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"Ein großer Kung Fu-Kämpfer ist ein sehr bescheidener Mensch"

Für seinen bildgewaltigen Martial-Arts-Streifen "The Grandmaster" trainierte Tony Leung ein Jahr lang Kung Fu und brach sich dabei beide Arme. Privat liebäugelt er mit einem Leben als normaler Mensch - und muss sich von seiner Frau beschimpfen lassen, wenn er zur Rush-Hour die U-Bahn nimmt.

Corso-Gespräch mit Tony Leung |
    Sigrid Fischer: Wong Kar-Wai hat diesen Film schon sehr lange im Kopf, inzwischen gibt es bereits einige IP-Mann Filme. War das nicht etwas ärgerlich, zu sehen, dass andere auch die Idee hatten, sein Leben zu verfilmen?

    Tony Leung: Nein, weil wir Kung Fu ganz anders verstehen. Es geht uns um die spirituelle Seite des Kung Fu, und um ein paar Großmeister, um ihr Handeln, um Schicksal, um Freundschaft, um viele Themen. Wenn ich das auch nicht alles verstehe. Ich lese Bücher über die Bedeutung von Martial Arts, und so verstehe ich, warum die Großmeister soviel Respekt voreinander haben, welche Tradition dahinter steht, was diese und jene Geste bedeutet – Feind oder Freund z.B. Eine kleine Geste macht so einen großen Unterschied. Und das ist nur ein kleines Beispiel. Die Tradition hält noch viel mehr bereit, was ich nicht verstehe.

    Fischer: Die spirituelle Seite des Kung Fu, von der Sie sprachen, hat die sich auch auf Ihr Leben nach dem Film ausgewirkt?

    Leung: Ich denke schon, dass sie mich irgendwie inspiriert, wenn ich mir das auch nie bewusst gemacht habe. Ich verstehe auf jeden Fall viel mehr von Kung Fu als vorher. Vorher dachte ich, es ginge um körperliches Training, ums kämpfen. Jemanden zu verletzen und sich selbst zu schützen. Die spirituelle Seite kannte ich nicht und habe mich deshalb gewundert, dass diese Kultur über 4000 Jahre bis heute existieren konnte. Es muss ja mehr sein als nur eine Kampftechnik. Ich bin Buddhist, ich meditiere auch, und das ist vergleichbar. Es hat auch mit mentalem Training zu tun. Daneben kann es aber auch eine Lebensweise, eine Haltung sein. Ein großer Kung Fu Kämpfer ist ein sehr bescheidener Mensch. Und er weiß andere zu respektieren.
    Fischer: Aber Sie praktizieren jetzt nicht jeden Tag Kung Fu?

    Leung: Ich bin sehr sportlich, und werde auch weiter Kung Fu machen. Weil es mich sehr verändert hat, es gibt mir mehr Selbstsicherheit.

    Fischer: Tony Leung, auch wenn es in The Grandmaster um viel mehr geht als um Kung Fu, die Kampfszenen sind ja trotzdem zentral und wichtig. Sie haben sich lange darauf vorbereitet – ist das nicht frustrierend hinterher zu sehen, dass viele dieser Szenen wieder rausgeschnitten wurden, nach so einer Anstrengung...

    Leung: So sehe ich das nicht, denn es ist ein Wong Kar-Wai Film. Ich denke, ich habe etwas geleistet, und darauf bin ich stolz. Wie er dann eine Szene schneidet, das ist seine Entscheidung. Es ist ein Wong Kar-Wai Film. Warum mag ich ihn? Weil ich seinen Stil mag. Es ist kein Tony Leung Film. Ich erwarte nicht, dass er so schneidet, dass ich großartig darin aussehe. Das macht für mich nicht den Spaß dabei aus, sondern dass ich spielen kann, denn das tue ich sehr gerne. Die Vorbereitungsphase und der Dreh – das ist das, was ich daran liebe. Was danach passiert, ist nicht mein Problem. Ich gebe vorher alles, erwarte aber keine Gegenleistung – welche Szene Du wählst, wie Du drehst, das ist Deine Sache.

    Fischer: Sie haben mit Comedy im Fernsehen angefangen, Tony Leung, wünschen Sie sich manchmal, dass Ihre komische Seite in Filmen mehr gefragt wäre – bei Wong Kar-Wai z.B. können Sie die nicht so ausleben, würden Sie das gerne?

    Leung: Ja! Das würde ich gerne! Besonders in meinem Alter, auf einmal war ich 50. Da würde ich gerne etwas Leichteres machen, nicht so schwere Dramen wie bisher, das will ich nicht mehr. Ich habe schon über die Presse überall in Asien verbreitet: wenn Ihr ein Drama habt, dann kommt damit bitte nicht zu mir. Ich bin nicht interessiert. Ich möchte etwas drehen, das den Leuten Hoffnung gibt, und positive Energie. Die Welt ist so grausam. Das lese ich jeden Morgen in der Zeitung. Dann denke ich, ich sollte etwas Positiveres tun. Wir können sicher nicht die Realität verändern, aber wir haben die Wahl, wie wir sie aufnehmen – leicht oder ernst und traurig. Und ich will jetzt glücklich sein, andere Menschen wollen das sicher auch. Sollen andere die Dramen drehen, ich will Komödie.

