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Duos für Violine und Viola von Wolfgang Amadeus Mozart und Michael Haydn

Die Duos, die die beiden Britinnen Rachel Podger und Jane Rogers ausgewählt haben, sind weit mehr als Schulwerke, auch weit mehr als das, was man Hausmusik nennt. Was sich Michael Haydn und sein Freund Wolfgang Amadeus Mozart 1783 gemeinsam ausgedacht haben für die intime Paarung, verlangt nach zwei sehr versierten Musikern.

Raoul Mörchen | 25.12.2011
    Die Neue Platte für diesen ersten Weihnachtstag ist nicht im engeren Sinne weihnachtlich, aber sie passt doch gut in eine Jahreszeit, in der vieles privater, familiärer und intimer ist als sonst, in eine Zeit, die man mit Kindern, Eltern und Geschwistern verbringt und mit guten Freunden. Für das Label Channel Classics hat die britische Geigerin Rachel Podger mit ihrer Kollegin Jane Rodgers Duos für Geige und Bratsche aufgenommen: Musik nicht für den öffentlichen Konzertsaal, sondern für das Wohnzimmer oder den Salon. Die Komponisten dieser Duos: Wolfgang Amadeus Mozart und Michael Haydn.

    "Mozart
    Duo KV 423
    III. Rondeau
    Dauer: 2'20"

    Wer ein Instrument von der Pike auf erlernt, der begegnet im Unterricht Werken, denen sonst niemand begegnet - meistens aus gutem Grund, denn Unterrichtsmaterial taugt nicht unbedingt für den öffentlichen Vortrag. Andererseits wird im Unterricht gerne Literatur herangezogen, die sich zu zweit gut spielen lässt, vom Lehrer und seinem Schüler, und die nicht gleich deshalb schnöde Gebrauchsmusik sein muss. Die Duos jedenfalls für Violine und Viola, die die beiden Britinnen Rachel Podger und Jane Rogers ausgewählt haben für ihr gemeinsames Album, diese Duos sind weit mehr als Schulwerke, als Etüden, als Fingerübungen, ja, sind auch weit mehr als das, was man gemeinhin Hausmusik nennt. Nur ihre bescheidene Besetzung verwehrt ihnen die große Bühne. Künstlerisch und technisch könnte sie dort sehr wohl bestehen. Was sich Michael Haydn und sein Freund Wolfgang Amadeus Mozart im Jahr 1783 gemeinsam ausgedacht haben für die intime Paarung, verlangt nach zwei sehr versierten Musikern. Ein Laie, der nur hin und wider mit dem Bogen seine vier Saiten schrubbt, der wird die Hürden kaum überspringen können, die ihm hier im Wege stehen.

    "Mozart
    Duo KV 423
    III. Rondeau
    Dauer: 1'50"

    Populär war sie in der Wiener Klassik nicht, diese Paarung der hellen Violine mit der stets etwas bedeckt, wenn nicht gar brummelig klingenden Bratsche. Und doch haben ihr drei der wichtigsten Komponisten damals ihre Referenz erwiesen. Den Anfang machte Joseph Haydn in seinen um 1775 entstanden sechs Duosonaten". Sein jüngerer Bruder Michael folgte dann dem Beispiel: In der zweiten Hälfte des Jahres 1783 begann er die Arbeit an einer Reihe von sechs Duos" für seinen Dienstherrn, den Erzbischof von Salzburg. Die Legende will, dass Michael Haydn, geschwächt von einer Krankheit, nicht so gut vorankam mit dem Projekt, wie er gedacht hatte, und vom unnachsichtigen Chef eine Abmahnung befürchtete. In seiner Not soll er den Kollegen und Freund Wolfgang Amadeus Mozart um Hilfe gebeten haben: Tatsächlich erschienen die vier von Haydn geschrieben Duos mit den heutigen Werknummer 335 folgende und die beiden Duos Köchelverzeichnis 423 und 24 von Mozart später in einem einzigen Band – eine Form von Gemeinschaftsarbeit, die selten, wenn auch nicht einzigartig war, hatte Mozart im gleichen Jahr doch schon zu einer Sinfonie von Michael Haydn einen langsamen Einleitungssatz beigesteuert.

