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Diesel-Abgasskandal
Klagewellen belasten Gerichte

Viele Käufer von Diesel-Pkw fühlen sich im Zusammenhang mit dem Abgasskandal betrogen und klagen gegen Hersteller und Händler. Das aber stellt die Justiz vor große Herausforderungen, wie die Jahrespressekonferenz des Landgerichts Stuttgart zeigt.

Von Thomas Wagner | 29.07.2019
    Geräte für die Probennahme von Feinstaub und Stickoxiden stehen auf der Luftmessstelle «Stuttgart am Neckartor».
    Die sogenannten "Dieselklagen" haben die Fallzahlen um 30 Prozent in die Höhe getrieben. (picture alliance / Sebatian Gollnow)
    Richterinnen und Richter legen Nacht- und Wochenendschichten ein - am Landgericht Stuttgart. Der Grund:
    "Die Dieselklagewelle gegen mehrere Automobilkonzerne, die hält das größte Gericht in Baden-Württemberg in Atem. Beim Landgericht Stuttgart sind in den letzten Jahren über 4000 Dieselklagen eingegangen."
    So Gerichtspräsident Dr. Andreas Singer auf der Jahrespressekonferenz. Will heißen: Die sogenannten "Dieselklagen" haben die Fallzahlen um gleich mal 30 Prozent in die Höhe getrieben. Vor allem im zweiten Halbjahr gingen diese "Diesel-Klagen" deutlich nach oben, so Gerichtspräsident Andreas Singer. Und sie richteten sich vor allem, mit 1500 Fällen alleine zwischen Juni und Dezember 2018, gegen die Volkswagen-AG. Im ersten Halbjahr 2019 seien die Klagen gegen VW aber deutlich rückgängig.
    "Ein Grund dafür könnte die Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentralen und des ADAC gegen die Volkswagen-AG beim Oberlandesgericht Braunschweig sein. Der haben sich inzwischen über 420 000 Verbraucher angeschlossen!"
    Da kann noch einiges auf die Justiz zukommen
    Und die, so Gerichtspräsident Andreas Singer, warten erst einmal auf den Ausgang dieser Musterfeststellungsklage. Je nach dem, wie die ausgeht, werden sie aber wohl dann mit Individualklagen weiter vor Gericht ziehen.
    "Das heißt: Die Klagewelle der Volkswagen scheint mir aktuell nur aufgeschoben, nicht aufgehoben."
    Eine Entlastung bedeutet das für die Stuttgarter Richter ohnehin nicht. Dann seit Jahresbeginn haben sie es mit einer zweiten Klagewelle zu tun. Und die richtet sich gegen einen Autohersteller in unmittelbarer Nachbarschaft.
    "Im Gegensatz zu Volkswagen nehmen seit Anfang 2019 die Klagen gegen den Daimler-Konzern deutlich zu. Alleine im ersten Halbjahr sind bei uns über 1100 Klagen gegen den Stuttgarter Autobauer eingegangen. In Medienberichten haben zahlreiche Anwaltskanzleien und international agierende Prozessfinanzierer angekündigt, dass die Welle jetzt erst so richtig zu rollen beginne."
    Daimler bestreitet weiterhin jede Schuld
    Massenklagen, bei denen es um Tausende weiterer Fahrzeuge geht, sind bereits angekündigt. Hinzu kommt: Im Vergleich zu Volkswagen gestalten sich die Verfahren in Sachen Diesel gegen Daimler deutlich komplizierter. Denn: VW hat den Einbau illegaler Abschalteinrichtungen zugegeben; Daimler bestreitet dies bis zum heutigen Tag. Dass die sogenannten 'Diesel-Klagen' gegen Daimler gerade seit Jahresbeginn derart zugenommen haben, lässt sich nach Ansicht von Gerichtspräsident Andreas Singer auf einen simplen Grund zurückführen:
    "In den Verhandlungen zeigt sich, dass die bereits drohenden oder bestehenden Fahrverbote für Dieselfahrzeuge oft der eigentliche Grund für die Klageerhebung sind. Ziel der meisten Kläger ist es, ihr Fahrzeug ohne finanzielle Einbußen zurückgeben zu können."
    Ruf nach mehr Personal wird lauter
    Was mal gelingt, mal wieder nicht: Denn jeder Einzelfall sei anders gelagert, die technische und rechtliche Einordnung derart komplex, dass es keine einheitliche Urteilslinie geben könne. Klar ist aber: Bleibt die, wie es Gerichtspräsident Andreas Singer formuliert, "Dieselklagewelle" auf derart hohem Niveau, dann ist baldige Abhilfe angesagt.
    "Klar ist schon jetzt, dass wir für die auf Jahre angelegte strukturelle Mehrbelastung dringend Verstärkung brauchen. Einen Verfahrensanstieg von 30 Prozent können sie mit Nachtschichten und Wochenendarbeit nicht bewältigen."
    Will heißen: Wegen der Diesel-Fälle müssen nach Ansicht des Gerichtspräsidenten neue Stellen geschaffen werden. Wie viele genau, das ließ er allerdings offen.