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Die Wende am Rio de la Plata

Der argentinischen Regierung unter Nestor Kirchner ist es nach der Krise von 2001/2002 in relativ kurzer Zeit gelungen, das Land vor dem Absturz in Chaos und Gewalt zu bewahren. Die wirtschaftliche Lage hat sich seitdem stabilisiert, die Bekämpfung der Armut macht Fortschritte. Dennoch steht die Regierung weiterhin unter Zugzwang.

Von Peter B. Schumann | 26.05.2005
    Kirchner: "Ich habe ein verwüstetes Argentinien übernommen, verwüstet durch ein Wirtschaftsprogramm, bei dessen Durchsetzung der Internationale Währungsfonds behilflich war. Damals lobte er die argentinische Regierung als leuchtendes Beispiel, dem alle Länder folgen sollten. "

    Der argentinische Staatspräsident Néstor Kirchner bei einer Rede in der Friedrich-Ebert-Stiftung während seines Deutschland-Besuchs im vergangenen Monat.

    Kirchner: "Die damalige Regierung setzte - völlig unverständlich - einen Plan der grenzenlosen Konvertierbarkeit der Währung durch. Seine Finanzierung trieb die Verschuldung auf 170 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Gleichzeitig erreichte die Korruption ein einmaliges Ausmaß in Argentinien - einfach skandalös. Trotzdem wurde diese Regierung von solchen Institutionen unterstützt."

    Präsident Kirchner schätzt klare Worte, um sich von seinen Vorgängern und vor allem von jenem Mann zu distanzieren, der Argentinien an den Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und der sozialen Revolte führte: Carlos Menem. Doch er attackiert ebenso unmissverständlich die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds als Mitverursacher der Katastrophe, die Argentinien "verwüstete" und eines der reichsten Länder des Kontinents 'lateinamerikanisierte': die Armut verdoppelte sich während des Menenismus. Kirchner gelang es immerhin in seiner zweijährigen Regierungszeit, eine Wende herbeizuführen.

    Kirchner: "Der Anteil der von Armut betroffenen Personen lag im Oktober 2002 bei 57,5 Prozent und bedeutete eine Verarmung von 47,5 Prozent der Haushalte. / Die letzte Erhebung vom ersten Halbjahr 2004 ergab, dass noch immer 31,6 Prozent der Haushalte unter die Armutsgrenze fallen. Verglichen mit 2003 bedeutet dies jedoch einen Rückgang der Armut um zehn Prozent."

    Ein Ergebnis, das sich in den Straßen von Buenos Aires bemerkbar macht. Vor drei Jahren zogen jede Nacht Zehntausende von 'Cartoneros' durch die besseren Viertel, um in den Müllsäcken nach Verwertbarem zu suchen: vor allem nach Flaschen und Zeitungen. Inzwischen hat sich ihre Zahl erheblich verringert: die Preise für Abfallmaterialien sind derart gesunken, dass sich das nächtliche Schuften für viele nicht mehr lohnt. Sie versuchen auf dem Schwarzmarkt ein paar Peso zu ergattern. Außerdem hat die Regierung die Sozialhilfe ausgeweitet.

    D'Elia: "Die Situation der Armen hat sich verbessert. Wir haben eine Regierung, deren Haltung sich völlig von der düsteren Zeit des Neoliberalismus eines Menem unterscheidet, dem Schlimmsten, was uns passieren konnte."

    Luis D'Elía ist Vorsitzender der FTV, der 'Vereinigung Land und Wohnung', d.h. der Obdachlosen. Sie gehört zur Bewegung der 'Piqueteros', der Arbeitslosen, die mit Straßenblockaden, den 'piquetes', auf ihre Notsituation aufmerksam machen. D'Elía war einer der beiden Vertreter der Piqueteros, die Kirchner bereits am zweiten Tag seiner Amtszeit empfing.

