Wenn zwei so unterschiedliche Wissenschaftler wie der Chef des Münchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, und der Sachverständige der Bundesregierung, Peter Bofinger, einer Meinung sind, muss man aufhorchen. Der eine – Sinn – versteht sich als "Ordoliberaler" und hat bis vor Kurzem noch das Hohelied vom "freien Markt" gesungen. Der andere – Bofinger – ist einer der wenigen deutschen Spitzenökonomen, die für eine nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik im Sinne Keynes steht. Und doch treffen sich beide Wissenschaftler in einer genauso niederschmetternden Feststellung – ja eigentlich ist es schon fast so etwas wie ein Warnruf: Die westliche Welt steht vor dem Ende des privatwirtschaftlichen Banksystems. Hans-Werner Sinn spricht sogar von einer "Kernschmelze".
Es wird zwar keine Bankenzusammenbrüche mehr geben, denn die Rettungspakete sind groß genug, um das zu verhindern. Doch stehen die USA und mit ihnen vielleicht auch andere Länder vor einer großflächigen Verstaatlichung ihrer Banksysteme.
Und das gilt neben den USA ganz besonders für England und Deutschland – nach China und Japan die größten Kapitalexporteure der Welt. 83 Banken sind allein in den USA innerhalb eines Jahres – 2008 - durch Konkurse und Übernahmen vom Erdboden verschwunden, oder in letzter Minute verstaatlicht worden. Weltweit sind Rettungspakete für Banken in Höhe von mehr als 4 Billionen Euro geschnürt worden. Und auch Peter Bofinger bemüht das atomare Katastrophenvokabular mit Blick auf das internationale Finanzsystem:
Nach diesem GAU wird es nicht einfach sein, wieder zu weitgehend privatwirtschaftlichen Strukturen im Finanzsystem zurückzufinden. Bisher zumindest ist in keinem Land zu erkennen, wie ein geordneter Rückzug des Staates aus dem Finanzsystem organisiert werden könnte.
Was bedeutet das für Deutschland? Sinn macht eine ernüchternde Rechnung auf: Fast alle deutschen Banken – mit Ausnahme der Hypo-Vereinsbank – haben eine zu geringe Eigenkapitaldecke. Sie sind "durch die Bank" unterfinanziert. Das gilt neben der Hypo-Real Estate besonders für die Landesbanken, aber auch für Commerz- und Postbank. Rutscht ihre Mindestkernkapitalquote dauerhaft unter vier Prozent – und sie sind nach Sinn nicht mehr weit davon entfernt, weil immer noch nicht klar ist, wie groß die Ausmaße aller "faulen Papiere" wirklich sind - droht ihnen der Entzug der Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb. Warum aber weigert sich Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann dann, staatliche Hilfen anzunehmen und ist auch noch stolz darauf? Weil, so Sinn:
...der Grund für die Ablehnung staatlichen Eigenkapitals darin liegt, dass dessen Annahme strafbewehrt ist. Zum einen bedeutet die Annahme des Geldes nämlich, dass sich die Vertreter der Behörden in den Aufsichtsräten niederlassen, dort mitreden und an Bankinterna partizipieren. Zum anderen bedeutet es, dass die Managergehälter gekappt werden.
Und reinreden lassen in ihre Geschäfte wollen sich die Banker nicht. Statt also die Eigenkapitaldecke durch staatliche Hilfen aufzustocken, ziehen sie es vor, ihre Bilanzen wieder in Ordnung zu bringen, was nichts anderes heißt als: Sie reduzieren ihre Kredite und sparen sich so auf Kosten der übrigen Wirtschaft gesund. Sinns große Sorge heißt deshalb: Kreditklemme.
Was ist zu tun? Der Staat – und Peer Steinbrück wird dies vielleicht mit einiger Genugtuung lesen - muss die Banken zu ihrem Glück zwingen und Miteigentümer werden:
Bevor man sozialistisches Vokabular verwendet und sich gedanklich zum Opfer einer bloßen Semantik macht, sollte man sich vergegenwärtigen, dass es für den Staat vielfach nur noch zwei Alternativen geben wird: für das Geld, mit dem er die Banken rettet, als Gegenleistung Aktien zu bekommen oder nichts zu bekommen. Mit bloßem Wunschdenken kann man der Existenz bedrohenden Krise der kapitalistischen Wirtschaftsordnung nicht begegnen.
