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Dirk Lauckes Stück "Kopflohn"
Denunziert aus ökonomischem Zwang

Das Stück "Kopflohn" nach dem Roman von Anna Seghers hatte nun bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen Premiere. Darin geht es um 500 Reichsmark, von den Nazis ausgesetzt auf den Kopf eines kommunistischen Arbeiters. Auf dem Fahndungsplakat kann so mancher ihn erkennen; keiner aber sagt etwas.

Von Dorothea Marcus |
    Am Anfang wird die Geschichte zurückgespult: WM-Taumel, Lampedusa, Mogadischu, Ulbrichts Mauer-Rede - bis hin zum Vorabend des Hitler-Regimes, 1932, dem Jahr, in dem Anna Seghers auch ihren Roman "Kopflohn" veröffentlichte. Jede Zeit hat ihre Dramen, doch dieses ist der Ursprung von so vielen danach.
    Seghers Roman schildert die schleichende Nazifizierung der armen, deutschen Landbevölkerung. Der junge, aufrechte Kommunist Johann sucht in einem rheinhessischen Dorf Unterschlupf. Er wird steckbrieflich gesucht, soll angeblich einen Polizisten erstochen haben. Drei Dorfbewohner halten zunächst zu ihm. Doch schließlich wird er, weil hier alles aus ökonomischem Zwang heraus geschieht, eben doch denunziert. Im Bühnenhintergrund zeigt die Google-Earth-Perspektive, dass dieses Dorf nur ein Prototyp ist. Im Bühnenvordergrund hat sich Regisseur KD Schmidt dagegen an fast filmischen Realismus gehalten: tiefbraunes Möbel-Inventar, ein echter Baumstumpf, Erde auf dem Boden und 30er-Jahre Kostümschick zu tropfender Klaviermusik.
    "Ich will nur sagen ... ich will auch heiraten. Auch schnell und bald. Gebt mir eine Frau."
    "Du hast es aber eilig!"
    "Ich will keinen Tag später als die Schwester heiraten. Egal wer sie ist, egal wie sie ist, es geht mich nichts an. Aber sie soll da sein."
    Verfremdet wird die groß angelegte Erzählung durch musikalisch untermalte Zeitsprünge und elegante Überlappungen der Szenen. Dirk Laucke lauscht Seghers verarmter Landbevölkerung den Sound ab und verwandelt den rund 250 Seiten starken Roman in gesprochene Dialoge – bodenständig und poetisch zugleich.
    Oft ist Dirk Lauckes Trick die Mauerschau: anstatt etwa den Selbstmord einer von ihrem Mann gepeinigten Frau direkt zu schildern, lässt er die bodenständig-lebenspragmatische Luise Merz, die durchs Schlüsselloch geguckt hat, die Szene nacherzählen.
    Es gibt viele Geschichten in Anna Seghers Roman. Der Bühnenfassung gelingt es, ihnen trotz notwendiger Raffung angemessenen Raum zu lassen. Johanns Gastgeber etwa, der Bauer Andreas Bastian, ist so verarmt, dass er sogar seine zehnjährige Tochter Dora zum Arbeiten schicken muss – und dennoch schlägt er das Kopfgeld von 500 Mark aus und verrät Johann nicht, der immer wieder blutrot als Fahndungsplakat auf die Rückwand projiziert wird.
    Schön wird auch die zarte und fröhliche Liebesgeschichte von Johann und der patenten Marie erzählt. Als sie sich herzzerreißend für immer verabschieden, bauen sich schon die Nazis um sie herum auf. Später wird die von Kristina Gorjanowa gespielte Marie hilflos umherhüpfen, während Johann gefoltert wird. Ein Bild des deutschen Mitläufers: politisch zwar auf der richtigen Seite, aber letztlich feige und ohne Durchblick.
    Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf. Erst rasseln die Nazis im Dorf noch harmlos mit den Spendenbüchsen. Immer aufdringlicher werden dann die Wahlaufrufe, Armbinden und Hakenkreuz-Papierfähnchen zur Schau getragen. Und dann kulminiert ihr Aufstieg grausam in der arrangierten Doppelhochzeit samt orgiastischer Folterszene von Johann. Sieben Mal, bis zur totalen Erschöpfung der Darsteller, lässt der Regisseur sie zurückspulen und von neuem starten. Jedes Mal werden neue Varianten enthemmter Gewalt hinzu improvisiert. Ein kluges Bild, um jeder wohlfeilen Gefühligkeit für ein Einzelschicksal zu entgehen. Denn Johanns Geschichte hat sich im Dritten Reich endlos wiederholt. Obwohl die vielen Geschichten auf der Bühne zuweilen verwirren: "Kopflohn" von Dirk Laucke gelingt in Recklinghausen, einen vergangenen Kosmos lebendig zu machen, der aktueller ist, als man sich wünschen würde.