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Ein Dichter für die Arbeiter

Der im November 1980 verstorbene Dichter Jannis Ritsos ist einer der meistgelesenen griechischen Autoren des 20. Jahrhunderts, rund ein Dutzend Gedichtsammlungen des Lyrikers sind auch in deutscher Übersetzung erschienen. Ritsos ist auch einer der meistvertonten griechischen Dichter, am populärsten wurden die von Mikis Theodorakis komponierten Liederzyklen mit Texten des Autors.

Von Eberhard Rondholz | 01.05.2009
    So kennen ihn die meisten Griechen, ihren Jannis Ritsos, sie kennen vor allem das gesungene Werk, wie diese von Thanos Mikroutsikos vertonte Kantate über die KZ-Insel Makronissos, wo der Dichter einmal inhaftiert war. Das gedruckte Werk umfasst mehrere Tausend Seiten: Ein Riesenoeuvre - und da ist der engagierte Dichter der griechischen Arbeiterbewegung, der dichtende Parteisoldat ebenso wie der Verfasser erotischer Lyrik. Da sind ausufernde mehrhundertseitige Poeme ebenso wie kurze didaktische Parabeln, und immer wieder Rückgriffe auf die altgriechischen Mythen. Die Aneignung antiker Stoffe war für ihn als Griechen selbstverständlich:

    "Als ich zur Schule ging, da lernten wir Altgriechisch, lasen Homer und Sophokles, Euripides und Aischylos direkt im Original. Und solche Erinnerungen spielen natürlich auch eine entscheidende Rolle, anders als wenn man das erst liest wenn man groß ist, mit 20 oder 25 Jahren. Aber wenn man gewisse Kindheitserinnerungen hat an Homer oder Aischylos, als man
    zwölf oder 13 war, ist das was anderes."

    Ritsos benutzte Stoffe aus der altgriechischen Geschichte nicht nur als Tarnung, hinter denen konkrete politische Anspielungen sich verbergen - eine ganze Reihe von Gedichten, die Stoffe aus der Atriden-Tragödie verwerten, sind autobiographischen Charakters, Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte. Und so pflegte er auf Fragen nach seiner persönlichen Biographie zumeist so zu reagieren:

    "Zunächst einmal fällt es mir schwer über meine Biographie zu reden. Die wesentlichste und ehrlichste Biographie steckt immer im Kunstwerk selbst. Es ist nicht nötig zu sagen, dass ich in Monemvassia geboren wurde, vor mir das Meer und das Gefühl der Unendlichkeit. Diese Dinge scheinen aus meiner Dichtung selber durch. Ich habe mich in meinem ganzen Werk autobiographiert."

    Eine Biographie der Leiden und der Kämpfe: Am 1. Mai 1909 in eine wohlhabende Grundbesitzerfamilie in Monemvassia in der Peloponnes geboren, die aber bald verarmte, ging der junge Jannis Ritsos nach Athen, schlug sich mit kleinen Theaterengagements und als Verlagslektor durch. Er fand den Weg zur Arbeiterbewegung, wurde Mitglied der Kommunistischen Partei, ein abtrünniger Bourgeois.

    Seinen ersten Erfolg feierte er mit dem Epitaphios, einem Gedichtzyklus zu Ehren eines bei einer Maidemonstration 1936 in Thessaloniki erschossenen jungen Arbeiters, Mikis Theodorakis hat das Werk später vertont. Es wurde alsbald von den Zensoren der Metaxas-Diktatur verboten, ein Schicksal, das seine Gedichte immer wieder ereilte, ob in den Jahren von Nazi-Okkupation und Bürgerkrieg, oder in den sieben Jahren der Diktatur der Obristen, die die agitatorischen Qualitäten seiner Lyrik fürchteten. Aber es gab auch diese ironischen Töne:

    "Marx, Engels, Lenin, Bebel und Bucharin, sie alle drängeln sich in meinem Kopf, und jetzt erwarb ich noch dazu die Gabe, mit Dialektik mich zu nähern jedem Ding. Der Proletarier Demonstrationen, die seh' ich lieber von der Fensterbank mir an. Ich vermeide jedes Handgemenge, ich weiß doch, tödlich würde es mich treffen, wenn in den Kerker eines Tages man mich sperrt."

    Jannis Ritsos hat, anders als der in diesem Gedicht von 1934 karikierte Salonbolschewik, das Handgemenge nicht gescheut, ging mit den Genossen ins Gefängnis, in die Internierungslager. Was er scheute, zeitlebens, war die offene Auseinandersetzung mit der Partei. Doch seine griechischen Leser haben ihm das wohl verziehen, jedenfalls singen sie seine Gedichte, bis heute, in den Vertonungen von Theodorakis und anderen. Zum Beispiel dieses kämpferische Stück aus dem Liederzyklus Romiossini, das in der Zeit der Militärdiktatur fast so etwas wie eine zweite Nationalhymne war, und in dem die Glocken der Auferstehung von der Hoffnung auf die Befreiung künden.