    Fischer: Sehen Sie junge Nachwuchsregisseure in China, die Sie vielleicht auch in dieser Hinsicht interessieren könnten?

    Leung: Ich sehe nicht viele. Das liegt daran, dass sich das Land noch entwickelt, es öffnet sich gerade erst der Welt, alles steht noch am Anfang, und die Dinge brauchen Zeit. Der Hong Kong Filmmarkt ist in den letzten 10 Jahren auch geschrumpft, aber jetzt gibt es viele Co-Produktionen mit China. Ich hoffe, dass wir einige unserer Techniken einbringen können, und dass sie sich öffnen, was die Zensur angeht. Kreativität braucht Freiheit.

    Fischer: Würden Sie gerne mehr außerhalb Asiens arbeiten, in Europa oder in den USA?

    Leung: Das habe ich nie geplant, aber ich glaube, das Schicksal bringt die Menschen zusammen. Bei interessanten Angeboten sage ich nicht nein. Aber ich überlasse es dem Schicksal. Ich bekomme auch viele Angebote, aber sie interessieren mich nicht. Wenn ich unbedingt in Amerika drehen wollte, könnte ich einen Autor beauftragen, mir ein Drehbuch zu schreiben und dann würde ich den Film dort drehen. Aber ich erzwinge die Dinge nicht gerne. Ich mag lieber, wenn sie sich natürlich ergeben. Wenn’s passiert, dann passiert’s.
    Fischer: Ist das Teil Ihrer Buddhistischen Philosophie, auf das Schicksal zu vertrauen? Wenn’s passiert, dann passiert’s?

    Leung: Ja, Buddhisten lassen die Dinge geschehen. Wir setzen auf den glücklichen Zufall. Buddhismus ist ja nicht nur eine Religion. Es geht darum, wie man ein besserer Mensch wird, und wie man glücklich wird. Ich hatte eine unglückliche Kindheit, ich bin ohne Vater aufgewachsen. Und mein ganzes Leben lang versuche ich herauszufinden, wie ich glücklich werden kann. Deshalb interessiere ich mich auch so für Psychologie. Ich kenne auch viele Lamas und Rinpoche, sie sind wirklich weise und klug, ich lerne viel von ihnen. Ich möchte wissen, wie ich besser darin werden kann, andere glücklich zu machen. Dann ist man selbst auch glücklich.

    Fischer: Aber politisch ist das ja schwierig, der Dalai Lama ist nicht akzeptiert in China...

    Leung: Das stimmt, aber Politik interessiert mich nicht, ich drehe lieber Filme, das ist Phantasie. Und im Leben versuche ich, ein guter Mensch zu sein.
    Fischer: Wie muss ich mir das vorstellen, wenn Tony Leung, der große Filmstar, irgendwo in China oder Hong Kong über die Straße geht? Können Sie das unerkannt, tun Sie das?

    Leung: Ich setze eine Maske auf, und einen Hut und gehe raus, ich verkleide mich. Ich möchte doch wie ein ganz normaler Menschen leben.

    Fischer: Und das gelingt Ihnen?

    Leung: Ja. Und wenn mich jemand erkennt, versuche ich, zu rennen. Aber es erkennen einen gar nicht viele Leute, einfach weil sie nicht glauben, dass ich es bin. Sie wissen gar nicht, dass ich gerade in ihr Stadt bin. Und in Hong Kong nehme ich oft die U-Bahn während der Rush-Hour. Meine Frau schimpft dann: Warum machst Du das? Weil das der einfachste Weg ist, sage ich dann. Ich hasse es, vorne bei meinem Fahrer zu sitzen, weil mir beim Autofahren schlecht wird. Ich muss mich übergeben. Ich hasse Straßenverkehr. Ich gehe gerne zu Fuß und ich möchte wie ein normaler Mensch leben. Wenn es geht. Auf dem roten Teppich bin ich vielleicht ein Star, aber sonst bin ich so gewöhnlich wie jeder andere. Wo ist der Unterschied?

    Tony Leung (sprich: "Long") ist einer der berühmtesten fernöstlichen Schauspieler - und gleichzeitig einer der wandlungsfähigsten. Blockbuster wie Arthousefilme nahmhafter chinesischer und Hong Kong-Regiesseure zählen zu seinem Repertoire, mit dem er in Asien zahlenmäßig einen mindestens so großen Markt abdeckt wie die Clooneys und Pitts aus Hollywood. Auf den Tag genau zum Kinostart seines neuesten Films "The Grandmaster" wird er 51 Jahre.