Eine Betriebsversammlung im Elektro-Motorenwerk Wernigerode am 18. Juni 1953. An diesem Tag gehen auch mehrere Tausend Arbeiter der Warnow-Werft in Warnemünde auf die Straße. Aber die Kasernierte Volkspolizei ist gleich massiv präsent. Günter Sens, damals Schüler an der örtlichen Ingenieursschule:
Sens: Dann gingen sie auf die Marschkolonne, die von der Werft kam zu, drehten ihre Gewehre um, also haben nicht geschossen, haben auch keine Warnschüsse abgegeben. Aber sie haben mit dem Kolben auf die Leute rauf geschlagen .... Da blieben natürlich einige liegen und verschiedene von der KVP nahmen diese Leute und schmissen sie auf die LKWs rauf. Und das ging ungefähr eine Viertelstunde
Schon am Vorabend hat DDR-Ministerpräsident Grotewohl demonstriert, dass die Regierung die Lage wieder unter Kontrolle hat.
O-Ton DDR-Rundfunk: Im Interesse der unverzüglichen Normalisierung des Lebens führen die Organe der Verwaltung der Wirtschaft und des Verkehrs in der Deutschen Demokratischen Republik und im demokratischen Sektor Berlins am 18. Juni ihre reguläre Tätigkeit wieder durch.
Hinkfoth: Wohl bockten noch verschiedene Betriebe in Leuna und verblieben im Sitzstreik. Aber so war ja nichts zu erreichen. Hier waren alle machtlos.
Die Hausfrau Johanna Hinkfoth aus Bad Dürrenberg in der Nähe von Saalfeld. Und der Lehrer Ernst Starke beobachtet in Jena:
Starke: Am nächsten Tag, den 18. Juni, bestimmten nach den Ausschreitungen wieder Uniformen das Stadtbild: Russen und Vopos, mehr als gewöhnlich. "Ansammlungen" von mehr als drei Leuten waren verboten und wurden auseinander getrieben.
Das SED-Regime sitzt wieder fest im Sattel, registriert der Theologiestudent Traugott Schmitt aus Leipzig.
Schmitt: Jeder fühlte sich nunmehr gedrungen, seine unbedingte Staatstreue unter Beweis zu stellen. Und dann fiel auf, dass am 18. Juni mehr als gewöhnlich SED-Abzeichen nicht nur an Jackettrevers, sondern sogar an Blusen und Hemden prangten
Hinkfoth : Noch über eine Woche zog sich der Ausnahmezustand hin, dann lief wieder alles im gleichen Trott. Aber die Läden waren auf einmal voll. Die Regierung gab zu, schwere Fehler gemacht zu haben, die jetzt wieder gut gemacht würden. Jeder sollte sich frei äußern dürfen und Mängel schonungslos aufdecken.
Auch Harry Springstubbe, Maurerlehrling in der Berliner Stalinallee, registriert gewisse Veränderungen.
Springstubbe: Nach dem 17. Juni hat es Erleichterungen gegeben - nicht in dem erhofften Maße aber es ist etliches gelockert worden, nicht nur in Bezug auf die Entlohnung, politisch wurde die Kordel etwas länger gelassen. Das war ein ganz kleiner Erfolg.
Professor Viktor Klemperer, SED-Mitglied und Volkskammer-Abgeordneter für den Kulturbund, notiert am 22. Juni in sein Tagebuch
Klemperer: Im Radio heißt es heute: Ruhe in den Städten, aber Gärung und Feindhetze auf dem Lande.... Wir sind jetzt für die Großbauern, für die junge Gemeinde, wir sind auf reuigem Rückmarsch.
Ursula Raatz hat nach dem 17. Juni wieder die Chance, an ihre Schule zurückzukehren.
Raatz: Und da hieß es auf einmal, alle, die von der Schule verwiesen wurden, können wieder rauf . Und da haben meine Eltern gesagt, kommt gar nicht in Frage, da hat sich nichts geändert.....
Das Regime versucht gleichzeitig, die Ereignissen vom 17. Juni in einen propagandistischen Sieg umzudeuten. Der Lehrer Karl-Heinz Noack aus Altenburg im Osterzgebirge.
Noack: Der Schulleiter musste 'agitieren'. Er las langatmige Berichte aus dem Neuen Deutschland vor - "Faschistischer Putschversuch gescheitert" - Doch weder Lehrer noch Schüler glaubten den SED-Lügnern.
