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Digitaler Lifestyle im Kiez

In der vergangenen Woche lockte Verleger Hubert Burda führende Vertreter der Internetbranche erneut zum jährlichen Szene-Event "Digital Lifestyle Day". Zwar sind die hochfliegenden Pläne aus der Boom-Zeit ausgeträumt, doch an Ideen mangelt es offenbar dennoch nicht.

Von Thomas Reintjes |
    Es scheint wieder aufwärts zu gehen. Nicht nur im Internet selbst, sondern vor allem in dessen Verknüpfung mit dem Handy sehen viele großes Potenzial. So auch Marissa Mayer von Google, die an einer Diskussionsrunde mit dem Titel "The next big thing" teilnahm:

    "Eine große Sache wird wahrscheinlich der drahtlose Breitband-Zugang sein. Und vor allem drahtloser Breitbandzugang über die Handynetze, so dass man überall, wo man ein Handy nutzen kann, im Internet surfen kann. Das wäre wirklich toll. Wir müssen dabei auch an Länder wie Indien und China denken, wo die Menschen keine Computer haben. Aber sie haben Handys. Und wir müssen darüber nachdenken, wie wir deren Bedürfnisse befriedigen können. Ich denke, das ist eine wirklich großartige Gelegenheit und vielleicht die nächste große Sache."

    Auf Anwendungsebene sieht Google die nächste große Sache übrigens in irgendeiner der vielen kleinen, kreativen Firmen heranreifen. Vielleicht wird es ja eine Anwendung für mobiles Breitbandinternet sein, auch wenn die seit langem ersehnte Killer-Applikation für UMTS auch auf dem Digital Lifestyle Day 2006 nicht zu erkennen war. Als Entwickler für neue Handyanwendungen trat dort Kevin Slavin auf. Er glaubt, dass sich die Art und Weise der Handykommunikation verändern wird.

    "Dadurch, dass das Handy jetzt ein Auge hat, kann es sehen. Und dadurch kann es anderen Leuten zeigen, was wir sehen, und es kann sehen, was andere Leute sehen. Und es kann ihm beigebracht werden, zu verstehen, was es hört. Das heißt, es kann uns etwas von der Verarbeitung abnehmen. Am wichtigsten ist aber vielleicht, dass das Handy weiß, wo es sich befindet. Das wird in Zukunft jedes Handy können."

    Das nutzt auch der Dienst "socialight", der die Kommunikation auf eine andere Ebene bringt. Damit werden Nachrichten – Texte, Bilder oder Töne – nicht mehr an bestimmte Personen geschickt, sondern an Orten abgelegt. Wer an diesem Ort vorbeikommt, erhält die Nachricht auf seinem Handy. Damit könnten Nutzer Freunde auf ein Café hinweisen, das als Geheimtipp gilt, oder man hinterlässt eine Nachricht auf seiner Joggingstrecke, um neue Laufpartner zu finden. Auch als Touristenführer ließe sich die Technik anwenden. In den USA funktioniert der Service per Handyortung auch ohne GPS. In Deutschland, so bedauert socialight-Erfinder Dan Melinger, bleibt die Ortung vor allem Feuerwehr und Polizei vorbehalten. Denn: Hierzulande kostet Handy-Ortung Geld.

    Überhaupt bedauerten die Handy-Anwendungsentwickler, dass der Markt so stark reguliert sei. Dadurch würden sich neue Ideen viel schwieriger umsetzen lassen als im Internet. Einer, der trotzdem in seiner Kreativität kaum zu bremsen ist, ist Kevin Slavin aus New York. Er entwickelt Handy-Spiele – aber keine Spiele, die im Handy stattfinden, sondern Spiele in der realen Welt, die das Handy als Hilfsmittel benutzen. Er beschrieb auf dem Digital Lifestyle Day etwa ein Spiel, in dem zwei Spieler Straßenzüge von Manhattan als ihr Territorium kennzeichnen. Doch es gibt einen bösen Charakter, den alle fürchten: der Voodoo-Baron. Im Gegensatz zu den Spielern, bewegt dieser sich aber nicht wirklich in den Straßen, sondern virtuell:

    "Wir können ihn nur auf dem Handy sehen. Aber er bewirkt etwas in diesem Paralleluniversum. Also, wenn wir an der Ecke 29. Straße/8th Avenue sind und wir sehen auf dem Handy, dass der Baron die 8th Avenue entlang geht, dann wird uns klar, dass wir besser rüber zur 9th Avenue rennen, um ihm zu entgehen. Und diese Art von Erfahrungen, dass wir vor etwas wegrennen, dass es gar nicht wirklich gibt, das ist die Zukunft des Handys, das ist die Zukunft von Spielen."

    Kevin Slavin verdient mit seinen Spielen, die alle Sinne eines Handys nutzen, Geld. Doch er übersieht dabei nicht, dass das Handy als ständiger Begleiter auch eine Schattenseite hat.

    "Neulich habe ich mir in Manhattan ein Taxi genommen und fand auf dem Sitz ein Handy. Ich konnte mir aus den Videos, Fotos und SMS-Nachrichten ein genaues Bild davon machen, wer dieses Telefon dort vergessen hatte. Wenn ich in zehn Jahren ein Handy finde, dann werde ich ein großes Stück des Lebens von jemandem in meinen Händen halten."