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Ein harter Brocken Mystik

Schwerpunkt Schottland: Das Edinburgh International Festival will schottische Künstler noch stärker in das Programm einbeziehen als bisher. Das zeigt auch der Auftrag an den bislang wenig bekannten schottischen Komponisten Stuart MacRae, eine Oper zu schreiben. "Assasin Tree" wurde denn auch von zahlreichen schottischen Stiftungen gefördert.

Von Susanne Lettenbauer |
    Dass der Union Jack, die Flagge von Großbritannien, aus drei einst unabhängig existierenden Flaggen besteht, wird derzeit häufiger im schottischen Fernsehen erklärt. Englisches Georgskreuz, irisches St. Patricks Kreuz, schottisches Andreaskreuz. Was auf dem europäischen Festland skurril anmuten mag - hier und zumal in Edinburgh zur Zeit der Festivals gibt es nur noch das weiß-blaue Andreaskreuz, kombiniert mit dem Lion Rampant, der offiziell für die Bevölkerung nicht zugelassenen, aber dennoch häufig verwendeten schottischen Königsflagge mit rotem steigenden Löwen auf gelbem Grund. Ältere Damen vor den Festivaltheatern tragen das Doppel am Revers.

    Fast zwangsläufig musste auf Edinburghs International Festival also ebenfalls ein schottisches Statement her, eine aufwendige Opernuraufführung, gefördert von zahlreichen schottischen Stiftungen, geschrieben von dem schottischen Komponisten Stuart MacRae, dirigiert von dem schottischen Dirigenten Garry Walker, aufgeführt vom Ensemble des Lyceum-Theatre Edinburgh.

    "Wir haben den Auftrag vergeben weil Stuart aus Schottland ist. Wir haben hier die Möglichkeit, schottische Künstler zu fördern, also sollten wir das auch nutzen. Das gilt natürlich nur für die wirklich Besten, nicht für die zweite Garde oder aus nationalistischen Gründen. Deshalb haben wir ihn beauftragt, der eigentlich nie eine Oper schreiben wollte, jetzt möchte er am liebsten gleich noch eine schreiben."

    sagt Brian McMaster, der in diesem Jahr sein Amt als Festivalleiter abgibt und weiß, dass sein Nachfolger Jonathan Mills bereits Kooperationsvereinbarungen mit der ambitionierten neuen Leiterin des National Theatre of Scotland unterzeichnet hat:

    "Wir haben eine Verantwortung, die jungen Talente Schottlands hier dem internationalen Publikum zu präsentieren, immer natürlich von einem internationalen Standard aus gesehen. Ich denke auf keinen Fall, wir sollten hier mittelmäßiges zeigen, nur weil es schottisch ist."

    Hört man sich im Publikum um, können die meisten dem nur zustimmen und auf Talente wie den Komponisten James MacMillan hinweisen, der Vorzeigekomponist Schottlands schlechthin.
    Ko-produziert wird das neue schottische Opernwerk "Assassin Tree" von Londons Royal Opera House, wo der "Mörderbaum" ab September im Linbury Studio zu sehen sein wird.

    Nein, nicht als Nachhilfestunde für die Engländer in Sachen Pikten und Skoten, heiligem Andreas oder König Angus. Librettist Simon Armitage interessierte früher bereits die Mystik im Zusammenspiel von Natur und Mensch. Sein preisgekröntes Radiohörspiel Odyssee abstrahierte dieses Verhältnis in einer Art, die Stuart MacRae als musikalisch bezeichnet. Und was passt besser zur Mystik als Richard Wagners Tristan, die Initialzündung für den Komponisten MacRae, es trotz aller Skepsis doch einmal eine Oper zu schreiben?

    Der "Assassin Tree" ist in der Inszenierung der Festlandseuropäer Emio Greco und Pieter C. Scholten ein aufragendes Stahlgerüst, behängt mit Scheinwerfern. Ein Häufchen Sägemehl erinnert an die Natur eines Baumes. Dieser Hort der Diana wird angebetet, bewacht, angezweifelt von einem Priester. Denn Sklaven, die ein Blatt von diesem Baum stehlen, erhalten die Freiheit. Einerseits weise und allwissend ist der Priester andererseits alt und desillusioniert.

    Im schwarzen knöchellangen Gewand verkörpert Bariton Paul Whelan die Gestalt des ewigen Wächters in rauher Ergebenheit. Die blonde Diana, Gillian Keith im animalisch-löwenbraunen Fellkleid, vermittelt die kühle Eleganz der Götter. Zumindest bis der ewige Kreislauf der Erneuerung beginnt: Wer den Priester tötet, nimmt dessen Stelle ein, bis wiederum ein Jüngerer kommt. Der ist zu guter Letzt auch noch der verloren geglaubte Sohn des alten Weisen, wenig überzeugend Colin Ainsworth.

    Ein harter Brocken Mystik auf Edinburghs Festival. Eine Nicht-Story, die die römische Sage vom König des Waldes für eine verschwurbelte Blut-, Baum- und Feuermystik benutzt. Plattform vor allem für den Komponisten, Urgewalten ungestört musikalisch ausloten zu können. Ähnlich dem maskierten Tänzer als Schatten der vier Hauptpersonen. Was anfangs verwirrte, bekam letztlich die Hauptfunktion des Abends. Der Tänzer als Spiegelbild und Kommentator jeder Geste. Oper als Choreografie, das hätte der 90 minütige Abend werden können, nur dann bitte konsequent.