Schmitt : Bereits am 18. Juni meldete der DDR-Rundfunk, dass Agenten aus der BRD ehrliche Arbeiter zu einem Aufstand verleitet hätten.
Skripitz: Das waren eben Horden - von den Ultras, Westdeutschen, Westberlinern wurde das angestachelt, ganz klar.....Quatsch, das haben die auf die geschoben. Dass das nicht so war. Von den Leuten, die ich gesehen habe, war keiner angeheizt. Da haben sie versucht, uns zu verschaukeln.
Erhard Skripitz, damals Schweißerlehrling in einem Großunternehmen in Potsdam. Käthe Miercke, seinerzeit Angestellte in der Kulturabteilung des DDR-Außenministeriums, sieht das bis heute anders:
Miercke: Was am 17. Juni geschah, war kein Volksaufstand, es war der Beginn des 'Tages X', lange vorausgesagt und lange geplant. Es war ja in keinem Land so leicht, ein solches Spektakel zu inszenieren, zumal es berechtigte Verärgerung in einigen Kreisen der Bevölkerung gab.
Kordon: Da ich ja sogar den jungen Arbeiter, der bei uns im Haus gewohnt hat ganz gut kannte, der mit demonstriert hatte, wusste ich ganz genau, der kommt nicht aus dem Westen, der kommt aus dem Haus - angezettelt war das garantiert nicht von dem Westen
Klaus Kordon, ein damals zehnjähriger Schüler. Hans-Georg Blum ist am 17. Juni als Offiziersschüler der KVP in Halle eingesetzt worden.
Blum: Also gesteuert war es gering, würde ich sagen. Es waren wirklich Arbeiter. Wir haben uns damals so unsere Gedanken gemacht. Das kann nicht alles gesteuert gewesen sein.
Jürgen Schneevogt aus Berlin erinnert sich, wie er Jahre später als Bauleiter mit einem Polier von der Stalinallee ins Gespräch kam.
Schneevogt: Der Polier sprach nicht viel über diese Tage, mit mir nur ein bis zwei Mal. Aber seine Freude darüber, dass der Minister Selbmann vom Tisch gekippt wurde, dass sie es denen da oben gezeigt hatten, war seinen strahlenden Augen und dem leichtem Grinsen anzusehen.
Sens: Dann gingen sie auf die Marschkolonne, die von der Werft kam zu, drehten ihre Gewehre um, also haben nicht geschossen, haben auch keine Warnschüsse abgegeben. Aber sie haben mit dem Kolben auf die Leute rauf geschlagen .... Da blieben natürlich einige liegen und verschiedene von der KVP nahmen diese Leute und schmissen sie auf die LKWs rauf. Und das ging ungefähr eine Viertelstunde
Schon am Vorabend hat DDR-Ministerpräsident Grotewohl demonstriert, dass die Regierung die Lage wieder unter Kontrolle hat.
O-Ton DDR-Rundfunk: Im Interesse der unverzüglichen Normalisierung des Lebens führen die Organe der Verwaltung der Wirtschaft und des Verkehrs in der Deutschen Demokratischen Republik und im demokratischen Sektor Berlins am 18. Juni ihre reguläre Tätigkeit wieder durch.
Hinkfoth: Wohl bockten noch verschiedene Betriebe in Leuna und verblieben im Sitzstreik. Aber so war ja nichts zu erreichen. Hier waren alle machtlos.
Die Hausfrau Johanna Hinkfoth aus Bad Dürrenberg in der Nähe von Saalfeld. Und der Lehrer Ernst Starke beobachtet in Jena:
Starke: Am nächsten Tag, den 18. Juni, bestimmten nach den Ausschreitungen wieder Uniformen das Stadtbild: Russen und Vopos, mehr als gewöhnlich. "Ansammlungen" von mehr als drei Leuten waren verboten und wurden auseinander getrieben.
Das SED-Regime sitzt wieder fest im Sattel, registriert der Theologiestudent Traugott Schmitt aus Leipzig.
