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Drama um "Lohengrin" am Stuttgarter Opernhaus

Es hat Theater gegeben am Opernhaus Stuttgart, und was für eins: bei der Inszenierung des "Lohengrin" verwarfen sich Regisseur Nordey und Generalmusikdirektor Honeck derart, dass eine Aufführung in Gefahr schien. Am Ende gab es sie - doch einer fehlte beim Schlussapplaus.

Götz Thieme im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
    Stefan Koldehoff: So klang es gestern Abend in Stuttgart. Scott MacAllister als Lohengrin auf der Bühne des Opernhauses – zur Überraschung vieler, denn die ganz große Oper gab es dort schon vor der Premiere. Nicht einmal eine Woche vor der ersten Aufführung des Lohengrin hatte Generalmusikdirektor Manfred Honeck sich so sehr mit Regisseur Stanislas Nordey überworfen, dass dieser hinschmiss und gleichzeitig auch den Darsteller der Titelrolle Lance Ryan entließ. Offizieller Grund für den Streit zwischen musikalischem Leiter und Regisseur war die Frage, wie der rund 100 Mann starke Chor des Dreiakters in Szene gesetzt werden sollte. Während Nordey für seinen Stuttgart-Einstand, eine statisch sitzende Inszenierung vor Augen hatte, schien dies für Honeck nicht möglich, die akustische Wahrnehmung des Chores im Zuschauerraum würde dann zu sehr leiden. Nun stand der Lohengrin aber gestern Abend doch noch singend auf der Bühne, und mein Kollege Götz Thieme, Musikredakteur bei der "Stuttgarter Zeitung", muss bitte zuerst mal sagen: Mit Regisseur oder ohne?

    Götz Thieme: Ja, grüße Sie, Herr Koldehoff!

    Koldehoff: Grüße Sie!

    Thieme: Der Regisseur war natürlich nicht da und hat sich auch am Schluss nicht gezeigt. Ansonsten ist das Konzept von ihm weitgehend umgesetzt worden. Nach meinen Informationen hat man im Grunde nur eine kleine Änderung auch vorgenommen, indem man nämlich im ersten Akt, der der strittige Akt war, den Chor an bestimmten Stellen hat aufstehen lassen, um einfach die Klangfülle im Zuschauerraum zu garantieren.

    Koldehoff: Bedeutet das denn jetzt im Umkehrschluss, Oper kann auch ohne Regisseur funktionieren? Hat’s funktioniert?

    Thieme: Nein, das heißt es ganz und gar nicht, denn es hat überhaupt nicht funktioniert, und es lag auch nicht an dem Streit, sondern das lag an dem grundsätzlichen Konzept des Regisseurs. Die Arbeit würde ich als höchst misslungen bezeichnen, weil im Grunde keine Gedanken zu diesem doch vielfältig zu interpretierenden Stück von Wagner da entwickelt worden sind. Sie haben in der Anmoderation gesagt, "Schwanenritter" auf der politischen Bühne, das wäre zum Beispiel ein Aspekt, man könnte ja dieses Stück auch als ein politisches Stück verstehen, man könnte es psychologisieren, man könnte das Verhältnis der Geschlechter hier ausarbeiten. Das ist alles nicht der Fall gewesen.

    Koldehoff: Was ist stattdessen geschehen?

    Thieme: Nordey hat vor allen Dingen mit dem Bühnenbild versucht, das Stück auszuleuchten mit einer ganz platten, starken Farbsymbolik zu arbeiten. Das Bösewichtspaar, Ortrud Telramund war natürlich schwarz gekleidet, der Gralsritter war weiß, Elsa, seine Frau, seine künftige Frau, auch in Weiß. Das war also alles ziemlich vorhersehbar in seiner Symbolik und führte auch dann nicht weiter.

    Koldehoff: Wenn die Nachrichtenagenturen heute trotzdem von großem, lang anhaltendem Applaus berichten, war das dann Mitleid oder Solidarität?

    Thieme: Ich glaube, die Stuttgarter, die ja eigentlich nicht so leicht zu irritieren sind, auch von solchen Streitereien, haben sich dann schnell auf die Musik kapriziert im Hören. Und der Beifall für Honeck, als er dann vorm zweiten Akt in den Graben stieg, der hatte dann auch leicht demonstrative Züge nach dem Motto: Wir finden das gut, dass du dich durchgesetzt hast. Und die Leistung von Honeck und dem Staatsorchester, das war begründet, das war eine runde Sache. Es war ja Honecks erster Wagner.

    Koldehoff: Herr Thieme, wenn ein Regisseur ganz kurz vor der Premiere hinschmeißt, dann geht’s doch nicht wirklich nur um den Chor, oder? Steckt da mehr hinter in Stuttgart?

    Thieme: Das kann man so interpretieren, das ist auch sicherlich hier als Anlass genommen worden, grundsätzlich über die Leitung des Hauses nachzudenken. Albrecht Puhlmann, der 2006 gekommen ist, hat’s natürlich nicht leicht gehabt. Hier war ein ganz großer Intendant, Klaus Zehelein, 15 Jahre, der hier eine Ästhetik entwickelt hat und das Haus einfach in den Mittelpunkt gestellt hat und eine große Aufmerksamkeit auch über die Stadt hinaus erzeugt hat. Und das hat Puhlmann bisher nicht ausfüllen können. Also im Feuilleton kommt diese Oper nicht mehr so vor, und der Publikumserfolg ist auch nicht so wie bei Zehelein, würde ich sagen.

    Koldehoff: Heißt das denn, dass mit dieser Geste Stanislas Nordey dann so was ein Zeichen setzen wollte?

    Thieme: Das wäre überinterpretiert. Der Streit hat sich entzündet zwischen dem Regisseur und dem Generalmusikdirektor und der Honeck hat sich durchgesetzt. Aber es fügt sich ins Bild, denn das hätte alles vermieden werden können, wenn man doch mehr im Gespräch ist. Das gehört zum Geist eines Hauses, dass man miteinander kommuniziert, dass man spricht, dass man solche Inszenierungen vorbereitet. Und das geschieht nicht eine Woche vor der Premiere, sondern ein Jahr mindestens vor der Premiere.

    Koldehoff: Götz Thieme war das von der "Stuttgarter Zeitung" zur gestrigen Lohengrin-Premiere in Stuttgart. Herzlichen Dank!