In der Gegenwartskunst sind die merkwürdigsten Strategien im Umlauf, um den Benachteiligten dieser Erde Gehör zu verschaffen. Die Britin Gillian Wearing etwa setzt ihren Alltagspersonen horrorartige Masken auf, hinter denen sie Geständnisse über sexuelle Verfehlungen oder Erinnerungen an trübe Kindheitserlebnisse vortragen – ein Kaleidoskop mitteleuropäischer Identitäten, grotesk theatralisch und trotzdem, in der Methodik, voller Respekt für den Einzelnen und seine Traurigkeit. Zu sehen ist das derzeit im Münchner Museum Brandhorst.
Fast parallel dazu, als hätten sie sich verabredet, eröffnet in Tübingen eine Ausstellung über den Aktionskünstler Santiago Sierra, der sich ganz ostentativ für die politisch Unterdrückten einsetzt, in der Wahl seiner Mittel aber weit weniger subtil ist. Bisweilen wirken seine Aktionen sogar reichlich platt; dafür ist er ungeheuer wirksam, was die öffentlichen Reaktionen angeht. Wenn Sierra den spanischen Pavillon auf der Biennale in Venedig zumauert und (durch die Hintertür) nur Spanier hereinlässt, dann ist die politische Klasse nicht amüsiert. Die Reaktion wiederholt sich, wenn er in einer spanischen Kirche in hallenhohen Lettern das Wort "Klassenkampf" als Skulptur aufbaut, diabolisch von hinten angeleuchtet. In Zürich stellte er Asylsuchende an, damit sie während der Öffnungszeiten in einer Galerie, stumm dastehend und völlig sinnlos, einen Balken auf der Schulter tragen. Ergebnis: viele Fotos in den Zeitungen, Achselzucken bei den Politikern, aber Ausnahmegenehmigungen der Behörden für die Asylanten, die in der Schweiz eigentlich nicht arbeiten dürfen, von Sierra aber bezahlt werden.
Sierra hat auch Irritationen hervorgerufen, als er die Kestner-Gesellschaft in Hannover innen mit braunem Dreck vollkarrte; das sollte an die 1650 sogenannten Notstands- oder auch Zwangsarbeiter erinnern, die 1934 bis 1936 für die Nazis den Maschsee anlegten, sprich: mitten in der Stadt sinnfrei eine Grube aushoben. Der Schlamm für die Aktion kam allerdings aus einem Heilbad. Auch in der Tübinger Kunsthalle ist nun ein ganzer schöner White Cube vollgematscht und vollgespritzt mit braunem Morast, Torf, Heilschlamm aus dem Federsee bei Bad Buchau, wahrscheinlich biologisch abbaubar. Das ist in seiner Gewalttätigkeit das gelungenste Bild der Ausstellung, wiewohl es nur Sierras alte Anti-Nazi-Aktion aus Hannover in kleinerem Maßstab wiederholt.
Allerdings kann dieser Raum die Tübinger Ausstellung nicht retten. Es ist einfach schwierig, jemanden auszustellen, dessen Aktionen man nur in Filmausschnitten und Dokumenten vorstellen kann und dessen wenige Exponate nur frühere Großtaten zitieren. Der rekonstruierte Balken, den die Schweizer Asylanten trugen, ist als Beweisstück, nicht aber als Skulptur interessant. Die Salut-Schüsse, die Sierra in einer Neujahrsnacht in der Hochburg eines mexikanischen Drogenkartells aufgenommen hat, sind zwar irgendwie bedrohlich, letztlich aber nur eine dilettantisch rauschende und bolzende Klangkulisse, die durch die wandhoch getürmten Lautsprecher nicht besser wird.
Die Ausstellung will vor allem mit einer Groß-Installation punkten: Die zu rechteckigen Badewannen gepressten menschlichen Fäkalien, die ursprünglich von indischen Latrinenreinigern gesammelt wurden, von den "Unberührbaren", nehmen fast den ganzen Haupt-Saal der Tübinger Kunsthalle ein. Nach komplizierten chemischen Bearbeitungs-Prozessen ist die Substanz nun geruchsfrei – aber das alles sieht faulig und vergänglich aus und erinnert in seiner Materialfixiertheit an Joseph Beuys; das Arrangement der Wannen ist sakral, und vorn hängt eine geschwärzte spanische Fahne, weil der Tod schwarz ist und der Faschismus auch.
Auch diese Fahne ist ein Relikt einer Kunst-Aktion, und ein bisschen fühlt man sich in der Kunsthalle wie in einem Mausoleum. Man hat nicht arg viel zu zeigen in Tübingen, und das nährt den Verdacht, dass Santiago Sierra in der Hauptsache von seinem Mythos lebt. Gillian Wearing übrigens, um nochmals die Münchner Ausstellung zu zitieren, begann ihre Künstler-Karriere, indem sie Passanten einen Satz zu deren Befindlichkeit auf ein Stück Papier schreiben und ins Foto halten ließ. Auf dem berühmtesten Bild hält ein Banker den Satz "I'm desperate" vor seinen Anzug. Verzweifelt sind sicher auch Santiago Sierras Asylanten. Ob das auch für den so wirkungsbewussten Sierra selbst gilt, ist eine andere Frage ...
