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Ehe für alle
Abstimmung wohl am Freitag

Der Bundestag wird noch in dieser Woche über die Ehe für alle entscheiden, wahrscheinlich am Freitag. Der Rechtsausschuss sprach sich für eine Abstimmung aus. Zwischen Union und SPD verschärft sich derweil der Konflikt um die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Einige Unionsabgeordnete werten den Vorstoß der SPD gar als Koalitionsbruch, manche fühlen sich aber auch von der Kanzlerin überrumpelt.

28.06.2017
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (Mitte) spricht am 27.06.2017 in Berlin zu Beginn der Unions-Fraktionssitzung im Bundestag mit der CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt (l.) und Unions-Fraktionschef Volker Kauder.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (Mitte) spricht am 27.06.2017 in Berlin zu Beginn der Unions-Fraktionssitzung im Bundestag mit der CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt (l.) und Unions-Fraktionschef Volker Kauder. (Kay Nietfeld/dpa)
    Die schnelle Abstimmung initiierte die SPD gegen den Willen der Unions-Spitze. Gemeinsam mit der Linken und den Grünen setzte sie im Rechtsausschuss des Bundestages durch, dass das Thema kurzfristig auf die Tagesordnung des Parlaments kommt - voraussichtlich an diesem Freitag. Das teilten Ausschussmitglieder mit. Ein solches rot-rot-grünes Votum gegen die Union ist ein bemerkenswerter Vorgang und bedeutet eine offene Konfrontation zwischen den Koalitionspartnern. Die Spitzen der Unionsfraktion hatten sich gegen eine Abstimmung noch vor der Bundestagswahl ausgesprochen.
    Union kritisiert "Koalitionsbruch" der SPD
    Kanzlerin Angela Merkel war am Montag überraschend vom klaren Nein der CDU in dieser Frage abgerückt und sprach während einer Veranstaltung der Zeitschrift "Brigitte" (Video) von einer "Gewissensentscheidung" der Abgeordneten. Nun fühlen sich viele Unions-Abgeordnete von der Kanzlerin überrumpelt.
    Nach Informationen der "Passauer Neuen Presse" gab es deshalb am Dienstag in der Spitze der Unionsfraktion heftige Kritik an Merkel. In einer Sitzung des Fraktionsvorstandes hätten mehrere Mitglieder in Abwesenheit der Kanzlerin ihren Unmut darüber geäußert, dass die CDU-Chefin die Fraktion vor vollendete Tatsachen gestellt habe, meldet das Blatt (Mittwoch). Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) wirft der SPD wegen ihres Vorstoßes "Vertrauensbruch" vor. Der CDU-Rechtspolitiker Patrick Sensburg hielt der SPD einen "Koalitionsbruch aus Kalkül" vor.
    Widerstand aus der Union angekündigt
    Merkel selbst kritisierte das Vorgehen der SPD in der Unionsfraktion laut Teilnehmerkreisen als "überfallartig". Bundesfamilienministerin Katarina Barley erwiderte im Deutschlandfunk , dass die SPD die gesamte Legislaturperiode darauf hingewirkt habe, die Ehe für alle zur Abstimmung freizugeben. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte: "Das war eine Gelegenheit, die mussten wir nutzen." Er verteidigte den Vorstoß. "Wenn alle der Meinung sind, dass das eine Gewissenentscheidung ist, dann ist das auch kein Koalitionsbruch", sagte er im ZDF-"heute journal". Oppermann kündigte an, bei der anstehenden Entscheidung im Bundestag eine namentliche Abstimmung zu beantragen. Damit wüssten die Wähler dann auch, welche Abgeordneten hinter der Ehe für alle stünden. "Für die Union ist das ein Riesenproblem." Er rechne mit vielen Gegenstimmen aus der CDU/CSU-Fraktion.
    Der Unions-Fraktionsvize Michael Kretschmer kündigte im Deutschlandfunk zahlreiche Nein-Stimmen aus den Reihen der Union an. Veränderungen seien unnötig, abgesehen von der Adoption und der Begrifflichkeit gelte bereits ein gleiches Recht für alle. Kritik an dem Vorhaben kam auch vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx. Der Staat müsse die Ehe in ihrer bisherigen Form schützen und fördern, erklärte er in Bonn: "Wir bedauern, wenn dieser Ehebegriff aufgelöst werden soll und damit die christliche Auffassung von Ehe und das staatliche Konzept weiter auseinandergehen. Es ist auch wegen der erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken völlig unangemessen, eine solche gesellschaftspolitische Grundentscheidung in diesem überstürzten Verfahren zu fällen."
    Namentliche Abstimmung im Bundestag, hier über Finanzhilfen für Griechenland 2012
    Namentliche Abstimmung im Bundestag, hier über Finanzhilfen für Griechenland 2012 (dpa/Tim Brakemeier)
    Paragraph 1353 BGB soll geändert werden
    Eine Mehrheit gilt dennoch als sicher, weil auch Linke und Grüne die Ehe für alle fordern. Die CDU/CSU-Fraktion erklärte die Entscheidung am Dienstag zur Gewissensfrage. Damit entfällt der sogenannte Fraktionszwang, der Abgeordnete an eine vorgegebene Linie binden soll.
    Die SPD wird wohl einen Gesetzentwurf zurückgreifen, der auf Initiative von Rheinland-Pfalz bereits in den Bundesrat eingebracht wurde. Darin heißt es: "Gleichgeschlechtlichen Paaren ist bis heute die Ehe verwehrt, was eine konkrete und symbolische Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität darstellt." In der Lösung dieser Frage schlägt der Entwurf wie die beiden anderen eine Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches vor. Dabei geht es um eine Ergänzung des Paragraphen 1353 ("Eheliche Lebensgemeinschaft") mit der Klarstellung, "dass auch gleichgeschlechtliche Personen eine Ehe eingehen können. Die Rechte der Kirchen und Religionsgemeinschaften bleiben von dieser gesetzlichen Neuregelung unberührt".
    Zur Ehe für alle gab es mehrere Vorstöße. Die ersten Gesetzesentwürfe der Grünen (pdf) sowie der Linken (pdf) und des Bundesrats (pdf) auf Initiative der rot-grünen Regierung in Rheinland-Pfalz liegen seit Jahren beim zuständigen Rechtsausschuss des Bundestags. Die Opposition beklagte mehrfach eine Blockade und eine Verschleppung des Themas, die Grünen-Fraktion scheiterte aber im Juni mit Eilanträgen am Bundesverfassungsgericht für eine Abstimmung im Bundestag zur Ehe für alle.
    Die Rechte homosexueller Paare

