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Diktatur oder politischer Schluckauf

Seit der großen Hungersnot im Jahre 1984 ist Äthiopien für viele ein Symbol für die Armut in Afrika. Wirtschaftlich geht es dem Land bis heute miserabel, obwohl das Land derzeit die beste Ernte seit jeher erlebt. Armut und Perspektivlosigkeit sorgen aber für ein angespanntes innenpolitisches Klima in Äthiopien. Hinzu kommen ständig aufflammende Auseinandersetzungen unter den gut 80 unterschiedlichen Ethnien im Lande. Der Ausgang der Parlaments-Wahlen im Mai 2005 hat die Stimmung im Lande zusätzlich angeheizt.

Von Thomas Kruchem |
    Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba ist ein Moloch aus Zement, Wellblech und qualmenden Schrottautos; aus zahllosen Bettlern und plärrender Kaffeehaus-Musik. Dazu Baustellen; neuerdings schießen überall schmucke Geschäftshäuser aus dem Boden, vor denen junge, gut gekleidete Leute ins Handy gestikulieren. Die Zeitungen berichten von der zweiten guten Ernte hintereinander. Äthiopien könnte - so scheint es - auf einem guten Weg sein.

    "Es ist auf einem ganz schlimmen Weg", sagt in einem winzigen, blechgedeckten Betonhäuschen am Stadtrand ein junger Student mit schmalem, fast ausgezehrt wirkendem Gesicht; ein Student von der Volksgruppe der Oromos, der größten Äthiopiens.

    " Wir alle leben in Angst, weil so viele Soldaten in der Stadt sind. Sie schießen auf Dich; sie nehmen Dich fest und verschleppen Dich in ein Konzentrationslager. Das größte liegt 350 Kilometer von hier - im Didessa-Tal. Wir schätzen, dass sie dort 20.000 Oromos festhalten. Viele andere wurden umgebracht oder haben das Land verlassen."

    Der Student deutet auf ein Foto über dem Sofa: "Meine Schwester bei der Examensfeier. Sie ist seit dem 3. November verschwunden." - Der Student erzählt von der Unterdrückung der heute 30 Millionen Oromos, die mit der Kolonisierung durch Amharen-Kaiser Menelik von 120 Jahren begann und unter der jetzigen Meles-Regierung andauert. - "Ich bin Kämpfer der ‚Oromo Liberation Front', der OLF", gibt sich der junge Mann zu erkennen. "Ich kämpfe bewaffnet für die Rechte der Oromos."

    " Die "Oromo Liberation Front" ist zwar militärisch nicht stark, dafür jedoch politisch. - Die OLF will übrigens nicht, wie es oft heißt, Oromia vom Rest Äthiopiens trennen. Wir wollen was uns als größter Volksgruppe im Lande gerechterweise zusteht. Wir wollen in unserer Sprache lernen und unsere Ressourcen selbst verwalten. Fast der gesamte äthiopische Kaffee und fast alle Nahrungsmittel stammen ja aus Oromia; wir Oromos aber sehen davon herzlich wenig."

    Nicht weit von der Hütte des jungen Mannes steht ein bescheidenes Gotteshaus aus Backstein: die protestantische deutsche Kirche von Addis. Pfarrer Hans-Joachim Krause, entsandt aus Hannover, betreut von hier aus die deutschsprachigen Christen der Stadt, die wie er noch immer unter dem Eindruck der Wahlen vom 15. Mai 2005 stehen. Vor diesen ersten freien Wahlen in Äthiopien hatten die Regierung und das bunt gemischte Oppositionsbündnis CUD intensiv debattiert - über das Verhältnis zwischen den 80 Ethnien des Landes, über wirtschaftliche und soziale Fragen. Als die Regierung nach herben Verlusten jedoch versuchte, das Wahlergebnis zu fälschen, schlug die Aufbruchstimmung im Juni 2005 um: in verzweifelten Widerstand der Opposition gegen den jetzt als Diktator wahrgenommenen Premier Meles Zenawi. Die Staatsmacht reagierte mit rabiater Gewalt; es gab 40 Tote. Ende Oktober flackerte der Widerstand erneut auf.

