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"Ein Konfliktpotenzial, das ganz Westafrika destabilisieren kann"

Mit der Kooperation von Tuareg-Rebellen und El Kaida in Mali braue sich ein für die gesamte Region gefährliches Gemisch zusammen, fürchtet der Afrika-Experte Hans-Christoph Buch. Schon jetzt zeige sich die Staatengemeinschaft ratlos. Eine Hauptursache des Konflikts sei uralt: Die willkürliche Grenzziehung durch die Kolonialmächte.

Hans-Christoph Buch im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 07.04.2012
    Jürgen Zurheide: Die Lage in Mali ist einigermaßen verworren. In der Hauptstadt hatten Putschisten die Macht übernommen, die wollen sie jetzt allerdings abgeben. Im Norden des Staates haben Tuareg einen eigenen Staat proklamiert, der wird allerdings bisher von niemandem so recht anerkannt. Wie ist denn nun die Lage? Über all das wollen wir reden mit dem Schriftsteller, mit dem Afrika-Kenner Hans-Christoph Buch, der jetzt am Telefon ist. Guten Morgen, Herr Buch!

    Hans-Christoph Buch: Guten Morgen!

    Zurheide: Herr Buch, zunächst einmal: Warum zerfällt die Macht in Mali, was passiert dort im Moment, was können Sie uns dazu sagen?

    Buch: Ja, ein Militärputsch hat stattgefunden, ironischerweise aus dem Grund, weil die Armee nicht zurechtkam mit der Rebellion der Tuareg im Norden – das warf sie der Regierung vor, sie sei nicht gut ausgerüstet, nicht richtig vorbereitet –, und deshalb hat ein Offizier namens Sanogo die Macht ergriffen. Und als er dann merkte, es wird brenzlig, die afrikanische Union und die westafrikanischen Staaten vor allem erkennen das neue Regime nicht an, da hat er eingelenkt. Und jetzt soll also dieser Übergangsprozess bis zu den Wahlen, die sowieso anstanden, geordnet stattfinden. Es gab nur sehr wenige Tote bei diesem Putsch, es war relativ unblutig, aber gleichzeitig hat die Rebellenbewegung im Norden dort eine Offensive begonnen und ganz schnell in den Wirren des Putschs die Stadt Gao an der Grenze zu Niger und dann auch das legendäre Timbuktu erobert. Und sie kontrolliert damit das Gebiet nördlich des Niger-Flusses, den Niger-Bogen, und ein Gebiet, das fast größer ist als der Rest von Mali, so groß wie die Bundesrepublik.

    Zurheide: Kommen wir auf die Tuareg zu sprechen. Da kann man ja beobachten, dass möglicherweise das, was sich dort im Moment in Mali abspielt, eine Art von Fernwirkung auch von Libyen ist, denn die Tuareg waren oder einige von ihnen standen im Sold von Gaddafi. Ist das so als Beobachtung richtig oder was müsste man noch hinzufügen?

    Buch: Das ist vollkommen richtig. Also die Tuareg-Rebellen sind geführt von Söldnern Gaddafis, die mit Waffen, darunter auch schweres Kriegsgerät, sich nach Mali absetzten nach dem Sturz Gaddafis. Das hängt also zusammen mit diesen Vorgängen in Libyen. Gaddafi hat früher schon die ganze Region destabilisiert, und nach seinem Tod geht das noch weiter, das ist die zweite Ironie der Geschichte. Aber es gibt langfristig wirksame Faktoren, die nicht so schnell auszuräumen sind, auch nicht mit militärischer Gewalt, nämlich die Grenzziehung in diesen Ländern des Sahel, diese Schneide, die Siedlungsgebiete der Tuareg. Die Leben also in Algerien, im Süden Algeriens, in Niger, dem Nachbarland von Mali, und in Mauretanien und anderen Ländern, und sie sind stolze Raubritter, kann man sagen, Wüstensöhne, die immer schon gekämpft haben und gegen diverse Regierungen rebelliert haben, auch schon in der Kolonialzeit gegen die Franzosen. Dies ist der dritte Tuareg-Aufstand in der Region, und diesmal ist er insofern erfolgreich, weil er mit diesem Militärputsch zusammenfiel, der eigentlich gegen die Tuareg gerichtet war. Viele Offiziere und Soldaten sind außerdem aus der Armee desertiert und zu den Tuareg übergelaufen. Sie sind selbst Tuareg, und ihre Loyalität gehört ihren Stämmen und nicht der Zentralregierung, die sowieso sehr schwach ist in Mali.

