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Ein Lichtbildner wird neu besichtigt

Die Bilder des kanadischen Künstlers Jeff Wall erinnern auf den ersten Blick an jene riesigen Leuchtreklamen, die oft an den Seiten von Bushaltestellen hängen: Riesige transparente Fotografien, die von hinten erhellt werden. Mindestens so bemerkenswert wie ihre technische Gestalt ist ihr Inhalt. Jedes von Jeff Walls Bildern ist eigentlich ein streng durchkomponiertes Gemälde, das eine ganze Geschichte erzählt. Eine Ausstellung im Schaulager Basel gibt nun einen umfassenden Überblick über sein Gesamtwerk.

Von Anne Quirin |
    Mit Leuchtreklame haben die Bilder von Jeff Wall wirklich nur die äußere Form gemeinsam. Die oft plakatgroßen Dia-Positive sind auf Aluminiumkästen montiert und werden von hinten beleuchtet. Der oft herbeigeholte Vergleich hinkt allerdings, wenn man die Bildinhalte betrachtet. Statt eingängigen Botschaften erzählt Jeff Wall in seinen Werken komplexe Geschichten, die deutlich mehr Aufmerksamkeit fordern als Reklamebilder.

    "The Destroyed Room" ist so ein Bild, das gleich im ersten Raum der Ausstellung hängt. Es gibt den Blick in ein Zimmer frei das aussieht, als hätte dort soeben jemand eine Razzia durchgeführt. Eine aufgeschlitzte Matratze liegt quer in der Mitte, die Schubladen einer Kommode stehen offen und der Boden ist übersät mit Kleidungsstücken, Schuhen und Schmuck. Die Fragen an das Bild türmen sich ebenso auf wie das Chaos in dem Zimmer. Was wurde dort gesucht? Was ist wohl mit der Person geschehen, die das Zimmer bewohnt? Zusätzlich verwirrt die Unwirklichkeit des Szenarios. Die Gegenstände wirken trotz allem sorgfältig arrangiert und der Blick durch eine Türöffnung könnte ein Indiz dafür sein, dass es sich hier eher um eine Kulisse als um eine tatsächlich so vorgefundene Szene handelt.

    "The Destroyed Room" von 1978 ist Walls erstes Leuchtkastenbild und beinhaltet Wesentliches von dem, was seine Werke bis heute prägt: das Spiel mit Fiktion und Wirklichkeit, schwimmende Grenzen zwischen Fotografie, Malerei und Film sowie ein Bildinhalt, der umso mehr Fragen aufwirft, je länger man ihn betrachtet. Auch die jüngste in der Ausstellung gezeigte Fotografie, "A view from an apartment" ist so ein Werk, in dem Wall in einer einzigen banal anmutenden Szene komplexe Geschichten verbirgt. Dass sich seine Bilder daher nicht nur wegen ihrer oft enormen Größe schwer kombinieren lassen, liegt auf der Hand. Wall und die Leiterin des Schaulagers, Theodora Vischer, haben es trotzdem geschafft, den rund 70 Bildern genügend Raum zur Entfaltung zu geben.

    " Das Schaulager ist so groß, dass wir die Möglichkeit hatten, den Bildern mehr Raum zu geben als gewöhnlich. Ich hatte auch in anderen Museen, die ich mag, Ausstellungen. Aber die gefielen mir nicht, weil die Bilder zu eng nebeneinander hingen. Dann wird es unruhig, weil in jedem Bild viel passiert: verschiedene Farben, verschiedenen Formen, verschiedene Perspektiven. Dann stoßen die Bilder aufeinander wie streitende Katzen. Das ist hier nicht der Fall, weil wir den Platz hatten die Bilder so zu hängen, dass der Betrachter die größtmögliche Freiheit hat."

    Die Komplexität seiner Bilder liegt nicht allein in der dichten Erzählweise begründet. Wer sich auskennt und genau hinsieht, entdeckt besonders in den frühen Bildern Bezüge auf Motive und Darstellungsformen aus der älteren Kunstgeschichte. Das führt in der Kritik bisweilen dazu, Walls Bilder auf eine allzu kognitive Ebene zu stellen und aus ihnen Interpretationen herauszulesen, denen nur noch Fachleute folgen können. Das mag darin begründet liegen, dass Wall selbst Kunsthistoriker ist und seine Laufbahn als Konzeptkünstler begann. Aber mindestens so wichtig sind für ihn die Dinge, die es jenseits dieser fachlichen Ebene zu entdecken gibt.
    "Du weißt vorher nie, wer deine Arbeit mit einer besonderen Wertschätzung betrachtet. Sogar die Person selbst kann nicht vorhersagen, ob sie die Bilder mag bevor sie sie gesehen hat. Wenn du etwas magst, passiert das normalerweise spontan, du tust es einfach. Und wenn du die Bilder genießt, hast du etwas davon und jeder zeigt das auf seine Weise. Manche mögen sie einfach, andere vertiefen sich darin, andere schreiben sogar ein Buch darüber. Aber alle Reaktionen sind für mich gleichwertig. Mann muss nicht verstehen was ich mache oder bestimmte Kenntnisse darüber haben. Ich finde, man muss keine Art von Kunst verstehen. Man muss sie nur erfahren und dann sehen, wohin das führt."

    Die weitestgehend chronologisch gehängte Werkschau setzt keine Schwerpunkte, sondern bildet einen Querschnitt aus dem Schaffen des 58-Jährigen Künstlers. Sie vereint beinahe alle Bilder, die Jeff Wall-Kenner erwarten - von Picture for Women, über The Storyteller, Eviction Struggle und Morning Cleaning bis zu The Invisible Man - aber auch kleinere Unbekannte, einige der Schwarz-Weiß Bilder und bisher noch nie gezeigte Werke sind zu sehen. Was am Ende bleibt sind die Geschichten über die kleinen Dinge des Alltags, die Jeff Wall in großen Bildern erzählt.

    "Jeff Wall. Photographs 1978-2004". Bis zum 25. September im Schaulager in Basel