wir eine solche Kanzlerin haben."
    Angela Merkel hat Geburtstag. 55 Jahre alt ist sie geworden und so, wie schon im vergangenen Jahr, feiert sie ihren Geburtstag auf dem Parteitag der CSU. Im Kreise der Familie gewissermaßen. Der Kinderchor aus Nürnberg singt ein Lied, und auch die Delegierten finden schöne Worte für ihre Kanzlerin.

    Doch wie das auf Familienfesten nun mal so ist - da mag es Grund zum Feiern geben. Leicht miteinander hat man es deshalb noch lange nicht.

    "Beide wissen, dass es sich hier um zwei verschiedene Parteien handelt: Schwesterparteien - aber Schwestern, keine Zwillinge. Und es ist immer wieder gut, dass man auch gelegentlich miteinander diskutiert, dass man mal um den einen oder anderen Punkt ringt, aber dass man dann auch gemeinsam zu marschieren weiß und sich unterhakt. Und das wird bis zu den Wahlen der Fall sein und auch danach wieder."

    Auch Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist nach Nürnberg gekommen und propagiert die Geschlossenheit der Union. Überhaupt ist auf diesem Parteitag viel von Geschlossenheit die Rede. Weil die CSU wieder über die 50-Prozenthürde will. Weil man die Große Koalition in Berlin beenden und mit den Liberalen weiterregieren will. Dabei zeigte die CSU noch vor dem Parteitag einige Ambitionen, sich von der großen Schwester CDU abzusetzen. Zum Beispiel beim Thema Steuersenkungen.

    Zwar gibt es ein gemeinsames Wahlprogramm der Union: Danach soll der Kinderfreibetrag erhöht, der Eingangssteuersatz gesenkt und der Steuertarifverlauf arbeitnehmerfreundlicher werden. Doch diese Versprechen gingen der CSU noch nicht weit genug. Zu Beginn dieser Woche legte sie deshalb einen "ergänzenden Wahlaufruf" vor. Sie nannte Termine und versicherte, man werde die Steuern 2011 und 2012 in zwei Schritten senken.

    "Ein eigener Wahlaufruf ist im Grunde etwas ganz Normales, wenn man noch einmal deutlich machen will, dass man eine eigene Handschrift hat, und dass man eben zwei Parteien darstellt und dass diese beiden Parteien ein Höchstmaß an Schnittmengen haben, an Gemeinsamkeiten, aber es den einen oder anderen Punkt gibt, wo man mal eine Nuancierung auch noch setzt. Und das ist gelungen."
    Mit eigener Handschrift will die CSU nicht nur die Steuer-, sondern auch Europapolitik schreiben. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabonvertrag forderte vor allem die CSU-Spitze, Bundestag und Bundesrat mehr Einfluss in europäischen Fragen zu geben. Am vergangenen Wochenende legte die CSU ein Papier mit 14 Punkten vor, das eine starke Rolle Deutschlands in Europa sichern soll. Die CDU dagegen sieht bei zu viel Eigenständigkeit die Handlungsfähigkeit der EU gefährdet - und den Zeitplan für das Begleitgesetz zum Lissabonvertrag außerdem. Der ehemalige bayerische Staatsminister Thomas Goppel kann in der Europahaltung der CSU aber nichts Falsches erkennen.

    "Die CSU gehört zu den wenigen in der europäischen Diskussion, die sich regelmäßig meldet, immer wieder ihre Position bestärkt. Die meisten anderen sitzen daneben, nicken ab und wundern sich nachher, wenn es ihnen an den Kragen geht. Das machen wir nicht. Dafür sind wir Bayern."

    Die Bayern nicken nicht ab. Und sie begeistern sich am Freitag auch nicht für ihre Kanzlerin. Und das, obwohl man sie in bester amerikanischer Wahlkampftradition mit lauter Musik begrüßt - und sie fröhlich winkend durch die langen Gänge in die Messehalle einziehen darf. In ihrer Rede ist dann das Bemühen zu erkennen, die CSU auf den gemeinsamen Wahlkampf einzuschwören. Sie blickt optimistisch in die Vergangenheit und schlägt dann einen ganz großen Bogen von der Nachkriegszeit, über die Wendezeit hin zur Krisenzeit.

    "Und ich bin der festen Überzeugung, dass wir diese Herausforderung bewältigen können, weil wir, CDU und CSU, immer wenn es darauf ankam, die Weichen für Deutschland richtig gestellt haben."
    Bei den Delegierten in Nürnberg erntet sie dafür nur artigen Applaus, amerikanischer Wahlkampf klingt anders. Erst als Angela Merkel sich auf die Beziehungsarbeit besinnt und beginnt, gegen die kleine Schwester zu sticheln, füllt sich die Messehalle mit Leben.

