Der Titel klingt wie ein Reißer: "Die Kreml AG - Putin, Russland und die Deutschen".
Tatsächlich müsste das Buch überschrieben sein mit: Was mir, Roland Haug, alles zu Russland einfällt. Das ist ohne Zweifel eine Menge, und ein von Russland unbedarfter Autor erfährt in einem bunten Gemischtwarenladen einiges Wissenswertes zwischen vielem Altbekannten, die Auswahl scheint keiner Ordnung zu folgen und entwickelt sich damit für den erwartungsfrohen Leser, die Leserin, die der Einlösung des Titelversprechens harrt, zu einem einzigen Ärgernis.
Nicht, dass es nicht interessant wäre, Stalins Spuren nach Deutschland zu verfolgen; doch was darüber zu erfahren ist, geht nicht über gute touristische Reiseführer hinaus. Viele journalistische Berichte haben sich schon ausführlicher mit den nach Russland ausgewanderten Schwaben befasst. Dass sich Stalins zweite Frau Nadeschda erschoss, ist bei einem Spaziergang am Grabmal auf Moskaus berühmten Nowodewitschi-Friedhof zu lernen.
Die Sprünge von Thema zu Thema sind gewagt und scheinen eher dem Mitteilungsbedürfnis des Autors denn einer zwingenden inhaltlichen Logik zu entspringen. So hüpft er nach 30 Seiten deutsch-russischer Geschichte flugs zur Ukraine.
Noch lodert das Flämmchen Hoffnung beim Leser, bald werde sich der Reigen öffnen, wird sich das Puzzle einer Kreml AG zusammenzufügen beginnen. Doch nein. Weit gefehlt. Wieder startet ein zum Titel und zum Vorangegangenen beziehungsloses Kapitel, das überläuft vor Bewunderung für die orangefarbene Revolution. Von der ist im Winter 2004 ohne Zweifel ein Zauber ausgegangen, doch dürfte der inzwischen längst verflogen sein.
Der Autor übt sich in naiver Faszination, die in einem zeitnäher verfassten Text ihre Berechtigung hätte, jetzt aber, drei Jahre später, da die Revolutionäre entzaubert und heillos zerstritten sind, der Wahlbetrüger doch Premier geworden ist, heute haftet dem Kapitel eine gewisse Unbelehrbarkeit an: Was so phantastisch begann darf nicht so enttäuschend enden. Hier hätte der viel zitierte Satz von Russlands Ex-Premier Viktor Tschernomyrdin seine Berechtigung gehabt: Wir wollten das Beste, aber es kam so wie immer.
Wenn sich Haug die Verflechtungen zwischen russischer und ukrainischer Wirtschaft vornimmt, keimt die Hoffnung auf, dass der Autor nun beim Thema Kreml AG angelangt ist. Sie wird sogleich enttäuscht, denn im Sammelsurium fehlt noch die Biografie Viktor Juschtschenkos und richtig: Julia Timoschenkos sowie die Geschichte der Ukraine.
Nach knapp hundert Seiten und einem Sprung in den Kaukasus wird klar: Die Kapitel haben keinen Zusammenhang, die Themenauswahl erfolgt willkürlich.
Statt sich der Herausforderung des Titels zu stellen, ihn wörtlich zu nehmen, das Putin-Imperium zu durchleuchten, seine Entstehung nachzuvollziehen, an der sein Vorgänger, der inzwischen verstorbene Präsident Boris Jelzin, maßgeblichen Anteil hatte, statt den Aufbau der AG zu erklären, ihre Strukturen, Abteilungen, Produkte, statt ihre Marktchancen zu bewerten, Konkurrenten einzuordnen, Vordenker, führende Köpfe und Angestellten zu charakterisieren, das Betriebsklima zu beschreiben, ihre Bilanzen, Krisen, Erfolge nachzuzeichnen, kurzum ein Bild zu entwerfen, das vor Facettenreichtum nur so hätte strotzen können, geht der Autor mit keiner Silbe auf das Thema ein, reiht stattdessen wahllos Detail an Detail.
Irgendwann wird selbst die Auswahl vorhersagbar. Wenn der Autor von den Nordosseten, den exotischen Männern mit Goldzähnen schreibt, die angeblich gern Schaschlik essen, führt ihn sein Weg alsbald von Beslan nach Tschetschenien und, einmal im Kaukasus, gibt es den historischen und literarischen Exkurs, der bei Lew Tolstois Hadschi Murat endet, gratis dazu.
