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Die Wüste lebt

Für die israelische Gesellschaft, die einen großen Teil ihres Wohlstands der Wüste abgerungen hat, ist die Wüsten-Installation "Blackfield" von Zadok Ben-Davids eine schöne Metapher - für den in London lebenden Zadok Ben-David ist es eine triumphale Heimkehr nach Tel Aviv.

Von Christian Gampert |
    Die Menschen stehen Schlange, um Einlass zu finden. Wer jetzt an einem Shabat um die Mittagszeit ins Tel Aviv Museum kommt, der wird länger warten müssen, bevor er vorgelassen wird zu Zadok Ben-Davids "Blackfield", jener raumgreifenden Installation, die einen ganzen Pavillon bespielt. Es handelt sich um eine etwa 100 Quadratmeter große Sandwüste, in der absurderweise seltsame schwarze Pflanzen gedeihen. Rund zwanzigtausend sogenannte "Cutouts" hat Ben-David in die Sandfläche gesteckt, flache, reliefhafte florale Formen, ausgeschnittene, scheibenartige, poröse kleine Stahlskulpturen, die durch schiere Massenhaftigkeit Wirkung entfalten. Schattenrisse sind das, die sich dem Betrachter als Dschungel vegetativer Elemente darbieten, ein Blätterwald, der auch ein potenzielles Kampfgebiet sein könnte, Schutz und Hinterhalt gleichzeitig – ein unüberschaubarer Raum, in dem es keine Sieger gibt. Nur den Kampf gegen die Dürre.

    Es fällt zunächst schwer, sich auf einzelne dieser tiefschwarzen Pflanzen einzulassen, und so beginnt man, sich zu bewegen. Man geht um diesen rechteckigen Sandkasten herum, und wenn man die stählernen flächigen Gewächse von der Seite sieht, dann scheinen sie so hauchzart wie Blattgold, so dünn wie Insektenbeine oder wie die Striche einer Giacometti-Zeichnung, dunkle Fäden, die in der Ödnis stehen. Geht man aber nun weiter und erblickt langsam auch die Hinterseite der Pflanzen, so beginnen sie bunt zu schimmern, und diese blühende Buntheit nimmt zu, je frontaler man die Rückseite dieser Gewächse betrachtet.

    Für die israelische Gesellschaft, die einen großen Teil ihres relativen Wohlstands der Wüste abgerungen hat, ist dies natürlich ein schönes Bild, eine Metapher; und für den in London lebenden Zadok Ben-David ist es eine triumphale Heimkehr. Ben-David ist 1949 im Jemen geboren und gleich darauf mit seinen Eltern nach Israel gekommen; er hat in Jerusalem studiert und seine ersten Schritte als freier Künstler in England gemacht, wo er seit den 1970iger Jahren sein Studio hat. Relativ bald war ihm klar, dass Abstraktion und Konzeptkunst nicht seine Ausdrucksweisen sein würden; tierische Formen und Farbexperimente prägen sein Frühwerk.

    Die Ausstellung in Tel Aviv aber zeigt Arbeiten aus den letzten fünf Jahren – außer der monumentalen "Blackfield"-Installation noch mehrere Räume mit meist großformatigen Skulpturen, die die jetzt gültige Handschrift Ben-Davids belegen. Unverkennbar ist sein Interesse an kinetischer Kunst und Op-Art – der Standpunkt des Betrachters ist auch bei den Einzelwerken entscheidend. Der Mensch als Scheibe –das haben schon Giacometti und Arp gemacht. Bei Ben-David wird die Scheibe aber nun zu einer porösen humanoiden Silhouette, sie besteht aus einem Geflecht von Arterien, aus verwirrenden, baumartigen Verzweigungen, die sowohl Innenleben wie auch Gerüst dieser Figuren bilden. Wenn die menschliche Seele eine Gestalt hat, dann vielleicht diese. Ben-Davids Plastiken spielen mit dem leeren Raum, sie wirken wie Negative: oft bestehen sie mehr aus Leerstellen denn aus Materie; die organischen Formen ummanteln das Vakuum.

    Bisweilen ist das beeindruckend komponiert, bisweilen streift es leider auch den Kitsch. Vor allem, wenn Ben-David Sonnenaufgänge mit seinem Aderngeflecht versieht oder Menschen tatsächlich als Bäume auffasst, wirken gerade die großen Skulpturen wie sentimental-naive Laubsägearbeiten. Andere Plastiken sind raffinierter angelegt, sie ermöglichen stets neue Blickwinkel. Am wirksamsten ist das natürlich bei der seit 2007 entstandenen "Blackfield"-Installation, die jetzt in Tel Aviv zur Attraktion wird: hat man das Sand-Geviert umrundet und bewegt man sich in Richtung Ausgang, so verfärben sich die zwanzigtausend Wüstenpflanzen wieder tiefschwarz, ein totes Feld dunkler Blätter. Die Wüste lebt, die Wüste stirbt: Diese Wahl haben sowohl Israelis als auch Palästinenser. Zadok Ben-Davids "Blackfield" steht im Tel Aviv Museum genau am richtigen Ort.