    "Und wenn Horst Seehofer sagt, die CSU hat wieder Biss, dann sage ich: Das ist schön. Beißt die Richtigen, und dann wird's gut! Und das wird die Aufgabe der nächsten Wochen sein."

    Und damit trifft sie den Ton der CSU. Horst Seehofer nimmt die Herausforderung an und beißt zurück. So wird der Schlagabtausch zum Ventil für das angespannte Verhältnis, von dem auf dem Parteitag nicht die Rede sein soll. Man will ja Geschlossenheit demonstrieren. Und da kommt so ein Geburtstag gerade recht.
    Schon Tage vorher hatte Seehofer angekündigt, für Merkel ein Geschenk mit "Humor und Hintersinn" zu suchen. Gefunden hat er am Ende eine kleine Geschichte Bayerns - denn:
    "Ich kann mir vorstellen, dass du mich und uns nicht jeden Tag verstehst."
    Und damit die Kanzlerin aus Berlin in Zukunft auch wirklich versteht, was der Ministerpräsident aus Bayern ihr sagen will, gab es dazu noch ein kleines Lexikon Bayerisch-Deutsch, in dem Horst Seehofer, als er es das erste Mal aufschlug - rein zufällig natürlich - auf den Begriff des Fingerhakelns gestoßen war:

    "Das ist eine bayerische Kampfsportart, die immer ohne Verletzungen ausgeht und wo sich die beiden Kontrahenten immer wieder gut vertragen."
    Was ziemlich genau die Taktik der CSU beschreibt. Denn CSU und CDU mögen zwar Schwestern sein, wie Wirtschaftsminister zu Guttenberg sagt, aber eben keine Zwillinge. Deshalb legt man im Freistaat so großen Wert darauf, dass der bayerische Akzent in der Bundespolitik deutlich hörbar ist. Und das gilt nicht nur für diesen Wahlkampf, so der ehemalige Ministerpräsident Edmund Stoiber.

    "Jeder Ministerpräsident und jeder Parteivorsitzender, noch dazu, wenn man es in einem Amt, in einer Person hat, hat natürlich zuvörderst bayerische Interessen zu vertreten, und die sind logischerweise manchmal nicht kongruent mit deutschen Interessen. Und da wird es immer -, das hat es zu meiner Zeit gegeben, zu Strauß' Zeit gegeben."
    Nach Stoibers Abschied als Ministerpräsident und Parteivorsitzender konnten seine Nachfolger Erwin Huber und Günter Beckstein diese Erwartungen allerdings nicht mehr erfüllen. Sie mussten hinnehmen, dass sich die Kanzlerin der bayerischen Forderung widersetzte und auf die Wiedereinführung der Pendlerpauschale verzichtete. Und das kurz vor der Landtagswahlen 2008. Auch dafür wurde das Führungsduo - wurde die CSU - am Ende vom Wähler abgewatscht. Hatte Edmund Stoiber bei der Landtagswahl vier Jahre zuvor noch 60 Prozent der Stimmen eingefahren, stürzte die Partei auf desaströse 43 Prozent. Beckstein und Huber mussten sich daraufhin von der Parteispitze verabschieden.
    Dieses Schicksal will Seehofer, der vor genau einem Jahr die beiden Spitzenämter übernahm, auf gar keinen Fall teilen.

    "Ich bin keiner, der nach Mitleid heischt. Aber ich habe noch nie wenig gearbeitet. Aber soviel wie in diesen neun Monaten war es noch nie. Und ich kann Euch sagen, ich setze alles ein, was in meiner Kraft steht - auch weil ein erheblicher Teil meines Lebens die Christlich Soziale Union war und ist."
    Seehofer verordnet seiner Partei einen radikalen Kurswechsel. Im Freistaat selbst musste er das Vertrauen der Wähler zurückgewinnen, von denen viele, selbst treue Wähler, klagten, die CSU habe sich zu weit von ihnen entfernt und regiere selbstherrlich. Auch in Berlin will sich Bayern wieder Gehör verschaffen - getreu dem Motto des Parteitags: "Eine starke CSU in Berlin". Und das geht so: Kompromiss, wenn nötig. Gut inszenierte Konfrontation, wenn möglich. Diese Strategie zahlte sich innerhalb überraschend kurzer Zeit aus. Bereits bei der Europawahl, die als entscheidende Testwahl für Seehofer galt, machte die CSU Boden gut: 48 Prozent. Damit kehrt das bayerische Selbstbewusstsein zurück, schon hofft man wieder auf 50 Prozent plus bei der Bundestagswahl, und Seehofer gibt Merkel mit auf den Weg nach Berlin:

