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Eher Kunstgewerbe als Kunst

Der Mythos des Prometheus fasziniert die Menschheit bis heute: die Geschichte vom aufsässigen Anti-Gott, der zum Helfer und Schutzpatron der Menschen wurde und das furchtbar büßen muss. Der der Schweizer Theater- und Opernregisseur Jossi Wieler hat in Berlin eine neue Inszenierung des Stoffes geschaffen.

Von Eberhard Spreng |
    Eine Betongruft, eine Reaktorhalle. So etwa muss man sich den kahlen Raum in der Apsis der Schaubühne vorstellen, an deren Fuße der Titanengott Prometheus auf einem kleinen Betonsockel steht, einige Meter unter den Zuschauerrängen. 50 mal 50 Zentimeter, so groß ist die Bühne für den Protagonisten. Wasser umgibt ihn knöcheltief, einzelne Tropfen fallen von oder herab. Die Handgelenke liegen in Fesseln, an ihnen zwei Ketten, die durch Ösen gelegt, am anderen Ende lose herunter hängen. Befestigt sind sie nicht, der Gott könnte gehen, wenn er wollte.

    Aber es ist eben eine Kreuzigungsmetapher und die freiwillige Pose des Widerständlers, die hier gemeint sind und nicht der realistische Vollzug einer Kerkersituation. Prometheus, der den Menschen das himmlische Feuer und mit ihm die Kultur, die Zahlen und die Sprache übergab, hat sie damit aus der kalten Prähistorie geholt, für die Zivilisationsgeschichte fit gemacht und wie zu vermuten ist, auch für die Religion und wird dafür, vom neuen Götterchef Zeus auf immer der Qual anheim gegeben.

    "Schaut her, was ich von Göttern leide, selbst ein Gott!
    Schaut doch ,wie ich, von Misshandlungen zermürbt,
    mich durch die JahrTausende quäle!
    Solch eine schmähliche Fesslung hat sich der Seligen
    Neuer Herrscher gegen mich ausgedacht."

    Ernst Stötzner spielt den Titanen. Immer wieder verzieht er das Gesicht in scheinbar unwillkürlichen Zuckungen. Okeanos, der Opportunist, der sich mit Zeus' Herrschaft abgefunden hat, empfiehlt Anpassung an die neuen Verhältnisse. Thomas Bading gelingt im blauen Anzug eine griffige Darstellung des verdrucksten Systemidioten. Dessen Töchter, die Okeaniden treten in Seemannspullöverchen auf, verschämt-verhuschte Mägdelein, die nicht so recht wissen, wie sich verhalten im Angesicht eines ungehobelten Kerl, der sagt, was er denkt. Von oben steigen sie in Prometheus nasse Unterwelt wie Engelchen in die geschlechtliche Wirklichkeit der Menschen.

    Und Hermes, den man an einem Seil aus der Bühnendecke herablässt, zuckt hier ständig mit den Füßen, als wollte er, natürlich vergeblich das in die Schuhe dringenden Wasser abschütteln. Er ist verstrickt in Machtsysteme, ein Makler mit Wut auf alle, die anders denken, als er.

    Niels Bormann hatte zu Beginn bereits schon den Hephaistos gespielt, aus dessen handschuhbewehrter Hand Flammen aufloderten. Aber warum nur lässt Wieler ihn auch noch die gejagte, von der Bremse halb wahnsinnig gewordene Io spielen, eine Travestie im albernen Blumenkleidchen? Man braucht ja nicht einmal an Angela Winkler zu erinnern, die an demselben Theater dereinst bei Klaus Michael Grüber eine unendlich zerbrechliche Gejagte gab, um die szenische Wirkungsmacht und die Bedeutung des Dialogs der beiden Zeus-Dissidenten zu betonen. Hier ist er fürs Theater fast völlig verloren. Verloren damit auch die Verheißung auf ein Ende der Terrorherrschaft des eben nur gegenwärtig, aber nicht auf immer allmächtigen Zeus.

    So ist es eigentlich nur der Konflikt zwischen Konformisten und dem Fundi Prometheus, von dem hier zu erfahren ist, und das ist selbst für eine Stunde und 20 Minuten relativ wenig. Auch die neue, entspannte, etwas pathosscheue und mitunter etwas banale Übersetzung von Kurt Steinmann erhöht nicht gerade den dramatischen Kontrastumfang der Aufführung. Allzu viel wird einfach nur brav exekutiert und so ist auch diese Wielerarbeit an der Schaubühne eher Kunstgewerbe als Kunst.