    " Die Opposition hat dann auch zu einem gewaltfreien Generalstreik aufgerufen. Es fuhr kein Taxi mehr. Die Busse wurden dann auch nicht mehr auf die Straße geschickt. Und dann kam es zu dem Steinewerfen und den Schießereien. Die Schießereien muss die Regierung verantworten - und die vielen Toten. Ich schätze, es sind hunderte von Toten und tausend verletzte und zigtausend, über 40.000, die dann in Internierungslager durch Razzien nachts abgeführt wurden und auch heute noch dort draußen auf dem Land zum größten Teil noch sitzen - in verschiedenen Internierungslagern."

    Begrenztes Verständnis für Premier Meles bringt Amare Aregawi auf. Der Chefredakteur der englischsprachigen Wochenzeitung "Reporter". Ist ein quirliger kleiner Mann im Nadelstreifenanzug. Schlecht ausgebildete Polizisten, sagt Aregawi, seien im Juni und November 2005 angesichts Steine werfender Demonstranten und brennender Reifen einfach durchgedreht. - Aregawis Zeitung berichtet sachlich, aber durchaus kritisch über innen- wie außenpolitische Turbulenzen. Ein Artikel über das Gefangenenlager Didessa etwa dokumentiert, wie Gefangene, tagelang im Freien sitzend, von Löwen, Hyänen und Schlangen getötet wurden. - Trotzdem sei der ‚Reporter' ein Feigenblatt, das wenigen tausend englischsprachigen Äthiopiern und Ausländern Pressefreiheit vorspiegeln soll", meint der deutsche Pfarrer Krause. Von den tatsächlich wichtigen, den Zeitungen in der Amtssprache Amharisch seien 20 verboten; Dutzende von Journalisten säßen, angeklagt wegen Hochverrats, in Haft. - "Stimmt", sagt Aregawi. Zugleich aber fordert er Selbstkritik auch von den meist schlecht ausgebildeten Journalisten.

    " Zu den Spannungen beigetragen haben sicherlich Teile der Presse, indem sie extrem polarisiert berichteten. Viele Zeitungen unterstützten bedingungslos eine Partei, fabrizierten in diesem Sinne Nachrichten und schürten Hass auch zwischen Ethnien; Fakten oder Ausgewogenheit waren ihnen egal. - In einer bitterarmen, ungebildeten Gesellschaft wie der Äthiopiens kann so etwas verhängnisvolle Folgen haben. Ethnische Konflikte hier entzünden sich an Nichtigkeiten und werden dann zum Flächenbrand - so wie in Ruanda zwischen Hutu und Tutsi oder in Nigeria zwischen Haussa und Ibo. - Wir Journalisten tragen deshalb enorme Verantwortung in einem Land wie Äthiopien, wo 80 ethnische Gruppen miteinander leben müssen."

    Wohin steuert Äthiopien - wo die Landwirtschaft, von der 85 Prozent der Menschen leben, hoffnungslos unterentwickelt ist; wo das höchste Bevölkerungswachstum der Welt, wurzelnd in tiefer Religiosität, fast selbstmörderisch wirkt; wo sich in den Städten ohnmächtige Wut erwerbsloser Massen zusammen braut? Diese Wut entlädt sich immer häufiger in Protesten, schürt ethnische Konflikte, führt Politiker in Versuchung, Schießbefehle zu geben oder sich mal wieder auf den äußeren Feind Eritrea zu konzentrieren. - Der Journalist und der Befreiungskämpfer sehen die Zukunft ganz unterschiedlich.

    " Ich bin überzeugt, dass wir nicht in einer Diktatur leben. Sicher, mehrere Zeitungen wurden geschlossen - was ich für bedauerlich halte. Andererseits erscheinen nach wie vor Zeitungen, die die Regierung offen kritisieren. Und das staatliche Fernsehen überträgt live, wie Parlamentsabgeordnete den Premierminister attackieren und bisweilen aus Protest den Plenarsaal verlassen. - Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die jüngste Entwicklung halte ich für gefährlich - wenn sie anhält. Wahrscheinlich aber haben wir es nur mit einer Art politischem Schluckauf zu tun."

    " Unser Land versinkt im Chaos. Wenn es so weiter geht, wird Äthiopien, glaube ich, zerfallen - in etliche Einzelstaaten. Die Menschen haben doch solch einen Hass auf die Zentralregierung, auf diese Minderheit von vier Millionen Tigreern, die glaubt, 70 Millionen Menschen beherrschen zu können. - Ja, ich bin pessimistisch, was die Zukunft dieses Landes angeht. Äthiopien, das befürchte ich, wird auseinander brechen - nicht jetzt, aber irgendwann."