Spätestens da trifft sich Sinn mit Bofinger. Denn dessen Buch ist ein einziges großes Plädoyer für den "starken Staat". Ähnlich wie Sinn fordert Bofinger eine zentrale Bankenaufsicht, ein internationales Kreditregister, ein langfristig orientiertes Bonus-System für Manager in Unternehmen und Banken und spricht sich für Jürgen Rüttgers "Deutschlandfonds" zur Rettung von Unternehmen aus. Aber Bofinger geht weit über Sinn hinaus. Dort, wo Sinn allein den "Kasinokapitalismus" als Übel unserer Zeit ausmacht und den Staat nach Beendigung der Krise sofort wieder zum Rückzug auffordert, klagt Bofinger eine gänzlich neue Balance zwischen Markt und Staat ein.
Die Anhänger des Marktes haben in ihrer Verblendung nicht erkannt, welch selbstzerstörerisches Potenzial einem völlig ungezügelten Markt innewohnen kann. (...) Der Markt braucht deshalb ein kraftvolles Gegengewicht durch den Staat, weil es jemanden geben muss, der das Gesamtbild vor Augen hat und es sich leisten kann, eine längerfristige Perspektive einzunehmen.
Dazu gehört für ihn, dass der Staat in der Öffentlichkeit nicht nur als Steuergelder verschlingendes Monstrum diffamiert, sondern vielmehr als einzig wirkungsvolle Interessenvertretung der Menschen in der globalisierten Welt wahrgenommen wird. Der Steuerstaat müsse, so Bofinger, gegen die Schuldenangst der Menschen verteidigt werden, denn Deutschlands Staatsquote sei im Vergleich mit anderen Ländern nicht überaus hoch und der Schuldenstand halte sich in vertretbaren Grenzen. Dass Bofinger vor einer weiteren Erosion des Flächentarifvertrages warnt, gegen weitere Lohnzurückhaltung ist und für einen generellen Mindestlohn eintritt, ist nicht neu –, aber selten klang die Vorhersage eines deutschen Spitzenökonomen so düster, dass das Marktversagen der letzten eineinhalb Jahre mit einem weiteren Fortschreiten der Krise in der Realwirtschaft sehr schnell in ein Politikversagen und damit in eine handfeste Krise der Demokratie umschlagen kann.
Spätestens da, bei der Vermutung, dass uns noch schwere Zeiten bevorstehen werden, treffen sich Bofinger und Sinn wieder. Wir stehen nicht am Anfang, vielleicht auch noch nicht einmal inmitten der Talsohle der Krise, sondern müssen uns noch auf allerhand unliebsame Überraschungen gefasst machen. Im beginnenden Wahlkampfgetöse dieser Tage mahnen beide Autoren, allzu optimistischen Tönen der Politik nicht zu trauen.
Hans-Werner Sinn: Kasino-Kapitalismus. Wie es zur Finanzkrise kam und was jetzt getan werden muss. Econ Verlag, 272 Seiten, Euro 19,90.
Peter Bofinger: Ist der Markt noch zu retten? Warum wir jetzt einen starken Staat brauchen. Econ Verlag, 192 Seiten, Euro 19,90.
Es wird zwar keine Bankenzusammenbrüche mehr geben, denn die Rettungspakete sind groß genug, um das zu verhindern. Doch stehen die USA und mit ihnen vielleicht auch andere Länder vor einer großflächigen Verstaatlichung ihrer Banksysteme.
Und das gilt neben den USA ganz besonders für England und Deutschland – nach China und Japan die größten Kapitalexporteure der Welt. 83 Banken sind allein in den USA innerhalb eines Jahres – 2008 - durch Konkurse und Übernahmen vom Erdboden verschwunden, oder in letzter Minute verstaatlicht worden. Weltweit sind Rettungspakete für Banken in Höhe von mehr als 4 Billionen Euro geschnürt worden. Und auch Peter Bofinger bemüht das atomare Katastrophenvokabular mit Blick auf das internationale Finanzsystem:
Nach diesem GAU wird es nicht einfach sein, wieder zu weitgehend privatwirtschaftlichen Strukturen im Finanzsystem zurückzufinden. Bisher zumindest ist in keinem Land zu erkennen, wie ein geordneter Rückzug des Staates aus dem Finanzsystem organisiert werden könnte.
Was bedeutet das für Deutschland? Sinn macht eine ernüchternde Rechnung auf: Fast alle deutschen Banken – mit Ausnahme der Hypo-Vereinsbank – haben eine zu geringe Eigenkapitaldecke. Sie sind "durch die Bank" unterfinanziert. Das gilt neben der Hypo-Real Estate besonders für die Landesbanken, aber auch für Commerz- und Postbank. Rutscht ihre Mindestkernkapitalquote dauerhaft unter vier Prozent – und sie sind nach Sinn nicht mehr weit davon entfernt, weil immer noch nicht klar ist, wie groß die Ausmaße aller "faulen Papiere" wirklich sind - droht ihnen der Entzug der Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb. Warum aber weigert sich Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann dann, staatliche Hilfen anzunehmen und ist auch noch stolz darauf? Weil, so Sinn:
...der Grund für die Ablehnung staatlichen Eigenkapitals darin liegt, dass dessen Annahme strafbewehrt ist. Zum einen bedeutet die Annahme des Geldes nämlich, dass sich die Vertreter der Behörden in den Aufsichtsräten niederlassen, dort mitreden und an Bankinterna partizipieren. Zum anderen bedeutet es, dass die Managergehälter gekappt werden.
