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"Ein Hügel, voll mit Körpern"

40 Jahre ist es her, dass das legendärste Open-air-Festival der Rockgeschichte über die Bühne ging. Doch vom Geist in Woodstock ist wenig geblieben. Statt "love and peace" dominieren bei Woodstock-Jubiläumsveranstaltungen Kontrolle und Kommerz.

Von Michael Kleff | 15.08.2009
    "Woodstock is not a place or an event. It´s a state of mind.”"

    Woodstock, das ist kein Ort und kein Ereignis – sondern ein Geisteszustand. Sagt Ilene Marder – langjährige Einwohnerin von Woodstock. Das legendäre Musikfestival trägt den Namen der kleinen Stadt nördlich von New York City, obwohl die dreitägige Veranstaltung, die am 15. August 1969 begann, fast 70 Meilen von Woodstock entfernt auf einem Farmgelände in Bethel stattfand.

    Für 18 Dollar Eintritt standen viele Größen der Rockmusik auf dem Programm: Country Joe McDonald, Jimi Hendrix, Joe Cocker und Jefferson Airplane – insgesamt 32 Gruppen und Solisten. Statt der erwarteten 60.000 Besucher kam eine halbe Million. Die Ordner waren überfordert. Zäune wurden niedergerissen – Woodstock wurde zu einem freien Festival gemacht. Nur die Einnahmen vom Verkauf des Woodstock-Films konnten später den Bankrott der Veranstalter abwenden.

    Joni Mitchells Woodstock-Hymne – von Crosby, Stills, Nash und Young zum Hit gemacht – wurde zum Credo einer neuen Generation: für Frieden und Liebe, gegen den Vietnamkrieg. Arlo Guthrie fühlte sich beim Festival als Teil der Geschichte.

    ""Dieses Gefühl hatte ich das erste Mal, als Präsident Kennedy umgebracht wurde. Auf einmal war meine Jugendzeit vorbei. Ich begriff, dass wir alle in einer großen Welt lebten, auf der viel passierte. Diese Erkenntnis brach über Nacht über mich herein. Und mit Woodstock war das genauso."

    Auch wenn Jimi Hendrix auf seiner elektrischen Gitarre die US-Nationalhymne zerspielte und trotz aller Hoffnung auf ein "anderes Amerika": der Graben zwischen Politik und Pop in Woodstock war breit. Als der Hippieführer Abbie Hoffman beim Auftritt von The Who eine politische Erklärung verlesen wollte, jagte ihn Gitarrist Pete Townsend mit seiner Gitarre von der Bühne.

    Im Publikum war auch Christopher Phillips. Im strömenden Regen erreichte der heutige Kulturjournalist nach längerem Umherirren das Bühnengelände. Dort bot sich ihm ein Bild wie nach einer Katastrophe.

    "Ich sah einen Hügel, voll mit Körpern; Leute, eingekauert unter Decken, um trocken zu bleiben und sich warm zu halten. Und dann war da dieser intensive Gestank. Eine Mischung aus Urin, Scheiße und Marihuana, die durch die feuchte Luft verstärkt wurde. Noch heute wird mir schwummrig, wenn ich an diesen schrecklichen Geruch denke."

    Trotz des Chaos' machten die Medien das Festival schon wenige Tage später zum Mythos. Schrieben es "schön", um die Ankündigung von drei Tagen Friede, Liebe und Musik nachträglich zu bestätigen. Obwohl man Woodstock auch ganz anders hätte darstellen können, meint Christopher Phillips.

    "Als ein gigantisches Happening mit Drogenmissbrauch, Gesetzesbrüchen und zügellosem Sex. Der damalige Präsident Nixon hätte durchaus die Nationalgarde schicken können, um der Missachtung amerikanischer Moralvorstellung ein Ende zu bereiten."

    Spätestens mit der Ermordung eines jungen Schwarzen beim Altamont Festival – nur wenige Monate nach Woodstock – war es aus mit den Blütenträumen der Hippiebewegung. Auch der im vergangenen Jahr eröffnete Museumstempel in Bethel hat mit dem Geist der 60er-Jahre nur wenig zu tun. Auf dem Gelände stehen Verbotsschilder: "Nicht rauchen. Nicht campieren. Nicht laut musizieren".

    Für Graham Nash ändert all dies jedoch nichts an der historischen Bedeutung des Woodstock Festivals vor 40 Jahren.

    "Woodstock zeigte mir, dass ich mit meinen Gefühlen nicht alleine war; dass Liebe besser als Hass ist und Frieden besser als Krieg. Trotz des Beharrungsvermögens dieses Planeten und der Gesellschaft konnten wir die Welt verändern. Wir können auch heute Wandel bewirken. Wir müssen nur die Idee von Liebe und Frieden verbreiten. In dem Wissen – wie in Woodstock – dass wir nicht alleine sind."