    D'Elía: "Letztes Jahr wurden zehn Milliarden Peso, etwa drei Milliarden Euro, in den Kampf gegen die Armut investiert. Das ist eine respektable Summe. Außerdem existiert ein Programm für den Bau von 277.000 Wohnungen - das hat es in den letzten 50 Jahren nicht gegeben. Aber es fehlt noch unglaublich viel, vor allem Hilfsprogramme zum Schutz der Kinder und der Alten. "

    Luis D'Elía und seine FTV sind Teil einer Massenbewegung, die Kirchner um sich schart, weil er sich einer Mehrheit in seiner peronistischen Partei nicht sicher sein kann und weil er sich sogar in seinem Kabinett ständig mit widerstreitenden Interessen auseinandersetzen muss. D'Elía, inzwischen Parlamentsabgeordneter, hat ihn dagegen in den letzten zwölf Monaten mit Straßenblockaden verschont.

    D'Elía: "Wir sind keineswegs gegen das Instrument der 'piquete', aber man muss es bewusst einsetzen. Wir haben stattdessen Wohnungen gebaut, Kooperativen und Zentren zur Alphabetisierung geschaffen, ein Programm für fließendes Wasser begonnen und Not leidende Familien unterstützt. Wir sind aber auch auf die Straße gegangen und haben Tankstellen besetzt, als die Shell die Preise erhöhen wollte. "

    Kirchner hatte zum Boykott aufgerufen, als die kleinste der transnationalen Ölgesellschaften vorpreschte und eine allgemeine Erhöhung der Benzinpreise zu befürchten war. Früher verfügte Argentinien über einen mächtigen staatlichen Ölkonzern und konnte solcher Preistreiberei mit Preis-Druck auf die Multis gegensteuern. Seit Menem ihn verkaufte, bleibt seinem Nachfolger nur der relativ schwache Verhandlungsweg übrig. D'Elía bietet dem Präsidenten nun ein neues Instrumentarium: den Protest der Betroffenen. Denn eine Erhöhung der Treibstoffpreise hätte das mühsam ausbalancierte Tarifgefüge erheblich gestört, die Inflation angetrieben und die Erfolge beeinträchtigt, auf die Kirchner verweisen kann.

    Kirchner: "Das Wachstum unserer Wirtschaft ist nun schon im dritten Jahr konstant und liegt bei neun Prozent jährlich. Durch harte Arbeit und viele Opfer wächst Argentinien. Bei gleichzeitiger Ausgabendisziplin erleben wir die Erhöhung der Einkommen und der Währungsreserven, niedrige Inflationsraten, einen Anstieg der Investitionen und der Exporte sowie die Schaffung neuer Arbeitsplätze. "

    Der Regierung Kirchner ist es in relativ kurzer Zeit gelungen, das Land vor dem Absturz in Chaos und Gewalt zu bewahren. Äußere Faktoren haben dabei eine Rolle gespielt, so z.B. die hohen Gewinne durch die Erdölproduktion und die enorme Nachfrage nach Soja, vor allem in China.

    Bonasso: "Wir haben im letzten Jahr einen Rekord bei den Ausfuhren gehabt: 27 Milliarden Euro. Aber die Zusammensetzung unsere Exporte ist zu einseitig. Selbst wenn wir die Produktion von Fertigwaren einbeziehen, die sich ebenfalls erhöht hat, reicht das alles noch nicht. "

    Miguel Bonasso ist Parlamentsabgeordneter und Vorsitzender der neuen 'Partei der demokratischen Revolution', die Kirchner unterstützt.

    Bonasso: "Der Staat muss wieder eine Vorreiterrolle spielen und zwar nicht nur als Promotor, Orientierungshilfe, Plangestalter, sondern ganz direkt als Investor. Niemand anderes weder im Inland noch im Ausland kann den Bedarf an Investitionen erfüllen, die Argentinien für sein weiteres Wachstum braucht. "

    Das würde eine völlige Umkehr der bisherigen neoliberalen Politik bedeuten, in deren Folge sich der Staat aus seinen meisten Verpflichtungen zurückgezogen hatte.