    "Du kannst auf die Unterstützung aus dem Süden zählen. Und wie ich Dich kenne, weißt Du auch, dass der Süden ganz entscheidend dazu beiträgt, dass Du nicht nur Kanzlerin bleibst, sondern dass wir die Große Koalition ablösen durch eine bürgerliche Koalition, die diesem Land gut tun wird. Wir tun alles für Dich."
    Wie sich das gehört, der CSU-Parteivorsitzende spielt mit Muskeln. Doch das zahlt sich, jedenfalls auf diesem Parteitag, noch nicht für ihn aus. Mit 88 Prozent der Stimmen wird er in seinem Amt bestätigt - bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr hatte er noch 90 Prozent bekommen. Hinter den verlorenen zwei Prozent verbergen sich wohl jene CSU'ler, denen er im vergangenen Jahr mit seinem Führungsstil schmerzlich auf die Füße getreten ist. Oder: Um es mit Edmund Stoiber zu sagen:

    "Die Wahrheit liegt in der Urne."

    Damit das Ergebnis bei der Bundestagswahl im September stimmt, kämpft Seehofer entschlossen. Schon hat er die Parteispitze drastisch verjüngt, und auch in der Familienpolitik geht die Partei neue Wege. Denn Seehofer weiß, um der Partei langfristig Stimmen zu sichern, muss er nicht nur seine Stammwähler halten, er muss enttäuschte Wähler zurückgewinnen und neue Wähler von der CSU überzeugen. Der Parteichef geht daher keiner Diskussion mit Milchbauern und Landwirten aus dem Weg. Denn:

    "Jeder dritte landwirtschaftliche Hof steht in Bayern."

    Weisungsgebunden entdeckt auch sein Umweltminister Markus Söder immer mehr grüne Ideen für die CSU: Eine davon ist der Kampf gegen genveränderte Pflanzen auf den Äckern des Freistaates. Denn das ist ein Thema, das ganz nah dran ist an den Menschen in Bayern.
    Ein lauer Sommerabend, Anfang dieser Woche. Auf den Wiesen rund um den Chiemsee müsste eigentlich noch schnell das Heu eingefahren werden. Der Wetterbericht hat für Oberbayern nämlich Regen angekündigt. Die Bauern aber sitzen mit ihren Frauen in einem Bierzelt. Angelockt hat sie nicht etwa ein CSU-Politiker, wie man es in Bayern vielleicht vermutet. Sie sind gekommen wegen eines Mannes, der Trachtenjacke trägt, den die meisten hier nur vom Namen her kennen: Christoph Fischer.

    "Es ist schon außergewöhnlich, dass man in einem Festzelt einen Fachvortrag macht. Und ich finde es auch erstaunlich, dass Ihr alle heute gekommen seid. Aber wenn uns irgendwann nicht klar wird, dass alles zwecklos ist, wenn wir zuschauen wie die Gentechnik bei uns eingeführt wird. Weil die Gentechnik Fakten schafft, die uns allen, erst den Bauern, dann den Verbrauchern den Teppich unter den Füßen wegzieht."

    Beifall brandet auf wie überall im Freistaat, wenn Christoph Fischer Vorträge hält. Der gelernte Landschaftsgärtner kämpft gegen die grüne Gentechnik. Er spricht ruhig und mit breitem Dialekt, er argumentiert einfach und vermeidet Fachchinesisch - auch deshalb hören ihm die Leute zu. Der Bauernsohn wirkt glaubwürdig, wenn er mahnt, bäuerliche Traditionen zu erhalten und die bayerische Heimat zu bewahren.

    "Weil so wie wir da sitzen, muss uns bewusst sein, dass wir die Erde nur von unseren Kindern gepachtet haben. Und dass uns nicht zusteht, dass wir zuschauen wie ein paar wenige die Grundlagen der jungen Generation ein für alle Mal zu ihren Gunsten verändern. Aber uns erzählt ja jeder - und das findet sich auch schnell mal ein Wissenschaftler, die Gentechnik ist sicher. Wir wissen ja schließlich was wir tun. Leut', wenn Euch einer so anlügt, dann sagt es ihm direkt ins Gesicht, die lügen die Leute an."

