1956, also elf Jahre nach Kriegsende, endete ein erbitterter Briefwechsel zwischen zwei Österreichern: Ein emigrierter und heimgekehrter jüdischer Wiener gegen die Witwe eines Nazis. Es ging um Möbel, die dem zurückgekehrten Wiener von der sowjetischen Verwaltung zugesprochen worden waren; als Entschädigung für seine 1938 arisierte, in klareren Worten: von seinen Landsleuten nazilegal geklaute Habe, bekam er nun Möbel, die ein verurteilter Nazi seinerzeit von Juden requiriert hatte. Dessen Witwe klagte um die Rückgabe dieser Möbel, und zwar erfolgreich. Sie wollte aber mehr und bestand auf einer teuren Instandsetzung: 10 Jahre lang.
Wer in den 70er und 80er Jahren viel in Österreich war, dem braucht man über Antisemitismus, wie er sich damals noch ganz unbefangen äußerte, nichts zu erzählen. Der von den Alliierten abgesegnete Opferstatus der Nation funktionierte lange als Schutzschild der Verdrängung, die Erfahrung der NS-Zeit ließ die Ressentiments sogar neue Höhen erreichen: So wurde Juden ernsthaft vorgeworfen, dass sie emigriert waren, während die Österreicher es so schwer gehabt hatten im Krieg. 700.000 österreichische Parteigenossen stellten zudem einen zu hohen Anteil der Bevölkerung dar, als dass sie lange hätten ausgeschlossen werden können – alle Parteien, einschließlich der Sozialisten, wetteiferten um die 1949 wieder zur Wahl zugelassenen ehemaligen Nazis, die ihrerseits eine eigene Partei gründeten, den Verband der Unabhängigen, Vorläufer der FPÖ. Nur unfreundliche Leute wie der Kabarettist Helmut Qualtinger erinnerten in den 50er und 60er Jahren die Österreicher an ihre Freudenausbrüche beim so genannten Anschluss von 1938. Oder daran, wie viele von ihnen lachend zugeschaut hatten, als Juden gezwungen worden waren, mit Zahnbürsten Anti-Nazi-Parolen von der Straße zu entfernen. Auch Qualtingers berühmte Kleinbürgerfigur, der Herr Karl, hat bei so einer Aktion des gemütlichen Wiener Antisemitismus mitgemacht. Das Opfer war damals der Herr Tennenbaum
"Qualtinger: No nach’m Krieg ist er zurückgekommen, der Tennenbaum. Bin i eahm begegnet, hob ich g’sagt: D’Ehre, Herr Tennenbaum! Hat er nix g’sogt, hat weg’schaut. Hob i noch amal g’sogt: D’Ehre, Herr Tennenbaum! Schaut mi wieder net an. Hob i mir denkt: Sikst jetzt isser bös!"
Jetzt ist er bös, der Tennenbaum. Der Herr Karl versteht es nicht. Er verstand auch nicht, warum viele von den Nazis aus dem Osten ins Reich verschleppte Menschen nach 1945 nicht in ihre entvölkerten, entfremdeten Heimatdörfer zurückwollten, sondern in Lagern für Displaced Persons auf ein neues Leben in Palästina oder sonst wo warteten. Verstand nicht, wie jüdische Rückkehrer auf die kühne Idee kamen, ihnen stünden ihre enteigneten Wohnungen oder Geschäfte wieder zu. Verstand nicht, warum Nazi-Täter verurteilt wurden. Also wurden Nazi-Täter oft nicht verurteilt, so mussten Emigranten um ihr Eigentum gegen voreingenommene, sture, unmenschliche Behörden kämpfen, und Politiker dachten sich Redethemen aus wie "Hungerrenten und die jüdischen Forderungen an Österreich." Legendär ist der Wahlslogan "Ein echter Österreicher", mit dem beim Bundesrats-Wahlkampf 1970 der ÖVP-Kandidant Josef Klaus gegen den nicht echten, gemeint war jüdischen Österreicher Bruno Kreisky von der SPÖ antreten konnte.
Es war ein anderer Wahlkampf, der in der österreichischen Öffentlichkeit den entscheidenden Bruch mit unreflektierten Mentalitätslasten herbeiführte: Die Debatte um die NS-Vergangenheit des Bundespräsidentschafts-Kandidaten Kurt Waldheim 1986. Seither wurde in Forschungsarbeiten und Publikationen das Ausmaß antisemitischer Beharrlichkeit in vielen Details bekannt gemacht, die die Ausstellung im Jüdischen Museum jetzt zusammenstellt. Den Wendepunkt Waldheim repräsentiert im ersten Raum, am Anfang und am Ende der Ausstellung ein Pferd: das "Waldheim-Pferd", eine ahnungsweise pferdähnliche Holzkonstruktion, eine Anspielung auf den berühmten Spruch, demzufolge nicht Waldheim bei der SA gewesen sei, nur sein Pferd. Mit dem Pferd folgten österreichische Linke Kurt Waldheim hartnäckig überallhin, wo er aufzutreten gedachte.