    Bonasso: "Der Export-Gewinn, den wir erzielt haben, sollte für die Re-Industrialisierung des Landes verwendet werden. Denn Argentinien war weitgehend industrialisiert, besaß deshalb auch eine starke Arbeiterklasse und eine sehr viel größere gesellschaftliche Geschlossenheit als andere Länder Lateinamerikas. Der Neoliberalismus hat das alles zerstört. Wir müssen die Industrie wieder aufbauen, was nicht einfach ist, denn wir haben viele Techniker verloren und auch die Arbeitskultur eingebüßt. Dabei hat dieses Land einmal Flugzeuge, Autos und Schiffe produziert. Wir müssen wieder ein Industrieland werden, ansonsten - um es ganz brutal zu sagen - ist hier die Hälfte unserer Bevölkerung zu viel. "

    Der industrielle Niedergang ist aber nicht nur eine Folge neoliberalistischer Ausplünderung. Daran ist auch eine Unternehmerschicht Schuld, die in den 90er Jahren ihre Gewinne lieber im Ausland anlegte oder durch Währungsspekulationen vermehrte, anstatt sie in ihre Betriebe zu investieren. Zahllose Fabriken wurden damals geschlossen und Arbeiter und Angestellte oft über Nacht einfach auf die Straße gesetzt. Kaum jemand erhielt eine Abfindung, die wenigsten eine Sozialhilfe. Man schätzt, dass etwa 120 Milliarden Euro ins Ausland flossen: das entspricht der heutigen Außenschuld Argentiniens. Miguel Bonasso:

    Bonasso: "Der Schuldenberg wurde durch die Kapitalflucht wesentlich mit verursacht. Die Zentralbank hielt die Fiktion eines Wechselkurses von 1:1 des Peso zum Dollar aufrecht. Gleichzeitig gab es hohe Zinsen für Geldanlagen. Das heißt: Die Betriebsgewinne wurden in Peso angelegt, der hohe Mehrwert in Dollar gewechselt und ins Ausland transferiert. Die Regierung musste über die Zentralbank ständig Devisen nachkaufen und verschuldete sich immer mehr, bis das Ganze explodierte, weil es keinen internationalen Kredit mehr gab."

    Bei diesen unglaublichen Transaktionen spielten die Weltbank und der Internationale Währungsfonds lange mit. Argentinien galt als Paradies für Geldanleger, für die einheimischen wie für die ausländischen. Deshalb scheint es nur gerecht, wenn Präsident Kirchner darauf besteht, dass auch die internationalen Spekulanten die Zeche mitbezahlen.

    Kirchner: "Wir versuchen, die Handlungsfähigkeit zurück zu gewinnen, den sozialen Ausgleich voranzutreiben und das Verschuldungsproblem in den Griff zu kriegen. Dabei haben wir die undankbare Rolle übernommen, den Betrug an uns darzulegen und klarzustellen, was Argentinien tatsächlich zahlen kann. Nun behaupten die gleichen Institutionen, die für diese Situation mitverantwortlich sind, Argentinien würde keine geeigneten Maßnahmen ergreifen. Dabei haben wir angeboten, 76 Prozent der Schulden zu begleichen. Sie aber lassen sich dazu hinreißen, diese Umschuldung in Frage zu stellen, die immerhin die Zahlung von 67 Milliarden Dollar bedeutet. "

    Es war die größte Umschuldungsaktion in der jüngeren Finanzgeschichte, die nur durch die harte Haltung der argentinischen Regierung beim Verhandlungspoker mit den privaten Gläubigern zum Erfolg führte. Dennoch betragen die Staatsschulden rund 120 Milliarden Euro. Der daraus resultierende Schuldendienst ist aus eigener Kraft nicht zu bewältigen. Hierfür bedarf es neuer Kredite des Internationalen Währungsfonds. Das heißt: Der Spielraum für soziale Maßnahmen oder für Investitionen, wie sie Bonasso vorschweben, ist eng. Also müssen neue Finanzquellen erschlossen werden. Martín Caparros, politischer Kommentator, plädiert für eine Steuerreform.

    Caparros: "Die Steuern in Argentinien sind völlig regressiv, d.h. weder die großen Vermögen noch die Gewinne jedes Einzelnen werden angemessen oder überhaupt besteuert. Der Großteil der Steuern wird auf den Konsum erhoben: der Arme zahlt also 22 Prozent Mehrwert-Steuer für eine Packung Zigaretten oder einen Liter Benzin genauso wie der Reiche. "

    Eine solche Reform ist seit langem überfällig, darin sind sich die meisten Fachleute einig. Doch Kirchner hat sich bisher davor gedrückt, weil er den kapitalkräftigsten Sektor in seinem Land zur Kasse bitten müsste, und der verfügt in seinem Kabinett über eine starke Lobby. Der Präsident neigt zwar zu starken Worten und scheut auch vor verbalen Attacken gegen die Weltbank, gegen Militärs, Bischöfe oder Ölkonzerne nicht zurück, aber er pflegt doch eher eine Politik der kleinen Schritte. Martín Caparros:

