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Diesel-Debatte
Hendricks: Bisherige Maßnahmen nicht ausreichend

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat die Kritik am Bericht des Umweltbundesamtes über Maßnahmen zur Stickoxid-Reduzierung zurückgewiesen. "Es hat nichts mit Ideologie zu tun, wenn man die Dinge beim Namen nennt", sagte sie im Dlf. Die Automobilindustrie müsse bessere Angebote machen.

Barbara Hendricks im Gespräch mit Sandra Schulz | 25.08.2017
    Barbara Hendricks
    Barbara Hendricks zum Diesel-Gipfel: "Ein erster Schritt, aber es muss weitere Erörterungen geben" (imago /ZumaPress)
    Dem Bericht des Umweltbundesamtes (UBA) zufolge reichten die auf dem Diesel-Gipfel Anfang August beschlossenen Maßnahmen zur Reduzierung von Stickoxiden in der Luft nicht aus, um Mensch und Umwelt zu schützen. Peter Ramsauer (CSU) hatte die Berechnungen des UBA angezweifelt. Er sagte im Deutschlandfunk: "Man hat den Eindruck, dass hier einfach wieder mal sehr viel Ideologie im Spiel ist und dass Barbara Hendricks das Umweltbundesamt ein Stück weit dazu missbraucht, um Wahlkampf zu machen".
    Das wies Hendricks zurück. Das UBA arbeite wissenschaftlich unabhängig. Zudem seien die Zahlen selbst vom Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) bestätigt worden. Der Diesel-Gipfel sei der "erste Aufschlag" gewesen. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe bereits einen zweiten Gipfel angekündigt. "Dafür sind die Daten von UBA und VDA eine Hilfestellung, um herauszufinden, wie es weitergehen soll".
    Hendricks betonte, dass es auch im Interesse der Automobilindustrie sei, eine gute Lösung zu finden, um das Vertrauen der Kunden in ihre Produkte zurückzugewinnen.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Stickoxide in hoher Konzentration reizen unsere Atmungsorgane. Sind zu viele Stickoxide in unserer Atemluft, dann ist das schlecht für die Lunge. Darum gibt es in Europa einen Grenzwert für diese Stoffe. In Dutzenden von Städten in Deutschland wird dieser Grenzwert aber deutlich gerissen, und darum zirkelt seit Wochen die Diskussion um die besonders schmutzigen Diesel-Autos.
    Bei der Union haben die Zahlen, von denen wir gerade gehört haben, für Empörung gesorgt: die Zahlen des Umweltbundesamtes. Der CSU-Abgeordnete Peter Ramsauer, der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, der hat gestern Morgen das hier bei uns im Deutschlandfunk gesagt:
    Peter Ramsauer: "Ob das, was das Umweltbundesamt gestern präsentiert hat, Wahrheit ist, das wage ich, sehr in Zweifel zu ziehen. Man hat den Eindruck, dass hier einfach wieder mal sehr viel Ideologie im Spiel ist und dass Barbara Hendricks das Umweltbundesamt ein Stück weit dazu missbraucht, um Wahlkampf zu machen."
    Schulz: Darüber konnte ich vor einigen Minuten mit der Bundesumweltministerin sprechen, mit Barbara Hendricks von der SPD. - Schönen guten Morgen!
    Barbara Hendricks: Guten Morgen, Frau Schulz.
    "Das ist nichts anderes als Wahlkampf"
    Schulz: Das Umweltbundesamt, das ist eine Behörde, die Ihrem Ministerium untersteht. Das hat jetzt in dieser Woche Zahlen vorgelegt, die genau Ihre politische Forderung untermauern. Was ist das anderes als Wahlkampf?
    Hendricks: Nein, das ist nichts anderes als Wahlkampf. Das ist ganz klar. Wir haben zum Beispiel auch durch den VdA, also den Verband der deutschen Automobilindustrie, die Bestätigung bekommen. Die haben eine Veröffentlichung gemacht, an dem Tag noch selbst, und da heißt es, die heute vom UBA vorgestellten Prognosen zur Verringerung der Stickoxid-Emissionen im Straßenverkehr in Deutschland liegen mit den VdA-Berechnungen auf einer Linie.
    Schulz: Es gibt aber auch andere Zahlen oder andere Berechnungen. Es gibt Zweifel an den Zahlen des Umweltbundesamtes. So hat ja Verkehrsminister Dobrindt reagiert und Peter Ramsauer, der CSU-Politiker, der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, der hat gestern Morgen noch ein bisschen deutlicher reagiert hier bei uns im Deutschlandfunk. Das wollen wir uns mal zusammen anhören:
    Ramsauer: "Also jetzt zu sagen, man habe es amtlich, dass das alles nicht reicht, das ist Quatsch. Das Umweltbundesamt ist zwar ein Amt, aber es rechnet oft Dinge aus und befasst sich mit Dingen, die es nichts angeht, und rechnet Dinge aus, die oft weit von der Wahrheit entfernt sind, von der Sie gerade gesprochen haben."