Dass ein Hinweis auf das gefälschte Referendum über den Verbleib Tschetscheniens in der Russischen Föderation fehlt, ist vielleicht noch verzeihlich, dass aber der Krieg als Grund genannt wird für Moskaus Streben, militärisch in Tschetschenien präsent zu sein, ist regelrecht falsch. Tschetschenien ist ein Teil Russlands, die Armee kann sich stationieren, wo immer sie es für nötig hält.
Da hat Ex-Verteidigungsminister Sergej Iwanow ausnahmsweise recht, wenn man deswegen noch lange nicht gleich Krieg führen muss.
Dass die DDR Russland, nicht etwa der Sowjetunion Kredite gewährte, darf der Autor gern seinem Lektor anlasten, dass das Datum für die Duma-Wahl falsch ist, die dieses, nicht nächstes Jahr stattfindet, ist ein zu verschmerzendes unrichtiges Detail.
Manches in Roland Haugs Buch "Die Kreml AG" ist durchaus neu, das allermeiste aber bekannt, wenngleich mit Fleiß zusammengetragen, vor allem am Schluss, wenn er sich endlich mit der russischen Wirtschaft befasst, freilich aber auch dann nicht auf seinen Titel eingeht.
Der Begriff Kreml AG taucht auf den letzten Seiten lediglich als Synonym für den russischen Staat auf, und das ist zu wenig.
Das Buch eignet sich für Leser, die ihre erste Annäherung an Russland wagen. Das ist keineswegs ehrenrührig, nur dann wäre ein Allerweltstitel wie "Russland gestern und heute" ehrlicher gewesen.
Ein Verdacht lässt einen nach dem Auslesen nicht mehr los: dass der durchaus Neugierde weckende Titel von einem Fremden, Außenstehenden auf den Umschlag gepappt wurde.
Woanders heißt so etwas Etikettenschwindel oder Thema verfehlt. Wie schade.
Moderator:
Sabine Adler über Roland Haug: "Die Kreml AG. Putin, Russland und die Deutschen", Hohenheim Verlag, Stuttgart / Leipzig 2007, Euro 19.90.
Tatsächlich müsste das Buch überschrieben sein mit: Was mir, Roland Haug, alles zu Russland einfällt. Das ist ohne Zweifel eine Menge, und ein von Russland unbedarfter Autor erfährt in einem bunten Gemischtwarenladen einiges Wissenswertes zwischen vielem Altbekannten, die Auswahl scheint keiner Ordnung zu folgen und entwickelt sich damit für den erwartungsfrohen Leser, die Leserin, die der Einlösung des Titelversprechens harrt, zu einem einzigen Ärgernis.
Nicht, dass es nicht interessant wäre, Stalins Spuren nach Deutschland zu verfolgen; doch was darüber zu erfahren ist, geht nicht über gute touristische Reiseführer hinaus. Viele journalistische Berichte haben sich schon ausführlicher mit den nach Russland ausgewanderten Schwaben befasst. Dass sich Stalins zweite Frau Nadeschda erschoss, ist bei einem Spaziergang am Grabmal auf Moskaus berühmten Nowodewitschi-Friedhof zu lernen.
Die Sprünge von Thema zu Thema sind gewagt und scheinen eher dem Mitteilungsbedürfnis des Autors denn einer zwingenden inhaltlichen Logik zu entspringen. So hüpft er nach 30 Seiten deutsch-russischer Geschichte flugs zur Ukraine.
Noch lodert das Flämmchen Hoffnung beim Leser, bald werde sich der Reigen öffnen, wird sich das Puzzle einer Kreml AG zusammenzufügen beginnen. Doch nein. Weit gefehlt. Wieder startet ein zum Titel und zum Vorangegangenen beziehungsloses Kapitel, das überläuft vor Bewunderung für die orangefarbene Revolution. Von der ist im Winter 2004 ohne Zweifel ein Zauber ausgegangen, doch dürfte der inzwischen längst verflogen sein.