Waldheim-Debatte, Zusammenbruch des Ostblocks, Modernisierung: Qualtingers Österreich gibt es tatsächlich nicht mehr. Aber die Ausstellung endet nicht abrupt 1986. Das Fortwirken eines immer mal wieder zutage tretenden antisemitischen Unterstroms belegt das Zitat eines Kleinstadtbürgermeisters "Die Juden treiben’s noch so weit, bis sie wieder eine am Deckel kriegen". Der Satz fiel im Jahr 2000.
Wer in den 70er und 80er Jahren viel in Österreich war, dem braucht man über Antisemitismus, wie er sich damals noch ganz unbefangen äußerte, nichts zu erzählen. Der von den Alliierten abgesegnete Opferstatus der Nation funktionierte lange als Schutzschild der Verdrängung, die Erfahrung der NS-Zeit ließ die Ressentiments sogar neue Höhen erreichen: So wurde Juden ernsthaft vorgeworfen, dass sie emigriert waren, während die Österreicher es so schwer gehabt hatten im Krieg. 700.000 österreichische Parteigenossen stellten zudem einen zu hohen Anteil der Bevölkerung dar, als dass sie lange hätten ausgeschlossen werden können – alle Parteien, einschließlich der Sozialisten, wetteiferten um die 1949 wieder zur Wahl zugelassenen ehemaligen Nazis, die ihrerseits eine eigene Partei gründeten, den Verband der Unabhängigen, Vorläufer der FPÖ. Nur unfreundliche Leute wie der Kabarettist Helmut Qualtinger erinnerten in den 50er und 60er Jahren die Österreicher an ihre Freudenausbrüche beim so genannten Anschluss von 1938. Oder daran, wie viele von ihnen lachend zugeschaut hatten, als Juden gezwungen worden waren, mit Zahnbürsten Anti-Nazi-Parolen von der Straße zu entfernen. Auch Qualtingers berühmte Kleinbürgerfigur, der Herr Karl, hat bei so einer Aktion des gemütlichen Wiener Antisemitismus mitgemacht. Das Opfer war damals der Herr Tennenbaum
"Qualtinger: No nach’m Krieg ist er zurückgekommen, der Tennenbaum. Bin i eahm begegnet, hob ich g’sagt: D’Ehre, Herr Tennenbaum! Hat er nix g’sogt, hat weg’schaut. Hob i noch amal g’sogt: D’Ehre, Herr Tennenbaum! Schaut mi wieder net an. Hob i mir denkt: Sikst jetzt isser bös!"
Jetzt ist er bös, der Tennenbaum. Der Herr Karl versteht es nicht. Er verstand auch nicht, warum viele von den Nazis aus dem Osten ins Reich verschleppte Menschen nach 1945 nicht in ihre entvölkerten, entfremdeten Heimatdörfer zurückwollten, sondern in Lagern für Displaced Persons auf ein neues Leben in Palästina oder sonst wo warteten. Verstand nicht, wie jüdische Rückkehrer auf die kühne Idee kamen, ihnen stünden ihre enteigneten Wohnungen oder Geschäfte wieder zu. Verstand nicht, warum Nazi-Täter verurteilt wurden. Also wurden Nazi-Täter oft nicht verurteilt, so mussten Emigranten um ihr Eigentum gegen voreingenommene, sture, unmenschliche Behörden kämpfen, und Politiker dachten sich Redethemen aus wie "Hungerrenten und die jüdischen Forderungen an Österreich." Legendär ist der Wahlslogan "Ein echter Österreicher", mit dem beim Bundesrats-Wahlkampf 1970 der ÖVP-Kandidant Josef Klaus gegen den nicht echten, gemeint war jüdischen Österreicher Bruno Kreisky von der SPÖ antreten konnte.
Es war ein anderer Wahlkampf, der in der österreichischen Öffentlichkeit den entscheidenden Bruch mit unreflektierten Mentalitätslasten herbeiführte: Die Debatte um die NS-Vergangenheit des Bundespräsidentschafts-Kandidaten Kurt Waldheim 1986. Seither wurde in Forschungsarbeiten und Publikationen das Ausmaß antisemitischer Beharrlichkeit in vielen Details bekannt gemacht, die die Ausstellung im Jüdischen Museum jetzt zusammenstellt. Den Wendepunkt Waldheim repräsentiert im ersten Raum, am Anfang und am Ende der Ausstellung ein Pferd: das "Waldheim-Pferd", eine ahnungsweise pferdähnliche Holzkonstruktion, eine Anspielung auf den berühmten Spruch, demzufolge nicht Waldheim bei der SA gewesen sei, nur sein Pferd. Mit dem Pferd folgten österreichische Linke Kurt Waldheim hartnäckig überallhin, wo er aufzutreten gedachte.
Waldheim-Debatte, Zusammenbruch des Ostblocks, Modernisierung: Qualtingers Österreich gibt es tatsächlich nicht mehr. Aber die Ausstellung endet nicht abrupt 1986. Das Fortwirken eines immer mal wieder zutage tretenden antisemitischen Unterstroms belegt das Zitat eines Kleinstadtbürgermeisters "Die Juden treiben’s noch so weit, bis sie wieder eine am Deckel kriegen". Der Satz fiel im Jahr 2000.