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Drogenkonsum in Bayern
Geschäft mit Legal Highs boomt

Zwar rauchen und trinken die Deutschen laut des jährlichen Drogen- und Suchtberichts 2016 weniger. Allerdings bereitet der Konsum von illegalen Drogen wie Chrystal Meth den Experten Sorgen. Diese Partydroge ist besonders in Bayern ein Problem. Dort sind zudem Legal Highs, psychoaktive Substanzen, auf dem Vormarsch. Sie sind trotz des Namens alles andere als harmlos.

Von Michael Watzke | 09.06.2016
    Päckchen mit Neuen Psychoaktiven Stoffen, sogenannte Legal-High-Produkte.
    Päkchen mit psychoaktiven Stoffen, sogenannte Legal-High-Produkte. (picture alliance / dpa / Pauline Willrodt)
    Wer die Bürger im braven Bayern nach harten Drogen fragt, erhält beruhigende Antworten.
    "Also ich hab‘ weder Drogen genommen noch an einer Zigarette gezogen bisher."
    "Nee, zumindest nicht absichtlich!"
    "Ich hab‘ schon mal einen Joint geraucht, mit Freunden, aber mehr auch nicht!"
    "Ich hab‘ mal an einem Joint gezogen, musste danach aber so husten, dass das überhaupt keine Wirkung gezeigt hat."
    "Ich bin voll brav!"
    Ist Bayern wirklich so brav, wenn es um harte Drogen geht? Die Statistik spricht eine andere Sprache: Der Freistaat beklagte 2015 so viele Drogentote wie kein anderes Bundesland: 314 Menschen starben durch Rauschgifte wie etwa Crystal Meth. Dealer verkaufen das weiße Kristall besonders in Ostbayern. Gleich hinter der bayerischen Grenze, in Tschechien, produzieren viele Metamphetamin-Küchen tonnenweise Stoff. Aber auch in Oberbayern und Schwaben floriert der Drogenhandel, erklärt Jürgen Thiel vom Zollfahndungsamt München:
    "Wir können seit Jahren feststellen, dass über den Grenzbereich hinaus Täterstrukturen den Ballungsraum Nürnberg mit Fürth, Erlangen, Schwabach nutzen, um hier ihre Täterstrukturen aufzubauen."
    Legal Highs suggerieren Harmlosigkeit
    Die kriminellen Netzwerke wuchern bis nach München, Kempten und in die benachbarten Bundesländer. Besondere Sorgen bereiten der Polizei sogenannte Legal Highs, also Drogenmischungen aus psychoaktiven Substanzen. Die Bezeichnung Legal Highs, also "legale Stimulanzien", suggeriert Harmlosigkeit. "Aber die chemischen Verbindungen sind brandgefährlich", warnt das Drogendezernat des bayerischen Landeskriminalamtes.
    Viele bestellen sich bunte Tütchen im Internet, per Post kommen dann vermeintlich Badesalze, Kräutermischungen oder Brausepulver. Herkunftsort: China, Brasilien, Tschechien. Seit drei Jahren kooperiert die bayerische Polizei verstärkt mit tschechischen Behörden. CSU-Innenstaatssekretär Gerhard Eck versichert:
    "Dass die mit unterwegs sind, Razzien organisieren, zusammen mit tschechischen Polizisten. Dass das noch verstärkt werden könnte, will ich nicht verhehlen."
    Denn im Freistaat zeigen sich immer deutlicher die Folgen des Rauschgift-Konsums. Bayern beklagt nicht nur jedes Jahr mehr Drogentote, sondern beispielsweise auch eine steigende Zahl von Crystal-Meth-Babys. Dr. Norbert Wodarz vom Bezirksklinikum Regensburg erlebt in seinem Berufsalltag:
    "Viele junge Frauen, die es konsumieren. Hohes Risiko, riskantes Verhalten. Gerade auch im Kontext mit Sexualität. Dann ungewollte Schwangerschaften. Weiterkonsumieren, weil man es gar nicht merkt. Und dann haben auch die Kinder eventuell noch bleibende Schäden."
    Bisher gibt es nur wenige Untersuchungen zu Crystal-Meth-Babys, die im Mutterleib mit der gefährlichen Droge in Kontakt kommen. In München erforscht Dr. Mirjam Landgraf von der Hauner‘schen Kinderklinik das Phänomen.
    "Wir sehen Kinder, die Verhaltensstörungen mit Impulsivität haben. Wir sehen Kinder, die eine schwere Aufmerksamkeitsstörung haben. Sie können schlecht Handlungen planen und ausführen, immer wieder sozusagen gegenkorrigieren."
    Geburten mit Drogenhintergrund
    Das Problem: Bisher gibt es kein Register für Crystal-Meth-Schadensfälle – weder bundes- noch bayernweit, klagt Prof. Matthias Keller, Chefarzt am Kinderklinikum Dritter Orden in Passau. Er schätzt, dass etwa 0,5 Prozent aller Geburten einen sogenannten Drogen-Hintergrund haben.
    "Also, das hier ist eine Intensivstation für kranke Neu- und Frühgeborene. Es gibt manchmal Kinder mit einem Entzug, die auch wirklich zerebrale Krampfanfälle entwickeln. Und die liegen dann auf der Intensivstation."
    Babys, deren Mütter in der Schwangerschaft Crystal Meth konsumiert haben, muss Keller in vielen Fällen mit einer Morphin-Lösung entwöhnen.
    "Das ist die medikamentöse Therapie. Und das andere ist, dass diese Kinder extrem personalaufwändig sind, weil sie ein ganz hohes Zuwendungsbedürfnis haben."
    Weil Prof. Matthias Keller in Passau mit vielen Drogen-Fällen konfrontiert ist, hat er das KIGO aufgebaut: das Kinder- und Familiengesundheits-Netzwerk Ostbayern.
    "Wir müssen uns abstimmen: Wer macht was zu welchem Zeitpunkt? Was wollen wir erreichen? Und nur wenn wir alle zusammenarbeiten und uns absprechen, dann profitieren auch wirklich Familien."
    Geringer Preis und hohe Verfügbarkeit
    Denn Familien leiden besonders, wenn ein Mitglied Crystal Meth konsumiert. Dass es in Bayern mehr solcher Drogenfälle gibt als anderswo, hat zum einen mit der hohen Verfügbarkeit des weißen Kristalls zu tun. Zweitens mit dem geringen Preis. Und drittens, so Uwe Steinbrenner von der Münchner Drogenberatung "Condrobs", mit dem hohen Leistungsdruck, den Menschen jeder sozialen Schicht spüren.
    "Es gibt Landschaftsgärtner, es gibt Kaufleute, medizinisches Personal. Viele Handwerker, die Schicht arbeiten müssen. Viele dieser Menschen stehen im Leben und arbeiten. Und es sind selbstverständlich auch Akademiker dabei."
    In Bayern ist Crystal Meth längst eine Jedermann-Droge geworden.