    Fahrverbote sollen vermieden werden
    Schulz: Wir sprechen da über eine Behörde, die Ihnen ja untersteht. Was antworten Sie auf diese harsche Kritik?
    Hendricks: Erstens antworte ich darauf, natürlich hat das Umweltbundesamt solche Berechnungen vorzulegen. Es ist übrigens auch eine durchaus unabhängige Wissenschaftsinstitution. Und es ist natürlich dafür zuständig, die Luftbelastung in den Städten oder überhaupt die Luftbelastung zu messen. Es maßt sich also nicht irgendetwas an.
    Und ich will noch mal sagen: Wenn selbst der Verband der deutschen Automobilindustrie unsere Ergebnisse bestätigt – und die haben ja wirklich im Prinzip ein anderes Interesse -, dann werden Sie nicht sagen können, dass die Zahlen falsch sind. Es hat auch nichts mit Ideologie zu tun, wenn man die Dinge beim Namen nennt. Es ist einfach so: Es reicht noch nicht aus, was bisher vorgelegt worden ist. Aber wir arbeiten natürlich daran, wir setzen das ja auch fort mit anderen Anstrengungen, dass tatsächlich dann auch wirklich Fahrverbote vermieden werden. Bis jetzt kann man das noch nicht ausschließen - nicht weil wir es wollen, sondern weil wir damit rechnen müssen, dass Gerichte dies Städten zur Auflage machen, und das wollen wir vermeiden.
    Arbeitsgruppen entwerfen Mobilitätsstrategien
    Schulz: Ich würde den Bogen gerne noch mal zurückschlagen, weil wir jetzt über diese Berechnungen des Umweltbundesamtes sprechen. Da ist ja die Kritik aus dem Verkehrsministerium, dass da einzelne Maßnahmen herausgegriffen werden und nicht das Gesamtpaket angeschaut wird, das ja bei diesem Diesel-Gipfel verabschiedet wurde. Müsste man da nicht das vollständige Bild zeichnen?
    Hendricks: Ja, das will ich nicht bestreiten. Aber es sind die Berechnungen, die bisher zum Beispiel vom Verband der Automobilindustrie auch vorgelegt worden sind, nämlich das, was die Automobilindustrie bisher zugesagt hat, nämlich die Software-Updates und dann auch darüber hinaus noch die Angebote, Autos sozusagen mit einer Prämie auszutauschen. Das ist das Angebot der Automobilindustrie.
    Darüber hinaus macht der Staat noch einiges. Wir fördern zum Beispiel den Umstieg auf Elektrobusse in den Kommunen, wenn alte Busse aus dem Verkehr gezogen werden, dass dann Elektrobusse neu angeschafft werden. Wir wollen Mobilitätsstrategien für die Städte entwerfen. Wir haben ja vier Arbeitsgruppen, vier Expertengruppen eingesetzt, die sich mit den Themen weiter befassen. Übrigens eine von diesen Expertengruppen hat ausdrücklich den Auftrag, sich mit dem Thema zu befassen, wie und auf welche Art und Weise können Nachrüstungen an den Autos vorgenommen worden. Die Frage ist ja weiterhin hoffen. Ich habe nur darauf hingewiesen, bis jetzt reicht das noch nicht aus, was die Automobilindustrie vorgeschlagen hat.
    Schulz: Da würde mich interessieren, Frau Hendricks, wie Sie da jetzt weiter vorgehen wollen. Sie haben ja vor diesem Diesel-Gipfel Forderungen an die Automobilindustrie gestellt, sind damit ziemlich deutlich abgeblitzt, eben diese Forderung auch nach Hardware-Updates. Jetzt gibt es diese neuen Zahlen, Sie haben diese Forderung auch wiederholt, sind damit aber jetzt wieder abgeblitzt. Wie wollen Sie die jetzt eigentlich noch durchsetzen?
    Hendricks: Sehen Sie mal, wir sind ja am Beginn dieses Prozesses. Der Diesel-Gipfel ist ja auch nach der Definition der Bundeskanzlerin ein erster Aufschlag. Und wir sind nicht am Ende des Prozesses, sondern die Arbeitsgruppen tagen jetzt. Und wie gesagt: Eine dieser Expertengruppen hat den Auftrag zu prüfen, wie man denn Nachrüstungen an den Automobilen selber vornehmen kann. Das heißt also, die Daten, die mein Umweltbundesamt vorgelegt hat und die, wie ich noch mal sage, mit den Daten des Verbandes der deutschen Automobilindustrie übereinstimmen, sind eine Hilfestellung dafür zu sagen, wie gehen wir denn weiter voran. Die Kanzlerin hat einen zweiten Diesel-Gipfel angekündigt. Der wird ja nicht einfach nur sagen, okay, setzen wir uns mal zusammen, ist ja alles gut, sondern es wird daran gearbeitet. Die Expertengruppe, die in meiner Verantwortung liegt, hat gestern zum ersten Mal getagt und wird Mitte Oktober fertig sein.
