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Ehrenfeld statt Sansibar

Leuchttürme gehören ans Wasser - nicht in Köln. Der Heliosturm steht mitten im Stadtviertel Ehrenfeld. Die Suche nach einer Erklärung für dieses Kuriosum führt zurück ins 19. Jahrhundert.

Von Lisa Rauschenberger | 08.08.2010
    "Ganz dahinten wo der Leuchtturm steht, wo das weite Meer zu Ende geht, liegt ein kleiner Ort und dort ist mein zu Hause."

    Hans Albers wusste Bescheid: Leuchttürme gehören ans Wasser. Sie warnen Schiffe vor gefährlichen Felsen und seichten Ufern und sind manchmal Heimat eines einsamen Leuchtturmwärters.

    Der würde sich auf dem Heliosturm mit Sicherheit ganz schön verloren vorkommen. Denn der Leuchtturm steht mitten im Kölner Stadtviertel Ehrenfeld. Wohnhäuser, ehemalige Industriegebäude, Bahnschienen. Kein rauschendes Meer weit und breit, selbst der Rhein liegt in gut vier Kilometern Entfernung. Damit ist der Heliosturm der einzige Leuchtturm weltweit, der nicht am Wasser steht.

    Ein Kölner Jeckenstreich? Oder Überbleibsel eines längst versandeten Rheinarms? Beim Blick nach oben tappen selbst die Ehrenfelder im Dunklen.

    "Vielleicht ist das gar kein Leuchtturm, sondern das war für die Feuerwehr, um früher halt zu sehen, ob es irgendwo halt in Ehrenfeld brennt."

    "Also, ich glaube nicht, dass er noch aktiv etwas macht. Ich glaube, dass er einfach nur noch ein Überbleibsel ist."

    "Ich denke, wenn der Rhein mal wieder überläuft, braucht man ihn."

    "Vielleicht lief der Rhein früher anders? Nein, keine Ahnung, ich weiß es wirklich nicht."

    "Was ein Leuchtturm macht, mitten in der Stadt? Was soll er machen? Keine Ahnung, eigentlich is das unlogisch, ne."

    So unlogisch es scheint, da steht er: ein Leuchtturm mitten im Asphaltmeer. Der Sockelbau ist so massiv, als ob er tatsächlich der Kraft der Wellen trotzen müsste. Darauf sitzt der eigentliche Turm aus roten Backsteinen mit dem Lampenhaus an der Spitze. Aus rund 40 Metern Höhe wirft er nachts schwache Strahlen über die Dächer von Ehrenfeld.
    Aber wie hat es den Heliosturm hierher verschlagen? Die Geschichte, die Johannes Maubach von der Bürgervereinigung Ehrenfeld zu erzählen hat, ist kurios. Sie führt uns zurück ins 19. Jahrhundert, als Deutschland noch Kolonien in Übersee hatte. Eine davon war Sansibar, die Insel vor der ostafrikanischen Küste.

    "Einmal sollte dieser Leuchtturm eigentlich auf Sansibar stehen, denn die Firma Helios hatte den Auftrag bekomme, für Sansibar einen Leuchtturm zu erstellen. Da aber Sansibar gegen Helgoland getauscht wurde, war dieser Leuchtturm auf Helgoland nicht mehr nötig, denn die hatten Leuchttürme schon und vielleicht hat die Firma deshalb gesagt, wir setzen uns jetzt selbst ein Zeichen und haben diesen Leuchtturm hier nach Ehrenfeld gebracht."

    Ehrenfeld statt Sansibar: Mythos oder historische Begebenheit? Schwer zu sagen, meint Johannes Maubach. Fakt ist jedenfalls, dass der Leuchtturm seit Ende des 19. Jahrhunderts der Helios AG als turmhohe Leuchtreklame diente. Eine bessere Werbung hätte man sich wohl kaum vorstellen können – in den Produktionshallen zu Füßen des Heliosturms wurden neben Beleuchtungsanlagen vor allem Leuchttürme gefertigt. Johannes Maubach:

    "Die Helioswerke, die 1882 hier nach Ehrenfeld gekommen sind, haben zu guten Zeiten fast 2000 Beschäftigte gehabt. Das war eine Weltfirma, die ja überall gebaut hat, ob in Sankt Petersburg oder in Antwerpen, in Amsterdam, im Norden Deutschlands. Ich denke schon, dass die Firma ein Interesse daran hatte, auch nach außen hin und nach oben hin zu zeigen, das machen wir. Das ist im Grund genommen unser Werk."

    Ein Werk, das nicht lange vorhalten sollte. 1903 übernahmen die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft und Siemens den Betrieb. Aber der Heliosturm blieb.
    Längst ist er zum Wahrzeichen Ehrenfelds geworden. Seit 1996 steht er wie die Produktionshallen der Helios AG unter Denkmalschutz. Sie erinnern an ein längst vergangenes Gesicht des Stadtviertels: Wo heute multikultureller Einzelhandel, Wohnhäuser und Kneipen vorherrschen, lagen früher Fabrikhallen, erzählt Johannes Maubach:

    "Ehrenfeld ist ja im Grunde genommen gegründet worden, um große Betriebe aufzunehmen, die in der Stadt Köln damals im 19. Jahrhundert keinen Platz hatten. Ja, man kann schon sagen, dass das ein Zeichen für die Gesamtindustrie hier war. Ehrenfeld hat ja nie Bodenschätze gehabt, sondern hat Produkte erstellt."

    189 Stufen muss man erklimmen, um Ehrenfeld von oben zu sehen. Beim Aufstieg zeigt sich der Helios von einer weniger guten Seite: Er ist baufällig, überall hängen Spinnweben, es nisten Tauben. Durch eine kleine Luke geht es nach draußen. Von der Turmplattform aus schweift der Blick über ehemalige Industriehallen und verwaiste Fabriken zwischen den Straßenzügen. Güterzüge knattern vorbei. In einiger Entfernung sieht man Dom. Nur der Rhein ist von oben nicht zu sehen. Das ist das Schicksal dieses Leuchtturmes - kein Wasser weit und breit.