    Caparros: "Nach der Krise von 2001/2002 musste der Staat ein Minimum an sozialer Fürsorge bieten, wozu auch nur er in der Lage ist. Also tat Kirchner ein bisschen was für das öffentliche Bildungssystem, ein bisschen was für das Gesundheitswesen, ließ hier und dort Lebensmittel verteilen usw. Trotzdem drückt sich hier die Regierungspolitik am deutlichsten aus: sie versucht Schritt für Schritt und ganz vorsichtig dem Staat wieder seine angestammten Aufgaben zu übertragen. Ansonsten unterscheidet sie sich nicht wesentlich von der ihrer Vorgänger. "

    Auch Miguel Bonasso, immerhin ein Parteigänger Kirchners, geht dessen Politik in vielem nicht weit genug. Er kritisiert den Feuerwehrstil vieler Maßnahmen und verlangt eine Konzeption.

    Bonasso: "Das ist eine Regierung, die viel Raum für Intuition lässt, der aber ein nationales Projekt fehlt, das nicht nur Konjunktur bedingt, sondern auf 10, 20, 30 Jahre angelegt ist. Wir müssen definieren: Was für ein Argentinien wollen wir? Und welche Rolle soll dieses Argentinien heute und in der Zukunft spielen?"

    Kirchner hat dafür allerdings erste Zeichen gesetzt.

    Bonasso: "Die Regierung hat die Tarife für öffentliche Dienstleistungen begrenzt, die unter Menem maßlos waren. Die spanische Telefongesellschaft verdiente hier z.B. dreimal so viel wie in Spanien. Die Regierung hat die Löhne und Renten angehoben, zwar nicht so stark, wie es nötig gewesen wäre, aber so viel wie möglich. Sie hat die Mindestlöhne erhöht und das infame Gesetz zur Flexibilisierung der Arbeit beseitigt. Und 1,8 Millionen Arbeitsplätze geschaffen, was ein qualitativer Sprung ist. "


    Über diese Zahl streiten sich die Spezialisten, zumal die jüngste Umfrage ergab, dass die Arbeitslosigkeit im ersten Viertel dieses Jahres auf 13 Prozent angestiegen ist, 140.000 Argentinier ihre Arbeitsplätze verloren. Das Problem liegt ganz ähnlich wie in Deutschland in der Art der Berechnung. Um die Arbeitslosenquote niedrig zu halten, werden die Sozialhilfeempfänger einfach zur arbeitenden Bevölkerung hinzugezählt, obwohl sie tatsächlich arbeitslos sind. Im Übrigen steht nur gut ein Drittel der Arbeitsfähigen in festen Arbeitsverhältnissen. Ein weiteres Drittel - so schätzen Experten - ist in der Schattenwirtschaft tätig. Das restliche Drittel ist beschäftigungslos. Und unter ihnen befinden sich sehr viele Jugendliche, für die es bis jetzt wenig Hoffnung gibt. Der Menschenrechtler Osvaldo Bayer:

    Bayer: "Das Elend in den riesigen Vorstädten von Buenos Aires ist groß und auch die Kriminalität. Die Jugendlichen haben sehr wenig Schulbildung, sind auf keine Art von Arbeit vorbereitet. Viele von ihnen wurden oft von ihren Eltern im Stich gelassen. Ich möchte nicht schwarzsehen, aber ich weiß nicht, was mit ihnen geschehen wird. Sie haben nur gelernt, Abfälle zu sammeln oder kriminell zu werden. Denn unser Bildungssystem ist völlig auf den Hund gekommen wie nie zuvor in der argentinischen Geschichte. "

    Einen Monat lang streikten die Lehrer in der Provinz Salta, weil sie nicht länger den Hungerlohn von umgerechnet kaum 70 Euro im Monat hinnehmen konnten. Er liegt knapp über dem Sozialhilfesatz. Eine friedliche Demonstration von ihnen ließ der Gouverneur, ein peronistischer Hardliner, von der Polizei mit Hilfe von Wasserwerfern, Tränengas und Gummigeschossen zerschlagen. An den Universitäten sieht es nicht viel besser aus als an den Schulen. Osvaldo Bayer:

    Bayer: "60 Prozent der Dozenten arbeiten gratis. Viele von ihnen stellen ihre Lehrveranstaltungen wieder ein, weil sie selbst die Kreide bezahlen müssen. Jetzt haben ihnen die Rektoren großzügig rund 100 Euro drei Monate lang zugestanden, damit sie wenigstens die Fahrtkosten in die Studienzentren bezahlen können. "

    Letzte Woche streikten die Lehrer und Dozenten im ganzen Land und forderten ein nationales Erziehungsgesetz. Hugo Yasky, der Generalsekretär des Lehrerverbands CTERA, in einer Rundfunkreportage:

    Yasky: "Wir verlangen eine grundsätzliche Veränderung des Erziehungsmodells der 90er Jahre, das ein heftiger Schlag gegen das öffentliche Schulwesen war. D.h. von da an oblagen die Bezahlung der Lehrer und der Unterhalt der Schulen den Provinzregierungen. Das führte zu Verarmung und Ungleichheit im gesamten Schulsystem. Wenn es uns nicht gelingt, mit Hilfe eines Bundesgesetzes wieder akzeptable Bedingungen zu schaffen, dann wird die öffentliche Schule als eine Schule der Armen enden, die Armut erzeugt."

    Ein heikles, aber zentrales Problem für die Regierung Kirchner, das ihr der Menenismus hinterlassen hat. Heikel deshalb, weil sie es bisher nicht geschafft hat, das übergeordnete Problem des Finanzausgleichs mit den Provinzen zu regeln, deren Regenten teilweise noch den alten autoritären Geist des Peronismus vertreten. Eine andere Erblast Menems konnte der Präsident dagegen mit Bravour beseitigen: die Korruption beim Obersten Gerichtshof. Martín Caparros:

    Caparros: "Hier hatte man einen perversen Mechanismus geschaffen, der alle Verfahren stets im Sinne der Regierung entschied. Damit hat Kirchner Schluss gemacht und die obersten Richter ausgewechselt. Das ist etwas ganz Entscheidendes. Was aber noch fehlt, ist die Erneuerung des übrigen Justizapparats... Vor ein paar Tagen habe ich mit einem Richter gesprochen. Er ist für Finanzangelegenheiten und Betrug zuständig. Ich fragte ihn, ob wohl 80 Prozent dieses Gerichts korrupt seien. Und er meinte: Nur 80 Prozent? Es sind 98 Prozent, und ich weiß nicht, wer die beiden anderen%e sind. "

    Angesichts solcher Verhältnisse wird der Reinigungsprozess der Justiz die Regierung noch lange beschäftigen - wie auch eine Vielzahl von anderen ungelösten Problemen. Doch eines hat Néstor Kirchner in zwei Jahren erreicht:

    Bayer: "Er hat Vertrauen geschaffen, dass er etwas machen wird, und er hat vieles gemacht. Er hat gezeigt, dass er nicht korrupt ist. Und dass er Autorität besitzt und weder mit den Militärs noch mit der katholischen Kirche Kompromisse eingeht. Und dass er eine unabhängige Politik betreibt. Aber es gibt etwas Undefiniertes bei ihm. "

    Osvaldo Bayer kann nicht übersehen, dass Kirchner als Gouverneur der Provinz Santa Cruz eine Politik ganz im Sinne Menems praktizierte: z.B. den Kohlebergbau schloss und gegen die demonstrierenden Arbeiter den Repressionsapparat in Marsch setzte. Das hat er bisher bei den zahllosen Straßenblockaden der Piqueteros bewusst vermieden. Deshalb kommt der Menschenrechtler zu einem überraschenden Ergebnis:

    Bayer: "Von den demokratischen Regierungen aller Parteien, die wir seit 1930 gehabt haben, ist sie die beste. Sie kümmert sich z.B. bewusst um die unteren Schichten. Wir wissen allerdings nicht, ob sie das durchhält, denn es gibt keine drastischen Lösungen, aber der Hunger ist drastisch, die Gewalt ist drastisch, die Arbeitslosigkeit ist schrecklich. Die Menschen können nicht warten. Und jetzt beginnt auch noch die Inflation zu steigen: sie war immer ein Drama für die Argentinier. "