Der Autor übt sich in naiver Faszination, die in einem zeitnäher verfassten Text ihre Berechtigung hätte, jetzt aber, drei Jahre später, da die Revolutionäre entzaubert und heillos zerstritten sind, der Wahlbetrüger doch Premier geworden ist, heute haftet dem Kapitel eine gewisse Unbelehrbarkeit an: Was so phantastisch begann darf nicht so enttäuschend enden. Hier hätte der viel zitierte Satz von Russlands Ex-Premier Viktor Tschernomyrdin seine Berechtigung gehabt: Wir wollten das Beste, aber es kam so wie immer.
Wenn sich Haug die Verflechtungen zwischen russischer und ukrainischer Wirtschaft vornimmt, keimt die Hoffnung auf, dass der Autor nun beim Thema Kreml AG angelangt ist. Sie wird sogleich enttäuscht, denn im Sammelsurium fehlt noch die Biografie Viktor Juschtschenkos und richtig: Julia Timoschenkos sowie die Geschichte der Ukraine.
Nach knapp hundert Seiten und einem Sprung in den Kaukasus wird klar: Die Kapitel haben keinen Zusammenhang, die Themenauswahl erfolgt willkürlich.
Statt sich der Herausforderung des Titels zu stellen, ihn wörtlich zu nehmen, das Putin-Imperium zu durchleuchten, seine Entstehung nachzuvollziehen, an der sein Vorgänger, der inzwischen verstorbene Präsident Boris Jelzin, maßgeblichen Anteil hatte, statt den Aufbau der AG zu erklären, ihre Strukturen, Abteilungen, Produkte, statt ihre Marktchancen zu bewerten, Konkurrenten einzuordnen, Vordenker, führende Köpfe und Angestellten zu charakterisieren, das Betriebsklima zu beschreiben, ihre Bilanzen, Krisen, Erfolge nachzuzeichnen, kurzum ein Bild zu entwerfen, das vor Facettenreichtum nur so hätte strotzen können, geht der Autor mit keiner Silbe auf das Thema ein, reiht stattdessen wahllos Detail an Detail.
Irgendwann wird selbst die Auswahl vorhersagbar. Wenn der Autor von den Nordosseten, den exotischen Männern mit Goldzähnen schreibt, die angeblich gern Schaschlik essen, führt ihn sein Weg alsbald von Beslan nach Tschetschenien und, einmal im Kaukasus, gibt es den historischen und literarischen Exkurs, der bei Lew Tolstois Hadschi Murat endet, gratis dazu.
Dass ein Hinweis auf das gefälschte Referendum über den Verbleib Tschetscheniens in der Russischen Föderation fehlt, ist vielleicht noch verzeihlich, dass aber der Krieg als Grund genannt wird für Moskaus Streben, militärisch in Tschetschenien präsent zu sein, ist regelrecht falsch. Tschetschenien ist ein Teil Russlands, die Armee kann sich stationieren, wo immer sie es für nötig hält.
Da hat Ex-Verteidigungsminister Sergej Iwanow ausnahmsweise recht, wenn man deswegen noch lange nicht gleich Krieg führen muss.
Dass die DDR Russland, nicht etwa der Sowjetunion Kredite gewährte, darf der Autor gern seinem Lektor anlasten, dass das Datum für die Duma-Wahl falsch ist, die dieses, nicht nächstes Jahr stattfindet, ist ein zu verschmerzendes unrichtiges Detail.
Manches in Roland Haugs Buch "Die Kreml AG" ist durchaus neu, das allermeiste aber bekannt, wenngleich mit Fleiß zusammengetragen, vor allem am Schluss, wenn er sich endlich mit der russischen Wirtschaft befasst, freilich aber auch dann nicht auf seinen Titel eingeht.
Der Begriff Kreml AG taucht auf den letzten Seiten lediglich als Synonym für den russischen Staat auf, und das ist zu wenig.
Das Buch eignet sich für Leser, die ihre erste Annäherung an Russland wagen. Das ist keineswegs ehrenrührig, nur dann wäre ein Allerweltstitel wie "Russland gestern und heute" ehrlicher gewesen.
Ein Verdacht lässt einen nach dem Auslesen nicht mehr los: dass der durchaus Neugierde weckende Titel von einem Fremden, Außenstehenden auf den Umschlag gepappt wurde.
Woanders heißt so etwas Etikettenschwindel oder Thema verfehlt. Wie schade.
Moderator:
Sabine Adler über Roland Haug: "Die Kreml AG. Putin, Russland und die Deutschen", Hohenheim Verlag, Stuttgart / Leipzig 2007, Euro 19.90.