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Digitales Logbuch

Eine der ganz wenigen brillianten Ideen der jüngsten Zeit steckte in einem Werkzeug, das dem Austausch von Musik zwischen Computern im Netz diente. Abseits von Email, World Wide Web und FTP-Protokollen konnte mit diesem kleinen Stück Code jeder einen besonders musikhaltigen Teil seiner Festplatte so freischalten, dass sich andere Surfer im Netz nach Belieben bedienen konnten. Und nicht nur das: Das kleine Stück Code sagte jedem, auf welchen Festplatten in aller Welt er diesen oder jenen Song finden konnte. Das führte innerhalb von nur zwei Jahren zum größten Musikarchiv aller Zeiten, mit 70 Millionen Mitspielern, und es war nicht virtuell: Diskutierte in einem Dorf im Hunsrück ein Metzger mit seinem Lehrling über Woodstock, war es eine Frage von wenigen Minuten, bis Hendrix' Gitarre aus den Bürolautsprechern weinte.

    Der Erfinder dieses Werkzeugs heißt Sean Fanning, und weil er zur Zeit der Erfindung ein kurzgeschorener Teenager mit Metallica-T-Shirt war, der in der Schule immer eingenickt war - kleine Naps hielt - und solche Leute in der Regel nicht in die Annalen der Geschichte eingehen dürfen, setze ich ihm hiermit ein Denkmal: Danke Sean. Du bist kein Programmiergenie, aber Du hast zur rechten Zeit gewusst, dass die Festplatten der Menschen fett genug für jede Menge Audio waren; dass Töne keine Internetverbindungen verstopften; und vor allem, dass jeder an seinem PC ein sattes billiges Subwoofersystem hatte.

    Danke, Sean, für weltweit prall gefüllte Festplatten mit Musik, die normalerweise in den teueren Tempeln der Plattenindustrie verschimmelt wäre. Danke, dass du den Musikern die Augen geöffnet hast, wie gierig ihre Herren wirklich sind. Die amerikanische Musikindustrie hat dich im Sommer 2001 nach kurzem Kampf niedergestreckt und kämpft jetzt mit irrsinnigem Aufwand gegen die Kopisten deiner kleinen feinen Idee, gegen Windmühlen.

    Deine Computer kommen jetzt unter den Hammer, dein Logo wurde verkauft an einen unbedeutenden Vertreiber unbedeutender Haufen von Bits. Von deinem Spitznamen, dem, der immer einnickt, der "Napster", bleibt nur noch ein Verb zurück: napstern. Hammse heute schon genapstert? Und wer kann von sich sagen, dass er ein Verb in die Welt gesetzt hat? Die meisten setzen Nomen und Abkürzungen in die Welt.

    Und nun mach den Metal wieder schön laut, Sean Napster Fanning, und schlaf weiter!

    von: Maximilian Schönherr