Fast parallel dazu, als hätten sie sich verabredet, eröffnet in Tübingen eine Ausstellung über den Aktionskünstler Santiago Sierra, der sich ganz ostentativ für die politisch Unterdrückten einsetzt, in der Wahl seiner Mittel aber weit weniger subtil ist. Bisweilen wirken seine Aktionen sogar reichlich platt; dafür ist er ungeheuer wirksam, was die öffentlichen Reaktionen angeht. Wenn Sierra den spanischen Pavillon auf der Biennale in Venedig zumauert und (durch die Hintertür) nur Spanier hereinlässt, dann ist die politische Klasse nicht amüsiert. Die Reaktion wiederholt sich, wenn er in einer spanischen Kirche in hallenhohen Lettern das Wort "Klassenkampf" als Skulptur aufbaut, diabolisch von hinten angeleuchtet. In Zürich stellte er Asylsuchende an, damit sie während der Öffnungszeiten in einer Galerie, stumm dastehend und völlig sinnlos, einen Balken auf der Schulter tragen. Ergebnis: viele Fotos in den Zeitungen, Achselzucken bei den Politikern, aber Ausnahmegenehmigungen der Behörden für die Asylanten, die in der Schweiz eigentlich nicht arbeiten dürfen, von Sierra aber bezahlt werden.
Sierra hat auch Irritationen hervorgerufen, als er die Kestner-Gesellschaft in Hannover innen mit braunem Dreck vollkarrte; das sollte an die 1650 sogenannten Notstands- oder auch Zwangsarbeiter erinnern, die 1934 bis 1936 für die Nazis den Maschsee anlegten, sprich: mitten in der Stadt sinnfrei eine Grube aushoben. Der Schlamm für die Aktion kam allerdings aus einem Heilbad. Auch in der Tübinger Kunsthalle ist nun ein ganzer schöner White Cube vollgematscht und vollgespritzt mit braunem Morast, Torf, Heilschlamm aus dem Federsee bei Bad Buchau, wahrscheinlich biologisch abbaubar. Das ist in seiner Gewalttätigkeit das gelungenste Bild der Ausstellung, wiewohl es nur Sierras alte Anti-Nazi-Aktion aus Hannover in kleinerem Maßstab wiederholt.
Allerdings kann dieser Raum die Tübinger Ausstellung nicht retten. Es ist einfach schwierig, jemanden auszustellen, dessen Aktionen man nur in Filmausschnitten und Dokumenten vorstellen kann und dessen wenige Exponate nur frühere Großtaten zitieren. Der rekonstruierte Balken, den die Schweizer Asylanten trugen, ist als Beweisstück, nicht aber als Skulptur interessant. Die Salut-Schüsse, die Sierra in einer Neujahrsnacht in der Hochburg eines mexikanischen Drogenkartells aufgenommen hat, sind zwar irgendwie bedrohlich, letztlich aber nur eine dilettantisch rauschende und bolzende Klangkulisse, die durch die wandhoch getürmten Lautsprecher nicht besser wird.
Die Ausstellung will vor allem mit einer Groß-Installation punkten: Die zu rechteckigen Badewannen gepressten menschlichen Fäkalien, die ursprünglich von indischen Latrinenreinigern gesammelt wurden, von den "Unberührbaren", nehmen fast den ganzen Haupt-Saal der Tübinger Kunsthalle ein. Nach komplizierten chemischen Bearbeitungs-Prozessen ist die Substanz nun geruchsfrei – aber das alles sieht faulig und vergänglich aus und erinnert in seiner Materialfixiertheit an Joseph Beuys; das Arrangement der Wannen ist sakral, und vorn hängt eine geschwärzte spanische Fahne, weil der Tod schwarz ist und der Faschismus auch.
Auch diese Fahne ist ein Relikt einer Kunst-Aktion, und ein bisschen fühlt man sich in der Kunsthalle wie in einem Mausoleum. Man hat nicht arg viel zu zeigen in Tübingen, und das nährt den Verdacht, dass Santiago Sierra in der Hauptsache von seinem Mythos lebt. Gillian Wearing übrigens, um nochmals die Münchner Ausstellung zu zitieren, begann ihre Künstler-Karriere, indem sie Passanten einen Satz zu deren Befindlichkeit auf ein Stück Papier schreiben und ins Foto halten ließ. Auf dem berühmtesten Bild hält ein Banker den Satz "I'm desperate" vor seinen Anzug. Verzweifelt sind sicher auch Santiago Sierras Asylanten. Ob das auch für den so wirkungsbewussten Sierra selbst gilt, ist eine andere Frage ...