    Automobilindustrie muss Vertrauen zurückgewinnen
    Schulz: Aber das ist jetzt vielleicht Ihre Sicht, dass wir da zu Beginn der Gespräche sind. Die Automobilindustrie, die hat ihren Standpunkt ja schon ganz deutlich gemacht. Matthias Müller von VW, von dem Unternehmen, das ja die Käufer betrogen hat nach Strich und Faden, der hat gesagt: Nein, wir machen da keine weiteren Nachrüstungen. Ist das einfach die Erkenntnis, ist das der Befund, den wir heute Morgen zusammen erstellen müssen, dass letzten Endes, wenn wir über eine Industrie sprechen in Deutschland, die so wichtig ist wie die Automobilindustrie, dass die dann das Sagen hat und nicht die Politik?
    Hendricks: Sehen Sie, die deutsche Automobilindustrie hat doch ganz sicher ein ureigenes Interesse daran, Vertrauen der Kundinnen und Kunden zurückzugewinnen. Dies muss man ja wohl haben. Kundinnen und Kunden brauchen Vertrauen in die Produkte und deswegen brauchen sie auch Vertrauen in die Hersteller. Ich bin ganz sicher, dass es im ureigenen Interesse der Automobilindustrie liegt, dieses Vertrauen zurückzugewinnen, und dafür ist das, was bisher angeboten worden ist, einfach noch nicht ausreichend.
    Schulz: Und was ist mit dem Vertrauen, das die Wähler in Sie als Umweltministerin setzen und gesetzt haben? Wir stellen fest: Die Legislaturperiode ist quasi zu Ende. Wir haben seit Jahren den Status quo, dass in Dutzenden deutschen Städten, Großstädten, die Stickoxid-Werte gerissen werden, deutlich gerissen werden. Warum konnten Sie daran als Umweltministerin nichts ändern?
    Hendricks: Nun, Sie wissen ja, dass das ein Abstimmungsprozess innerhalb der Bundesregierung sein muss. Ich habe den Vorschlag gemacht, dass wir eine blaue Plakette einführen. Das ist nicht zwingend, aber dies hat der Bundesverkehrsminister abgelehnt. Wir können solche Dinge in der Tat nur einvernehmlich machen. Sehen Sie, der Bundesverkehrsminister hat die Verantwortung dafür, dass die Autos sauber sind und dass überhaupt die Typenzulassung okay ist. Ich habe dann hinterher die Verantwortung dafür, dass die Luft in den Städten sauber ist. Ich kann aber die Autos als Autos sozusagen nicht ändern. Das eine ist die Emissionsseite, was pustet das Auto in die Luft, und das andere ist die Immissionsseite, was ist dann hinterher in der Luft angekommen und was müssen die Menschen einatmen. Dafür habe ich Verantwortung, ja, aber ich habe sie nicht allein. Ich kann sie natürlich nur in der Bundesregierung mit den anderen Verantwortlichen ausüben.
    Interessengegensätze zwischen den Ministerien
    Schulz: Aber wir sehen es doch jetzt, dass die SPD im Wahlkampf das noch mal rausstellen will, welche Erfolge die Sozialdemokraten auch in dieser Großen Koalition für sich zu verbuchen gehabt haben sollen. Da stelle ich fest: Die Umweltthematik, die Umweltpolitik, die hat dann letzten Endes auch bei der SPD keine Lobby?
    Hendricks: Die Umweltpolitik hat bei der SPD eine sehr starke Lobby. Aber ich habe insbesondere natürlich Interessengegensätze, nicht zuletzt im Verkehr, sondern auch bei der Landwirtschaft. Diese beiden Minister sind zufällig Mitglieder der CSU. Persönlich mag ich sie durchaus leiden, aber es ist nicht immer einfach, innerhalb einer Koalitionsregierung das für richtig Erachtete auch wirklich durchzusetzen. Deswegen brauchen wir natürlich eine starke Sozialdemokratie, wenn Sie mich schon so fragen nach SPD. Sonst hätte ich jetzt nichts dazu gesagt.
    Schulz: Haben Sie sich denn mit diesem Mandat jetzt beworben, wenn Sie Ihre Rolle als Umweltministerin so schildern, dass Sie sich da letzten Endes überhaupt nicht durchsetzen konnten?
    Hendricks: Frau Schulz, meine Rolle als Umweltministerin entspricht der Rolle eines Umweltministers oder einer Umweltministerin immer. Es gibt Interessengegensätze, das sind auch natürliche Interessengegensätze innerhalb einer Regierung, und es gibt immer Auseinandersetzungen zwischen Umwelt und Verkehr und Umwelt und Landwirtschaft und auch Umwelt und Wirtschaft. Und es ist die Aufgabe, in einer Regierung zu einem Ausgleich zu kommen. Dann kommt mal der eine voran und mal der andere. Aber niemand kann sich jemals zu 100 Prozent durchsetzen.
    Schulz: Bundesumweltministerin Barbara Hendricks von der SPD heute Morgen im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.