    Für Christoph Fischer ist der Abend ein Erfolg. Mit seinem Protest gegen Gentechnik mischt er Bayern von unten auf. Die Leute laufen ihm in Scharen zu. Im Bierzelt am Rande der kleinen Gemeinde Obing sitzen Landwirte neben jungen Müttern. Es sind viele Kommunalpolitiker anwesend, begrüßt wird auch der Pfarrer. Der örtliche Trachtenverein hat die Veranstaltung organisiert. Komplette Stammtischrunden sind gekommen. Enkel haben ihre Großeltern mitgebracht. Es sind Leute, die sicher nicht im Verdacht stehen Öko-Fundamentalisten zu sein.

    Zuhörer:

    "Ja, es schadet ja nicht, wenn einer mal so richtig die Wahrheit sagt und dass man die Leute vielleicht da so ein bisschen aufweckt, zu sagen: Denken Sie mal ein bisschen weiter nach!"

    "Furchtbar ist das. Ich bin froh, dass ich schon so alt bin. Dass ich das nicht mehr miterleben muss, was da auf uns und auf die Kinder zukommt."

    "Ich finde es besonders gut, dass jetzt die Bauern aufstehen, dass sich da mal zur Wehr gesetzt wird."
    Die "Süddeutsche" nennt den 49-Jährigen einen Bauernfänger. Die FAZ spricht von einer Graswurzelbewegung, die in Bayern einer Kulturrevolution gleichkomme. Denn Fischer ist etwas gelungen, was im Freistaat kein Umweltverband, keine Verbraucherschutzorganisation und erst recht nicht die Grünen jemals schaffen könnten: Seiner Forderung, Bayerns Äcker frei von Gentechnik zu halten, haben sich Trachtenverbände, Gebirgsschützen, Imker, Kleingärtner, Pfarrgemeinderäte, Bio- wie konventionelle Bauern angeschlossen.

    "Das ist klar, wenn da Pfarrer, Trachtler und Bauern beieinander sitzen, dann ist das eine klassische Klientel der CSU. Und ich glaube, dass in Vergangenheit zu wenig beachtet wurde, was sich da von unter her an der Basis an Veränderungen ergeben haben. Und deswegen tut uns das nur gut, dass wir da wieder enger im Gespräch sind."
    Markus Söder, seit knapp einem Jahr Umweltminister der CSU, übt sich in Selbstkritik. Um es auf den Punkt zu bringen: Seine Partei hat das Thema jahrelang verpennt. Die Gegner der Agro-Gentechnik wurden als grüne Spinner belächelt. Dass Ängste auch im eigenen Milieu schlummern, wollte die CSU lange nicht wissen.
    "Die Bewahrung der Schöpfung ist ein konservatives Thema. Und ich glaube, dass es eine unglaublich große Bewegung gibt von sehr konservativ denkenden Menschen, die sagen: Stopp mit diesen überzogenen Prozessen der Globalisierung. Stopp mit einer überzogenen Form von Technologie. Und die sagen Ja zur Heimat, zur Tradition und zu eigenen Werten."

    Heimat, Werte und Tradition werden großgeschrieben in der Gegend um Rosenheim. Eine Postkartenlandschaft - in einem der malerischen Dörfer ist Christoph Fischer daheim. Von seinem Büro aus blickt der Agrarberater auf die herrliche Kulisse der bayerischen Berge. Seine Kunden sind Landwirte, mit ihnen hat er vor drei Jahren das Bündnis "Zivilcourage" gegründet. Angefangen hat es mit einer Informations-Plattform im Internet.

    "Als ich anfing vor drei Jahren, war das Thema tabuisiert. Man sagte den Landwirten, das sind die Ewiggestrigen, die Wirtschaftsbremser, Ihr kennt ja die ganzen Müsli-Fritzen, jetzt wollen sie uns wieder was nehmen. Und sich in solch einer Öffentlichkeit hinzustellen und zu sagen: Horcht mal, bedenkt dies und jenes. Das braucht Zivilcourage, dass man sich das traut."
    Für seine Überzeugung tingelte er von Festzelt zu Festzelt, von Saal zu Saal. Immer mehr Menschen schlossen sich ihm an. Zig Tausende trugen sich in seine Unterschriftenlisten ein. Sein Bündnis hat mittlerweile Anhänger in über 20 bayerischen Landkreisen. Auch nach Österreich und Südtirol wird er als Referent eingeladen. Wie viele Unterstützer Zivilcourage inzwischen hat, weiß Fischer nicht genau. Der Zulauf überwältigt auch ihn.

