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Ein billionstel Gramm ist noch zu viel

Dioxine sorgen immer wieder für Schlagzeilen, in der Regel für negative. Die Gruppe von Umweltgiften aus Verbrennungs- und Chemieprozessen beschert uns noch immer Futter- und Lebensmittelskandale. Der jüngste datiert von Anfang 2011.

Von Volker Mrasek | 02.03.2011
    Dioxin. Wann hat es endlich mal ein Ende damit, möchte man ausrufen! Seit gut vier Jahrzehnten hält uns das gefürchtete Umweltgift jetzt schon in Atem. Und provoziert bis heute Futter- und Lebensmittelskandale. Den Letzten hatten wir gerade erst am Jahresanfang. Wieder mal sperrten die Behörden Tausende Höfe mit Hühner- und Schweinehaltung. Erst war belastetes Tierfutter aufgetaucht, dann fand man überhöhte Dioxin-Gehalte auch in Eiern und Fleisch.

    "Wir haben hier fettreiches Schweinefleisch, das wir zur Untersuchung auf Dioxine vorbereiten."

    Das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt in Münster - eine der staatlichen Stellen mit Dioxin-Labor in Deutschland. Auf dem Höhepunkt der Krise wurde hier vier Wochen nonstop gearbeitet. Kaum jemand hat so viel Erfahrung mit Dioxin und seiner Analytik wie Laborchef Peter Fürst:

    "Der Begriff Dioxin ist eine Sammelbezeichnung für insgesamt 210 verschiedene Substanzen. Dioxine sind langlebige Umweltschadstoffe, die nicht gezielt hergestellt werden, mit Ausnahme für uns Analytiker, sondern bei einer Vielzahl von thermischen und auch industriellen Prozessen entstehen."

    Ins öffentliche Bewusstsein gerieten die chlorhaltigen Moleküle durch ein Chemie-Unglück vor 35 Jahren: Im italienischen Seveso flog ein Reaktionskessel in die Luft und setzte große Mengen Tetrachlordibenzodioxin frei, den giftigsten Vertreter der Stoffgruppe ...

    "Dioxine sind sicher nicht akut giftig. Es sei denn in sehr, sehr großen Konzentrationen. Allerdings ist es wohl auch so, dass in kleineren Konzentrationen Auswirkungen auf das Immunsystem, auf das Nervensystem und auch das Fortpflanzungssystem nicht ausgeschlossen werden können."

    "Ich habe hier jetzt Rundkolben, wo die Proben sich drin befinden. Das sind Fette von Fischen. Wird jetzt auf Dioxine untersucht."

    Es ist viel geschehen, um die allgemeine Belastung mit Dioxinen zu vermindern. Müllverbrennungsanlagen erhielten Filter, Prozesse der Chlorchemie wurden optimiert. Doch ganz verschwunden sind die Gift-Moleküle noch nicht. Sie beschäftigen Lebensmittel-Analytiker wie Peter Fürst noch immer. Die Weltgesundheitsorganisation hält es für ratsam, nicht mehr als ein Pikogramm pro Tag und Kilogramm Körpergewicht aufzunehmen:

    "Ein Pikogramm ist der billionste Teil von einem Gramm. Und das zeigt schon die besondere Giftigkeit dieser Verbindungen."

    Ein weiteres Problem: Dioxine sind sehr gut fettlöslich, und wir nehmen sie größtenteils mit der Nahrung auf - mit fettem Fisch, Fleisch und Milchprodukten.

    "Die Substanzen werden im Körper eingelagert, im Fett eingelagert. Und im Laufe des Lebens reichern sich die Gehalte an."

    Wenn es zu Lebensmittel-Skandalen wie neulich wieder kommt, sind allerdings kriminelle Machenschaften im Spiel ...

    "Das haben wir immer wieder in den letzten zehn, 15 Jahren, dass durch illegale Abfallentsorgung von Fetten zum Beispiel wie in diesem Fall, die in die Futtermittelproduktion gelangt sind, dort nichts zu suchen haben - dass es hier immer wieder zu einer Verunreinigung von Lebensmitteln kommt."

    Dioxine - sie werden uns auch weiterhin verfolgen, glaubt der Münsteraner Experte:

    "Es wird sicherlich auch in der Zukunft weitere Dioxin-Fälle geben. Und deshalb ist es notwendig, dass eben auch die Untersuchungsprogramme weiterlaufen, um hier möglichst schwarze Schafe dann auch zu entdecken."


    Links zum Thema

    Molekül der Woche
    Deutschlandfunk-Reihe zum UN-Jahr der Chemie 2011


    Deutschlandfunk, Marktplatz, 27.01.11, zum Dioxin-Skandal
    Spiegel-Dossier zum Dioxin-Skandal 2011
    Spiegel, 05.01.11: Chronik der Dioxin-Skandale
    Bundesinstitut für Risikobewertung zu Dioxinen
    Focus-Artikel über Bakterien, die Dioxin auffressen können (1993)
    Spiegel-Artikel über Bakterien, die Dioxin auffressen können (2003)
    Welt-Artikel über Bakterien, die Dioxin auffressen können (2003)
    Süddeutsche-Artikel zur Juschtschenko-Vergiftung mit Dioxin
    Youtube-Video zum Sevesounglück
    Trailer zur WDR-Doku Gambit zum Sevesounglück
    EmpaChannel-Video über Juschtschenko-Dioxin-Ver-und Entgiftung