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Eher Roman als Sachbuch

"Der Tod wird euch finden – Al-Qaida und der Weg zum 11. September" von Lawrence Wright gewährt laut Deutscher Verlags-Anstalt, einen "tiefen Einblick in Denken und Handeln der Al-Qaida-Führer und ihrer wichtigsten Kontrahenten". Ob das tatsächlich so ist, erläutert Rezensent Thomas Moser.

20.08.2007
    "Die Al-Qaida, die wir nun haben, würde es nicht geben. Die meisten dieser Dschihadgruppen verfolgten nationalistische Ziele. Es war Bin Laden, der beschloss, diese Art internationalen Regenschirm zu schaffen, sie alle unter ein Zelt zu nehmen und hauptsächlich gegen Amerika zu führen."

    Lawrence Wright in einem Radiointerview vor einem Jahr. Sein Buch muss man von vorne und hinten zugleich lesen. Von vorne erzählt es die Geschichte der islamistischen Organisation Al-Qaida und ihrer Hauptfiguren - doch hinten, in seinen Anmerkungen, macht der Verfasser eine bemerkenswerte Einschränkung: Eine umfassende Geschichte Al-Qaidas könne zurzeit noch nicht geschrieben werden, erklärt Wright. Und zwar weil die Hauptfiguren nicht befragbar sind, verschwunden wie Osama Bin Laden, oder in US-Gewahrsam und vor der Öffentlichkeit abgeschirmt wie Khalid Scheich Mohammed. Fragwürdig außerdem Wrights Quellen: hauptsächlich Dschihad-Kämpfer und Geheimdienstler. Gleichzeitig waren einige wichtige CIA-Mitarbeiter nicht bereit, mit ihm zu reden. Wright muss eingestehen, dass er die volle Wahrheit nicht gefunden hat. Er schreibt:

    "Es mussten Hunderte von Quellen gegeneinander abgeklärt werden, und nur durch diese aufwendigen Überprüfungen ließ sich die Wahrheit, das heißt die verlässlichsten Fakten, zumindest annäherungsweise ermitteln. Manchmal sind die tatsächlichen Ereignisse, so unbefriedigend dies auch sein mag, nicht mehr rekonstruierbar."

    Unter diesem Vorzeichen muss Wrights Buch gelesen werden. Er erzählt die Geschichte Osama Bin Ladens, einem von über 50 Kindern des saudi-arabischen Bauunternehmers Bin Laden. In den 80er Jahren ging der Sohn nach Afghanistan, um sich dem Kampf gegen die sowjetischen Besatzer anzuschließen, so wie viele Muslime aus anderen Ländern. Er betrieb unter anderem eine Herberge für die angereisten Kämpfer und wurde so bald Teil des Mythos vom Heiligen Krieg, schreibt Wright. 1988 gründete Osama Bin Laden zusammen mit anderen Islamisten eine Organisation, die den Kampf auch nach dem sowjetischen Abzug weiterführen sollte, eben Al-Qaida. 1989 kehrte er zunächst nach Saudi-Arabien zurück, landete über den Umweg Sudan aber 1996 wieder in Afghanistan, wo nach Jahren des Bürgerkrieges die Taliban die Macht eroberten. Nach dem Afghanistanfeldzug von 2001 in Folge der Anschläge vom 11.September verschwand Osama Bin Laden. Lawrence Wright beschreibt Person und Werdegang des ersten Mannes der Al-Qaida, der als gefährlichster Terrorist der Welt gilt, durchaus differenziert. Doch mitunter verwandelt sich das in Faszination:

    "Bin Laden sah sehr gut aus, hatte eine helle Haut, einen Vollbart und breite, volle Lippen. Seine Statur war hager vom Fasten und von der körperlichen Arbeit. Seine hohe schnarrende Stimme und sein zurückhaltendes, träges Naturell verstärkten den Eindruck einer gewissen Zerbrechlichkeit. Als er sprach, wurden alle Anwesenden von ihm in den Bann gezogen."