    "Gedacht schon, gehofft auch, aber ich habe niemals ernsthaft daran geglaubt, dass diese Bewegung so eine Graswurzelbewegung werden könnte, die solche immensen Dimensionen erreicht. Zum Beispiel in Rosenheim der Kreisverband der Gartenbauvereine, das sind 16.000 Mitglieder, die sich uns da angeschlossen haben. Und als der uns beigetreten war, hat der Kreisverband von Rosenheim den bayerischen Landesverband animiert das Thema zum Thema zu machen. Und jetzt ist der Landesverband dabei, bei uns beizutreten. Jetzt sind wir über 500.000 Mitglieder."

    Zivilcourage ist in Bayern längst eine Macht. Viele Gemeinden haben sich zu Agro-Gentechnik-freien Zonen erklärt. CSU-Bürgermeister geben sich bei Fischer die Klinge in die Hand. Selbst der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer suchte mit ihm bereits das Gespräch.

    "Ich habe dann im Vorfeld Herrn Seehofer gefragt, warum wollen sie mit mir sprechen? Es gibt doch Greenpeace, Bund Naturschutz und viele Organisationen, die seit Jahren und mit viel Engagement in Deutschland was gemacht haben. Und dann sagt er, Herr Fischer, die wählen uns ja sowieso nicht. Aber Sie sind in unser Stammwählerpotenzial eingedrungen, und da müssen wir sehr wohl was machen. Dass da die Bevölkerung aufsteht zu diesem Thema und dass es notwendig ist, dass die Politik jetzt sehr wohl reagiert."
    Die CSU hat reagiert. Auf ihren Druck hin wurde der Anbau von Genmais bundesweit verboten. Dass er damit seine Nachfolgerin im Bundeslandwirtschaftsministerium, Ilse Aigner, in die Bredouille brachte, war Seehofer egal. Der Kurswechsel, den er seiner Partei bei der grünen Gentechnik verordnete, hat vor allem auch mit Fischers Engagement zu tun, erzählt Umweltminister Söder.

    "Während man früher gedacht hat, es ist vor allem nur die Infrastruktur zu stärken und die Natur ist nichts wert, hat man heute andere Vorstellungen. Das ist kein Luxusthema, sondern es ist ein ganz hartes politisches Thema wie Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit."

    Als Bundesminister an die Kabinettsdisziplin und die forschungsfreundliche CDU gebunden, trat Seehofer noch vehement für die grüne Gentechnik ein. Heute als Parteivorsitzender sind ihm Wählerstimmen wichtiger. Schwarz-grüne Koalitionsspekulationen lehnt er zwar ab; aber er hat längst erkannt, dass die Grünen viel gefährlicher sind als die schwache bayerische SPD. Deshalb hat Seehofer den Seinen einen ökologischen Neuanstrich verordnet, der Teil seiner Strategie der Rundumerneuerung ist: In der Bildungspolitik, der Familienpolitik und eben auch der Umweltpolitik will der Parteichef die eingefahrenen Gleise verlassen - alles Felder, auf denen die CSU in den vergangenen Jahren stark an Zustimmung verloren hat.

    "Das Bürgertum denkt ökologisch. Die ökologische Substanz Bayerns ist auch einer der Pfunde, mit denen wir wuchern. All das sind Fakten, die belegen, dass uns das auch ernst sein muss. Unabhängig von Wahlerfolgen."
    Wenn es allerdings konkret wird, ist Söder in seiner CSU isoliert. Bestes Beispiel: der Donauausbau. Der Umweltminister will das letzte Stück frei fließende Donau in Niederbayern retten. Vor Ort weiß er viele Bürgerinitiativen hinter sich. Seine niederbayerischen Parteifreunde dagegen nicht. Angeführt vom Ex-Parteichef Erwin Huber erzwangen sie auf dem Parteitag eine Abstimmung - pro Donauausbau. Contra Söder. Die Grünwerdung also nur ein Feigenblatt? Nein, behauptet Söder. Nur ein langwieriger Prozess - gegen die alte Garde in der Partei, die die Ökologie noch immer der Ökonomie unterordnen will.

    "Wie viele Wahlprogramme mussten schon geändert werden? Wie viele Parteitagsbeschlüsse mussten bereits der Aktualität weichen. Das geht aber nicht von jetzt auf sofort. Da haben wir noch viel Arbeit vor uns. Mei, so ist es halt."

    Der Parteitagsbeschluss hat übrigens keine Bedeutung. Denn über den Ausbau der Donau wird die bayerische Staatsregierung frühestens in zwei Jahren entscheiden. Bis dahin liegt eine neue Umweltverträglichkeitsstudie vor, die die FDP in den Koalitionsvertrag diktiert hat. Auch der Ministerpräsident ist nicht unglücklich über diesen Zeitaufschub. Und sein Umweltminister hofft, bis dahin verlieren die alten CSU-Granden an Einfluss und Macht.