Schmitt: Jeder fühlte sich nunmehr gedrungen, seine unbedingte Staatstreue unter Beweis zu stellen. Und dann fiel auf, dass am 18. Juni mehr als gewöhnlich SED-Abzeichen nicht nur an Jackettrevers, sondern sogar an Blusen und Hemden prangten
Hinkfoth : Noch über eine Woche zog sich der Ausnahmezustand hin, dann lief wieder alles im gleichen Trott. Aber die Läden waren auf einmal voll. Die Regierung gab zu, schwere Fehler gemacht zu haben, die jetzt wieder gut gemacht würden. Jeder sollte sich frei äußern dürfen und Mängel schonungslos aufdecken.
Auch Harry Springstubbe, Maurerlehrling in der Berliner Stalinallee, registriert gewisse Veränderungen.
Springstubbe: Nach dem 17. Juni hat es Erleichterungen gegeben - nicht in dem erhofften Maße aber es ist etliches gelockert worden, nicht nur in Bezug auf die Entlohnung, politisch wurde die Kordel etwas länger gelassen. Das war ein ganz kleiner Erfolg.
Professor Viktor Klemperer, SED-Mitglied und Volkskammer-Abgeordneter für den Kulturbund, notiert am 22. Juni in sein Tagebuch
Klemperer: Im Radio heißt es heute: Ruhe in den Städten, aber Gärung und Feindhetze auf dem Lande.... Wir sind jetzt für die Großbauern, für die junge Gemeinde, wir sind auf reuigem Rückmarsch.
Ursula Raatz hat nach dem 17. Juni wieder die Chance, an ihre Schule zurückzukehren.
Raatz: Und da hieß es auf einmal, alle, die von der Schule verwiesen wurden, können wieder rauf . Und da haben meine Eltern gesagt, kommt gar nicht in Frage, da hat sich nichts geändert.....
Das Regime versucht gleichzeitig, die Ereignissen vom 17. Juni in einen propagandistischen Sieg umzudeuten. Der Lehrer Karl-Heinz Noack aus Altenburg im Osterzgebirge.
Noack: Der Schulleiter musste 'agitieren'. Er las langatmige Berichte aus dem Neuen Deutschland vor - "Faschistischer Putschversuch gescheitert" - Doch weder Lehrer noch Schüler glaubten den SED-Lügnern.
Schmitt : Bereits am 18. Juni meldete der DDR-Rundfunk, dass Agenten aus der BRD ehrliche Arbeiter zu einem Aufstand verleitet hätten.
Skripitz: Das waren eben Horden - von den Ultras, Westdeutschen, Westberlinern wurde das angestachelt, ganz klar.....Quatsch, das haben die auf die geschoben. Dass das nicht so war. Von den Leuten, die ich gesehen habe, war keiner angeheizt. Da haben sie versucht, uns zu verschaukeln.
Erhard Skripitz, damals Schweißerlehrling in einem Großunternehmen in Potsdam. Käthe Miercke, seinerzeit Angestellte in der Kulturabteilung des DDR-Außenministeriums, sieht das bis heute anders:
Miercke: Was am 17. Juni geschah, war kein Volksaufstand, es war der Beginn des 'Tages X', lange vorausgesagt und lange geplant. Es war ja in keinem Land so leicht, ein solches Spektakel zu inszenieren, zumal es berechtigte Verärgerung in einigen Kreisen der Bevölkerung gab.
Kordon: Da ich ja sogar den jungen Arbeiter, der bei uns im Haus gewohnt hat ganz gut kannte, der mit demonstriert hatte, wusste ich ganz genau, der kommt nicht aus dem Westen, der kommt aus dem Haus - angezettelt war das garantiert nicht von dem Westen
Klaus Kordon, ein damals zehnjähriger Schüler. Hans-Georg Blum ist am 17. Juni als Offiziersschüler der KVP in Halle eingesetzt worden.
Blum: Also gesteuert war es gering, würde ich sagen. Es waren wirklich Arbeiter. Wir haben uns damals so unsere Gedanken gemacht. Das kann nicht alles gesteuert gewesen sein.
Jürgen Schneevogt aus Berlin erinnert sich, wie er Jahre später als Bauleiter mit einem Polier von der Stalinallee ins Gespräch kam.
Schneevogt: Der Polier sprach nicht viel über diese Tage, mit mir nur ein bis zwei Mal. Aber seine Freude darüber, dass der Minister Selbmann vom Tisch gekippt wurde, dass sie es denen da oben gezeigt hatten, war seinen strahlenden Augen und dem leichtem Grinsen anzusehen.