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Ein "Gerechter der Völker"

Der "mexikanische Schindler" – so nennen die Amerikaner Gilberto Bosques. Etwa 40.000 Menschen stellte der mexikanische Diplomat während der NS-Zeit Visa für sein Heimatland aus. "Letzte Zuflucht Mexico" heißt eine Ausstellung, mit der die Akademie der Künste in Berlin jetzt an den mutigen Fluchthelfer erinnert.

Von Michael Castritius |
    Ohne Gilberto Bosques wäre die deutsche Kultur ärmer. Etwa 40.000 Menschen stellte der mexikanische Diplomat zwischen 1940 und 42 in Marseille Visa für sein Heimatland aus. So wurde Mexiko auch für bis zu 2.000 Deutsche die letzte Zuflucht vor den Nationalsozialisten.

    In den USA nennt man Gilberto Bosques auch den "mexikanischen Schindler", in Israel wird er als "Gerechter der Völker" geehrt. In Deutschland aber ist er weitgehend unbekannt. Die mexikanische Botschaft bemüht sich gerade darum, dass in Berlin wenigstens eine Strasse nach Bosques benannt wird. Schließlich finden sich selbst in der Person des Botschafters Francisco González Diaz Spuren des deutschen Exils: er spricht deutsch:

    "Ich habe keine deutschen Wurzeln, aber meine Großeltern waren befreundet mit deutschen Exilanten und deshalb wurden Deutsche und deutsche Kultur so geschätzt und deswegen habe ich in einer deutschen Schule studiert."

    Gilberto Bosques sei ein diplomatisches Vorbild, ein mutiger Mann, sagt der Botschafter. Und Bosques sei auch Teil der deutschen Geschichte. Die Berliner Ausstellung trägt dazu bei, dass wir davon erfahren.

    25 aufgeklappte, silbern-blecherne Koffer stehen auf Ständern aus bunt angestrichenem Holz: die kräftigen Farben Mexikos. 25 Lebensgeschichten sind in diese Koffer gepackt: von Künstlern, Juden, Kommunisten, denen Gilberto Bosques die Flucht vor den Nazis ermöglichte. Anna Seghers, ist dabei, Paul Westheim, Otto Klepper, Steffie Spira, Walter Janka, Gustav Regler.

    Koffer, die das Wenige symbolisieren, dass Exilanten von ihrem vorherigen Leben mitnehmen konnten.

    Ohne Rückfahrt-Ticket, ohne "Ich hab' noch einen Koffer in Berlin"-Rückversicherung.

    Die Koffer stehen auf einer Verbindungsbrücke innerhalb der Akademie, die in der modernen Architektur tatsächlich ein Fluchtweg ist.

    Wie auf der Schiffs-Landungsbrücke, über die die Flüchtlinge mexikanischen Boden betraten, sind sie aufgereiht. Viel Materielles war damals nicht in den Flüchtlingskoffern, Anna Seghers etwa hatte nicht eines ihrer Bücher dabei. Trotzdem reisten die Exilanten mit viel Gepäck, meint Ausstellungskuratorin Christine Fischer-Defoy:

    "Das sind ja sehr viele Künstler, Intellektuelle, Schriftsteller, die haben natürlich ihre ganze deutsche Kultur mitgenommen. Das was wir in den Koffern zeigen ist aber auch ihr Leben dort, ihre Lebensumstände in Mexiko, und d auch das schmerzhaft Kapitel der Rückkehr von vielen, die in die DDR gegangen sind."

    Die Drei-Groschen-Oper brachten die Exilanten 1941 zur mexikanischen Erst-Aufführung. Bei sich zu hause quasi, im Heinrich-Heine-Club, der Kultur-Einrichtung der geflüchteten Deutschen. Präsidentin: Anna Seghers. Sie selber hielt Lesungen, etwa aus ihrem in Mexiko entstehenden Hauptwerk "Das siebte Kreuz". Egon Erwin Kisch las aus seinen Reportagen, die später unter dem Titel "Entdeckungen in Mexiko" veröffentlicht wurden. Paul Westheim, zuvor Kunstpapst der Weimarer Republik, vermerkte: "Mexiko ist ein Land, in dem ein Kunstmensch leben kann."

    Zum Teil führten die Deutschen allerdings den Kleinkrieg, die ideologischen Fraktionskämpfe fort, die die Weimarer Republik so geschwächt hatten. Darunter litt etwa Walter Reuter, obwohl auch der Berliner Fotograf mit seiner jüdischen Frau vor den Nazis geflüchtet war - und obwohl auch er in Spanien gegen Franco kämpfte. Dort hatte er sich von den Kommunisten losgesagt, als er in deren Auftrag Gefangene erschießen sollte.

    "Na ja, die Kommunisten überhaupt Mann, ich hab' doch hier zuerst nicht als Journalist, als Fotograf gearbeitet, sondern habe Familien fotografiert. Und da sind sie von der Partei zu diesen jüdischen oder deutschen Familien gegangen und haben gesagt: 'wie könnt ihr mit dem Walter arbeiten, das ist ein Agent der Gestapo'."

    Fluchthelfer Gilberto Bosques starb erst 1995, kurz vor seinem 103. Geburtstag. Eine anrührende Wiederbegegnung mit Walter Janka wenige Jahre zuvor ist in der Ausstellung als Filmdokument zu sehen.

    Bosques auf der Brücke: dem Fluchtweg aus Marseille, dem Fluchtweg in der Akademie der Künste zum Notausgang – mit einfachen Mitteln, den Koffern, den Farben, und vielen Dokumenten und Bildern in Faksimiles, öffnen sich verschiedene Welten: Südfrankreich mit den verzweifelten Flüchtlingen, Ostdeutschland mit den teils verfolgten Rückkehrern, Mexiko mit den debattierenden Exilanten.

    Eine Ausstellung der Erinnerungen, ein Erlebnis nicht aller Sinne, aber im Kopf.