    An einer Stelle spricht Wright nur von "Osama". Dann referiert er gut ein Dutzend Größenangaben, die über Bin Laden im Umlauf sind und bis zu einer Körpergröße von über zwei Metern reichen. Als solle der Täter, der die Vereinigten Staaten von Amerika so sehr verletzte, wenigstens groß und bedeutend sein. Auch die vermeintliche Nummer zwei von Al-Qaida ist seit Jahren unauffindbar: Ajman al-Sawahiri, Ägypter und Bin Ladens Arzt. Wie der hat Sawahiri einen ähnlichen Lebensweg durch die verschiedensten Länder in den 80er und 90er Jahren hinter sich. In diesen Passagen liegt ein durchaus interessantes Geschichtsbuch der arabisch-muslimischen Welt der letzten 25 Jahre vor - Umstürze, Bürgerkriege, Kriege, die sich nach den europäischen Revolutionen von 1989/90 meist im Halbschatten der Weltöffentlichkeit zutrugen, aber doch von den europäischen Umbrüchen mit ausgelöst worden waren. Eine Weltordnung war zerbrochen, neue Ordnungen entstanden, meist unter brutaler Gewalt - und mit Wechselwirkungen:

    "Die Kämpfer wurden zu einem staatenlosen, vagabundierenden Mob religiöser Söldner. Die Funken des afghanischen Brandes wirbelten um den Globus, und schon nach kurzer Zeit sollte ein großer Teil der muslimischen Welt in Flammen stehen."

    Die Geschichte war aber immer auch Geheimdienstgeschichte. Der Widerstand gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan wurde vor allem von Saudi-Arabien, Pakistan und den USA massiv mit Geld und auch mit Waffen unterstützt - organisiert von den Geheimdiensten. Alles in allem flossen Milliarden Dollar an die Mudschahedin und die arabisch-muslimischen Fremdenlegionen, so Wright. Bin Laden und die Organisation Al-Qaida waren auch ein Produkt dieses Einflusses. Bin Ladens Aufstieg zur Symbolfigur des islamischen heiligen Krieges hing dann vor allem mit verschiedenen Anschlägen zusammen, die zum Teil bis heute nicht geklärt beziehungsweise umstritten sind, die der Al-Qaida-Anführer aber später für sich in Anspruch nahm, obwohl er nichts mit ihnen zu tun hatte: zum Beispiel 1993 auf die US-Truppen in Somalia.

    "Er nimmt oft Dinge für sich in Anspruch, die nicht sein Verdienst sind. Und dann streitet er wiederum ab, Dinge getan zu haben. Aber in Somalia haben sie mit den Kämpfen damals nichts zu tun gehabt."

    Andererseits wurde Al-Qaida für Anschläge verantwortlich gemacht, die sie nicht begangen hatte, wie der 1996 in Saudi-Arabien auf US-Soldaten, in den das iranische Regime verwickelt war. Für Wright hatte Al-Qaida bis 1998 noch keinen nennenswerten Anschlag durchgeführt. Auch bei dem auf das World Trade Center in New York von 1993 sieht er keinen Beweis für ihre Täterschaft. Er schreibt:

    "Trotz der gespenstischen Aufrufe zum heiligen Krieg hatte Al-Qaida in Wahrheit noch nichts zuwege gebracht. Die Organisation nahm vergangene Erfolge für sich in Anspruch, an denen sie nur geringen oder überhaupt keinen Anteil hatte. Obwohl Al-Qaida bereits seit zehn Jahren existierte, hielt sie beispielsweise keinem Vergleich mit Hamas oder der Hisbollah stand. Wie Kugelfische bliesen sich Al-Qaida und Bin Laden auf, um größer zu wirken, als sie in Wahrheit waren."

    Bekenntnisse zu Anschlägen haben so nur begrenzten Wert. Für die Anschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam im August 1998 mit insgesamt über 200 Toten übernahm eine bis dahin unbekannte Gruppe die Verantwortung. Die US-Regierung rechnete sie aber Bin Laden zu und bombardierte mit Marschflugkörpern Al-Qaida-Stellungen in Afghanistan. Für Wright ein Fehler, weil es Bin Laden zu einer Symbolfigur machte.

    "Unsere Antwort auf diese Anschläge, 56 Cruise Missiles auf Al-Qaida abzufeuern, sorgte zwar für große Schäden, aber nicht bei Al-Qaida. Das erhob ihn in den Augen vieler Muslime in der Welt."