Und reinreden lassen in ihre Geschäfte wollen sich die Banker nicht. Statt also die Eigenkapitaldecke durch staatliche Hilfen aufzustocken, ziehen sie es vor, ihre Bilanzen wieder in Ordnung zu bringen, was nichts anderes heißt als: Sie reduzieren ihre Kredite und sparen sich so auf Kosten der übrigen Wirtschaft gesund. Sinns große Sorge heißt deshalb: Kreditklemme.
Was ist zu tun? Der Staat – und Peer Steinbrück wird dies vielleicht mit einiger Genugtuung lesen - muss die Banken zu ihrem Glück zwingen und Miteigentümer werden:
Bevor man sozialistisches Vokabular verwendet und sich gedanklich zum Opfer einer bloßen Semantik macht, sollte man sich vergegenwärtigen, dass es für den Staat vielfach nur noch zwei Alternativen geben wird: für das Geld, mit dem er die Banken rettet, als Gegenleistung Aktien zu bekommen oder nichts zu bekommen. Mit bloßem Wunschdenken kann man der Existenz bedrohenden Krise der kapitalistischen Wirtschaftsordnung nicht begegnen.
Spätestens da trifft sich Sinn mit Bofinger. Denn dessen Buch ist ein einziges großes Plädoyer für den "starken Staat". Ähnlich wie Sinn fordert Bofinger eine zentrale Bankenaufsicht, ein internationales Kreditregister, ein langfristig orientiertes Bonus-System für Manager in Unternehmen und Banken und spricht sich für Jürgen Rüttgers "Deutschlandfonds" zur Rettung von Unternehmen aus. Aber Bofinger geht weit über Sinn hinaus. Dort, wo Sinn allein den "Kasinokapitalismus" als Übel unserer Zeit ausmacht und den Staat nach Beendigung der Krise sofort wieder zum Rückzug auffordert, klagt Bofinger eine gänzlich neue Balance zwischen Markt und Staat ein.
Die Anhänger des Marktes haben in ihrer Verblendung nicht erkannt, welch selbstzerstörerisches Potenzial einem völlig ungezügelten Markt innewohnen kann. (...) Der Markt braucht deshalb ein kraftvolles Gegengewicht durch den Staat, weil es jemanden geben muss, der das Gesamtbild vor Augen hat und es sich leisten kann, eine längerfristige Perspektive einzunehmen.
Dazu gehört für ihn, dass der Staat in der Öffentlichkeit nicht nur als Steuergelder verschlingendes Monstrum diffamiert, sondern vielmehr als einzig wirkungsvolle Interessenvertretung der Menschen in der globalisierten Welt wahrgenommen wird. Der Steuerstaat müsse, so Bofinger, gegen die Schuldenangst der Menschen verteidigt werden, denn Deutschlands Staatsquote sei im Vergleich mit anderen Ländern nicht überaus hoch und der Schuldenstand halte sich in vertretbaren Grenzen. Dass Bofinger vor einer weiteren Erosion des Flächentarifvertrages warnt, gegen weitere Lohnzurückhaltung ist und für einen generellen Mindestlohn eintritt, ist nicht neu –, aber selten klang die Vorhersage eines deutschen Spitzenökonomen so düster, dass das Marktversagen der letzten eineinhalb Jahre mit einem weiteren Fortschreiten der Krise in der Realwirtschaft sehr schnell in ein Politikversagen und damit in eine handfeste Krise der Demokratie umschlagen kann.
Spätestens da, bei der Vermutung, dass uns noch schwere Zeiten bevorstehen werden, treffen sich Bofinger und Sinn wieder. Wir stehen nicht am Anfang, vielleicht auch noch nicht einmal inmitten der Talsohle der Krise, sondern müssen uns noch auf allerhand unliebsame Überraschungen gefasst machen. Im beginnenden Wahlkampfgetöse dieser Tage mahnen beide Autoren, allzu optimistischen Tönen der Politik nicht zu trauen.
Hans-Werner Sinn: Kasino-Kapitalismus. Wie es zur Finanzkrise kam und was jetzt getan werden muss. Econ Verlag, 272 Seiten, Euro 19,90.
Peter Bofinger: Ist der Markt noch zu retten? Warum wir jetzt einen starken Staat brauchen. Econ Verlag, 192 Seiten, Euro 19,90.