    Zurheide: Und man muss eben beobachten – Sie haben es gerade angesprochen –, es vagabundieren eine Unmenge an Waffen dort herum. Ist das nur aus Libyen oder gibt es auch andere Quellen, und was tun wir, die westlichen Staaten dafür – wird da kräftig verkauft?

    Buch: Also Libyen reicht schon, denn Gaddafis Söldner waren schwer bewaffnet, und Gaddafis Armee löste sich auf, also da kamen genug Waffen zusammen. Aber auch das Nachbarland Burkina Faso mischt mit. Und die Tradition der Tuareg ist eben kriegerisch, das macht die Sache schwierig. Das Gelände ist kaum zu kontrollieren, auch nicht mit einer modernen Armee, weil es sich um Wüste handelt, die die Tuareg besser kennen als jeder andere. Sie können dort überleben, während fremde Truppen dort größte Schwierigkeiten hätten, allein mit ihrer Logistik, also um sich zu ernähren, um Wasser zu haben und so was. Das wären schon unüberwindliche Schwierigkeiten. Aber die Grenzziehung kommt dazu, und nun ist dieser neue Staat, diese Unabhängigkeitserklärung von niemandem anerkannt worden, eben weil man Angst hat, dass das übergreifen könnte auf Nachbarländer. Die Grenzen wurden ja künstlich gezogen. Auf der Berliner Kongo-Konferenz 1885 – das muss man sich mal vorstellen, so lange ist das her – wurden mit dem Lineal Striche quer durch Afrika gezogen, und Einflusssphären zugeteilt den europäischen Kolonialmächten, die heute dann Staatsgrenzen von insgesamt unstabilen Staaten sind. Und das liegt auch daran, dass die Region sehr arm ist, sehr unterentwickelt. Die Tuareg sind zum großen Teil noch immer Analphabeten, sie haben keine Schulen, keine Straßen, keine Infrastruktur. Die Regierung hat nichts für sie getan, und das ist jetzt die Quittung. Und nun wird aber dieser Staat nicht anerkannt werden, das ist ganz klar, und da ist die Frage, wie geht's weiter. Erschwerend kommt hinzu, dass die Tuareg sich verbündet haben mit einem Ableger von El Kaida, die sie vorher bekämpft haben in der Region. Denn Sie wissen ja, es gab immer wieder Entführungen von Touristen und anderen, Entwicklungshelfern und so weiter, in der Südsahara, und dieser Ableger von El Kaida, AKIM genannt, arbeitet nun zusammen mit der MNLA, so heißt die Befreiungsbewegung der Tuareg für den neuen Staat, der Azawad heißen soll. Und das ist ein Konfliktpotenzial, das ganz Westafrika destabilisieren kann. Und schon jetzt zeigt sich, dass die Staatengemeinschaft ratlos ist. Die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS wird vermutlich irgendwann Truppen schicken, wenn es nicht gelingt, auf dem Verhandlungsweg das Problem zu lösen, und vor allem, wenn es nicht gelingt, die Tuareg von ihren neuen Verbündeten zu trennen. Das sind diese islamischen Fundamentalisten und Terror…

    Zurheide: Und da haben wir ein Problem mit der Leitung gehabt. Wir haben Ihnen gerne zugehört. Hans-Christoph Buch war das über die schwierige Lage in Mali.. Ich bedanke mich, auch wenn Sie es jetzt nicht mehr hören, herzlich für diese Informationen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.