    Homosexuelle Paare in Deutschland können bislang ihre Lebenspartnerschaft laut Gesetz seit 2001 offiziell eintragen lassen. Inzwischen wurden diese Paare in vielen Bereichen, etwa bei der Unterhaltspflicht, im Erbrecht oder beim Ehegattensplitting, verheirateten heterosexuellen Paaren gleichgestellt. Doch vor allem beim Adoptionsrecht gibt es immer noch Benachteiligungen. So dürfen Homosexuelle nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2013 in einer Lebenspartnerschaft zwar auch Adoptivkinder des Partners adoptieren. Die gemeinsame Adoption eines Kindes ist jedoch nicht möglich. Eine Öffnung der Ehe würde das ändern.

    Unklar ist, ob für die Ehe für alle eine Grundgesetzänderung notwendig wäre. Artikel 6 des Grundgesetzes beschränkt die Ehe zwar nicht ausdrücklich auf Mann und Frau, unter Rechtsexperten ist aber umstritten, ob der Text angepasst werden müsste. In Europa haben bereits zahlreiche Länder die Ehe für alle eingeführt, als Vorreiter gelten die Niederlande und Dänemark.
    PD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will drei Monate vor der Bundestagswahl ein Ja zur Ehe für alle erzwingen und fordert damit seine Kontrahentin Angela Merkel (CDU) heraus. Die SPD werde auf jeden Fall dafür sorgen, dass noch in dieser Woche eine Abstimmung über einen entsprechenden Gesetzentwurf des Bundesrats stattfinden werde, sagte Schulz am Dienstag in Berlin. Er hoffe, dass die Union noch mitziehe. Karte mit den Rechten zur Eheschließung homosexueller Paare in Europa, Querformat 110 x 95 mm, Grafik: A. Brühl, Redaktion: J. Schneider
    Das Recht zur Eheschließung (27.06.2017) (picture-alliance/ dpa-infografik)
    Kritik an den Akteuren
    Die Öffnung der Ehe wird nach Meinungsumfragen von einer großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung befürwortet, auch viele Zeitungskommentatoren loben Merkels Vorstoß.
    Am Zustandekommen der nun in Aussicht stehenden Abstimmung im Bundestag gibt es aber in mehrfacher Hinsicht Kritik. Der Politikberater Frank Stauss schreibt in einem Blogbeitrag von einem rein taktisch motivierten Manöver der Kanzlerin: "Das ist wahrscheinlich die trostloseste Verkündung einer gesellschaftlichen Reform in der Geschichte der Republik. Nach den Jahrzehnten des Kampfes hätte die "Ehe für Alle" einen würdevolleren Einzug in das Recht der Deutschen verdient."
    Die SPD hatte die völlige Gleichstellung homosexueller Partnerschaften am Sonntag auf ihrem Parteitag in Dortmund zur Bedingung für eine Koalition gemacht - so wie zuvor bereits die FDP und die Grünen. Auch die Partei Die Linke setzt sich dafür ein. Die Union hatte dies bislang stets abgelehnt. Mit Merkels Abrücken von der bisherigen Linie könnte eine wichtige Hürde für eine Koalitionsbildung nach der Bundestagswahl im September fallen.
    Aber auch die SPD, die nun vorgibt, die sich bietende Chance zu nutzen, bekommt nicht nur positive Reaktionen. Stefan Mielchen von Hamburg Pride kritisierte früher häufig, dass die SPD für die Gleichstellung warb, aber aus Furcht vor Konflikten in der Koaltion nicht die gemeinsame Mehrheit mit der Opposition genutzt hätte. Im Deutschlandfunk sagte Mielchen nun, dass sich die SPD "am Ende nun doch noch aus der Umklammerung gelöst hat".
    (nch/mg)