    "Haydn
    Duo PH 335
    I. Allegro
    Dauer: 0'30"

    Ob Michael Haydn seinen Dienstherrn am Ende getäuscht hat und auch die Duos Nummer 5 und 6 als eigene Arbeiten präsentiert hat, ist nicht bekannt. Der Täuschungsversuch wäre zumindest riskant gewesen. Schließlich hat Mozart den Stil seines Kollegen nicht imitiert, sondern einen ganz eigenen Weg gewählt. Wer die Duos der beiden vergleicht, kann die Unterschiede in ihrer Handschrift eigentlich nicht übersehen. Man erkennt sie zu allererst, wenn man auf die zweite Stimme achtet, auf die Viola. Bei Mozart ist sie ein echter Partner. Bei Michael Haydn nur Sekundantin für die Kapriolen der virtuos konzertierenden Violine:

    "Haydn
    Duo PH 335
    I. Allegro
    Track 4
    Dauer: 3'20"

    Ob Michael Haydn und Mozart ihre Werke selbst gespielt haben? Denkbar wäre es, beide waren technisch dazu ganz sicher in der Lage. Gleichwohl sind eben gerade die vier Duos von Haydn in der Violinstimme heikel. Sie führen in hohe Lagen und verlangen in einigen Sätzen vom Geiger sogar improvisierte Kadenzen – wie in einem Konzert. Die Bratsche hat es da etwas leichter – bis es an die Duos Nummer 5 und 6 geht, bis zu Mozarts Beitrag. Vermutlich ohne es zu wollen, hat Mozart seinen Freund mit diesen beiden Werken kompositorisch in die Schranken verwiesen - sie sind harmonisch komplexer, riskieren kontrapunktische Komplikationen,. zeigen im formalen Ablauf mehr eigenen Willen. Vor allem aber behandeln sie Geige und Bratsche nicht wie Meister und Gehilfe, sondern über weite Strecken wie zwei ebenbürtige Partner. Natürlich gibt auch bei Mozart die Violine den Ton an – die Viola aber nimmt diesen Ton auf und spinnt ihn weiter:

    "W.A. Mozart
    Duo KV 423
    II. Adagio
    Track 2
    Dauer: 2'55"

    Fast also stehen sie auf Augenhöhe bei Mozart, Violine und Viola – fast aber auch nur. Und so ist es auch in dieser Aufnahme. Bratschistin Jane Rogers macht ihre Sache gut, zweifellos, ihr gelingt eine harmonische Balance in Klang, Dynamik und Tempo. Doch die freche Spritzigkeit ihrer Kollegin Rachel Podger geht ihr ab, die Freiheit in der Verzierung, in den winzigen Stauchungen und Dehnungen einzelner Töne, in der gespannten Zeichnung einer Phrase. Da allerdings kommt ohnehin kaum jemand zurzeit heran an Podger, keiner jedenfalls, der wie sie zum Duell gewissermaßen die alten Waffen wählt: den historischen Bogen, die historische Besaitung, ein historisch geschultes Werkverständnis. Authentische Aufführungspraxis hat man das mal genannt, und dabei eine angebliche Objektivität beschworen. Doch Objektivität kommt einem gerade nicht in den Sinn, wenn man Podger spielen hört: Auch zu Zeiten von Mozart und Haydn hätte das Publikum vermutlich aufgehorcht und sich gewundert über eine Musikerin, die auf eine seltsame Art und Weise Munterkeit mit Scheu verbindet und Extravaganz mit Zurückhaltung. Podger stellt sich nicht an die Rampe und bekommt doch alle Aufmerksamkeit.

    "Haydn
    Duo PH 335
    III. Rondo con spirito
    Track 6
    Dauer: 1'10"

    In der mittlerweile stolzen Reihe von Aufnahmen der Britin Rachel Podger ist diese sicher nicht die auffälligste: auch in so fulminanter Interpretation bleiben die Duos Repertoire für die Nische. Dort freilich lohnen sie den genauen Hinblick, zumal in dem auch geschichtlich und ästhetisch spannenden Nebeneinander von Michael Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart. Für die Einspielung aller Sechs Duos war auf der CD nicht genug Platz, man findet nur vier darauf – genug aber, um die Werke auch in ihrem Kontext zu verstehen. Platz war am Ende immerhin noch für eine vergnügliche Zugabe. Die Bearbeitung eines Menuetts, das Mozart ursprünglich komponiert hatte für zwei Hörner – und fabelhaft funktioniert in neuer Besetzung.

    "W.A. Mozart
    Menuett aus KV 487
    Track 14
    Dauer: 1'55"


    Rachel Podger und Jane Rodgers spielen Duos von Michael Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart. Zum Schluss hörten Sie ein Menuett von Mozart aus der Sammlung KV 487. Die Aufnahme der Duos mit Podger und Rodgers ist erschienen beim Label Channel Classics, sie wurde Ihnen vorgestellt von Raoul Mörchen.


    Wolfgang Amadeus Mozart und Michael Haydn
    Duos für Violine und Viola
    Rachel Podger, Violine, und Jane Rodgers, Viola
    Channel Classics CCS SA 32411
    LC 4481
    EAN 723385324119