    "Unsere Antwort", sagt Lawrence Wright in diesem Radiointerview. Er teilt die US-Sicht auf die Geschehnisse. Und er schreibt weitgehend aus Sicht der US-Nachrichtendienste, die ihn mit Informationen versorgten. Überprüfen kann er die letztendlich aber nicht. Trotzdem liefert er dabei auch diskussionswürdiges Material zum Beispiel über die Verflechtung von Geheimdiensten und islamistischer Szene. Ein Fall ist der des Ägypters Ali Mohammed. Mohammed habe sich der CIA angedient, die ihn nach Deutschland schickte und in Hamburg einsetzte. Dort soll es noch einen zweiten Zuträger gegeben haben. Danach wurde Mohammed in der US-Armee ausgebildet. Dieser Mann soll später nicht nur das Militärhandbuch von Al-Qaida verfasst, sondern auch die Anschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania vorbereitet haben, so Wright. Heute befinde er sich in der Obhut von US-Behörden.

    Für Wright war Ali Mohammed ein Al-Qaida-Agent, der versuchte, den US-Geheimdienst zu unterwandern. Aber warum soll er nicht umgekehrt ein US-Agent in den Reihen militanter Islamisten und dann von Al-Qaida gewesen sein? Weil der US-Geheimdienst dann möglicherweise eine Mitverantwortung für die Anschläge auf die US-Botschaften hätte? Welches Vorwissen hatten die amerikanischen Sicherheitsbehörden über die Anschläge vom 11. September? Zwei der mutmaßlichen Selbstmordattentäter standen lange Zeit vorher unter Beobachtung der CIA, als sie sich in den USA aufhielten. Wright wurde das aus dem Nachrichtendienst, aber auch von Vertretern des saudi-arabischen Geheimdienstes bestätigt. Die CIA behielt ihr Wissen damals aber für sich und klärte weder das FBI noch die Regierung über die beiden Männer auf. Warum? Wright kann nur spekulieren: Wegen persönlicher Rivalitäten zwischen CIA und FBI? Oder vielleicht, weil die CIA die beiden anwerben wollte? Er ist sich aber sicher, dass die Anschläge vom 11.September hätten verhindert werden können. Ihre Aufdeckung sei an internen Blockaden der US-Sicherheitsbehörden gescheitert.

    "Hätte die CIA die Informationen zur Verfügung gestellt, hätte das FBI alle Maßnahmen ergreifen können, die geeignet gewesen wären, die Anschläge vom 11.September zu verhindern."

    Hinter diese Sicht, die sich im wesentlichen mit der Version des offiziellen Untersuchungsreports zum 11. September deckt, steckt vielleicht auch der Versuch einer Rückgewinnung amerikanischer Souveränität über die Terrorattacken von 2001 nach dem Motto: Es lag nicht in erster Linie an dem unsichtbaren, übermächtigen Feind, der uns jederzeit wieder treffen kann, sondern, dass er uns angreifen konnte, war nur unser eigener Fehler. Lawrence Wright hat für sein Werk fast 600 Leute interviewt. Wer nun aber neue handfeste Erkenntnisse über die Abläufe oder Hintergründe des 11. September erwartete, wird enttäuscht. Der Nachweis für die Urheberschaft Al-Qaidas und Osama Bin Ladens für die Anschläge geht gegen Null. Deren Rolle wird auf der Ebene von Behauptungen abgehandelt - oder sogar von Traumgeschichten. Vor dem 11. September hätten Bin Laden und seine Gefolgsleute lebhafte Träume über Flugzeuge gehabt, schreibt und spricht Wright:

    "Das waren Träume wie Vorhersehungen. Die Leute sahen Piloten, die Fußball spielten, und Flugzeuge, die in Gebäude einschlugen. Doch dann verbot Bin Laden plötzlich jedes Gespräch über solche Träume, da er befürchtete, sie könnten das Komplott verraten."

    Das ist von mystischer Qualität. Das Buch von Lawrence Wright erschien in den USA im August 2006. Weil er im Frühjahr 2007 dafür den Pulitzer Preis erhielt, wurde es jetzt in Deutsch aufgelegt. Den Preis erhielt er für Non-fiction-Literatur. Vorgelegt hat er aber eher einen Roman als ein Sachbuch.


    Lawrence Wright: Der Tod wird euch finden. Al-Qaida und der Weg zum 11. September
    Aus dem Amerikanischen von Hans Freundl.
    DVA München, 2007
    544 Seiten, 24,95 Euro