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Digitales Logbuch
Apps auf der Überholspur

Mittlerweile gibt es für fast alle "wichtigen" Lebensbereiche Apps für Smartphones. Schiffe und Flugzeuge können geortet oder die Fahrradtour geplant werden. Glänzen lässt sich mit der Laufleistung auf der Joggingstrecke oder dem Wissen beim "Quizduell": Apps haben Konjunktur.

Von Maximilian Schönherr | 22.02.2014
    Auf einem Smartphone werden nebeneinander die beiden Apps von WhatsApp und Facebook angezeigt.
    Apps haben Hochkonjunktur, mit der richtigen Idee läßt sich viel Geld verdienen. (dpa / Michael Kappeler)
    Früher, wenn mich verzweifelte ältere Herren oder schöne, gebrochenes englisch sprechende Frauen nach dem Weg fragten, holte ich mein Smartphone heraus, rief die Karten auf, und wir fanden die Schlossallee, die Paulusstraße und den Frühlingsweg. Der Respekt meiner Rat suchenden Mitmenschen war groß: Ich hatte das Gerät, die App, das Hoheitswissen. Und man glaubte mir, der App, dem Smartphone alles, ohne sich einzumischen.
    Das wurde zunehmend schwierig. Denn seit Smartphones keine Seltenheit mehr sind, tapsen und wischen mir die emanzipierten nach dem Weg Fragenden respektlos auf dem Display herum.
    Bis mich jetzt eine (gebrochen Englisch sprechende) Ungarin mit braunen Augen und grün lackierten, abgekauten Fingernägeln charmant nach dem "Spielmannsweg" fragte. Ich zauberte leicht widerwillig die Karte auf dem Display hervor, drückte auf den Hier-bin-ich-Pfeil. Aber noch bevor sich die App orientierten konnte, drückte die Frau vor Begeisterung auf mein Smartphone ein, zweimal, fünfmal, siebenmal: "Here, yes, here! I think."
    Meine Benutzerschnittstelle geriet völlig durcheinander. Wir sahen nun statt dem vermutlich winzig kleinen Spielmannsweg irgendwo hier um die Ecke ganz Deutschland, samt seinen lieben Nachbarn. Während ich mit zwei Fingern und der Pinch-Geste auf Vergrößerung gehen wollte, grätschte mir die kleine (eigentlich gar nicht so kleine) Ungarin dazwischen: "More eastly, more eastly!" und führte uns beschwingt nach Osteuropa, direkt in die Onkologie der Universitätsklinik in Krakau. Schnell wieder weg: "Much more westly!" - worauf auf einmal alles blau ist, mit ein paar braunen Flecken mitten im Ozean - die Azoren.
    Und jetzt passiert das Erstaunliche: Auf der kleinen Azoreninsel Graciosa lassen die Frau aus Ungarn und ich uns umgehend nieder, trinken einen dort angebauten Tee, sehen uns endlich groß in die Augen. (Ihre ungarischen tiefbraunen Augen!) Und wie in den Vorabendserien küssen wir uns. Natürlich endet die romantische Geschichte damit, dass wir schon beim ersten gemeinsamen "Sunset" mein Smartphone samt seiner Karten-App in die Wellen werfen, und es gelingt, ohne Fingergestenkonflikt, sofort!
    Übrigens: Wir bekommen drei entzückende Kinder, die völlig untechnisch aufwachsen und auf der Insel auch nie nach dem Weg gefragt werden.