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Ein Maßband für Krach

Technik. - Nicht nur die Lautstärke, sondern auch das Klangbild von Geräuschen entscheidet darüber, ob wir sie als störend wahrnehmen. Weil also der Schalldruck alleine nicht genügt, suchen japanische Forscher derzeit nach neuen Maßstäben für Lärm.

    Lautstark ging es zwar nicht zu bei der Tagung der Japanischen Forschungsgemeinschaft, die am vergangenen Wochenende in Bonn ausgerichtet wurde, dennoch drehte es sich in einem Schwerpunkt um Lärm. Weil wir lautes Vogelgezwitscher als weitaus nicht so störend empfinden wie vielleicht einen vorbei dröhnenden Düsenjäger, obwohl sie möglicherweise ähnliche physikalische Schallpegel am menschlichen Trommelfell erreichen können, suchen Akustikspezialisten der Universität Osaka nach einem intelligenteren Maß für Krach. Im Vordergrund steht dabei zunächst Psychologie, erläutert die Lärmforscherin Sonoko Kuwano an einem Beispiel. Wenn etwa ein Europäer das Tokioter Einkaufsmekka Shibuya besucht, werden ihm vermutlich schnell die Ohren von den mit Megaphonen bewehrten Marktschreiern klingen. Japaner lasse das jedoch völlig kalt. "Nun, Sie sagen, es ist laut in Shibuya. Aber wir haben in einer Studie die Kulturen verglichen und festgestellt: Die Einschätzung von Lautstärke ist bei Deutschen und Japanern ganz unterschiedlich. Für Deutsche bedeutet "laut" so viel wie "lärmend". Aber für Japaner hat "laut" keine negative Bedeutung", erklärt Professorin Kuwano. Das aber bedeutet nicht, dass Japaner nicht auch eine Schmerzschwelle für akustischen Umweltmüll besitzen. Vielmehr bereite die zunehmende Lärmbelastung den Betroffenen immer größere Probleme.

    Als Maß dienen japanischen wie europäischen Wissenschaftlern vor allem Mittelwerte der aufgebauten Schalldrücke über bestimmte Zeiträume. Doch damit allein lasse sich das Empfinden von Lärm über längere Phasen nicht angemessen darstellen, unterstreicht die Japanerin: "Dazu kommt, dass besonders markante Geräusche einen größeren Einfluss auf die Gesamtbeurteilung des Lärms haben, während unauffälligere Geräusche einfach vergessen werden." Es nütze eben nichts, dass in einer Wohngegend insgesamt fast immer Ruhe herrsche, wenn dreimal pro Nacht der Shinkansen-Schnellzug am Fenster vorbei rausche. Zwar würden solche einzelne Spitzenbelastungen auch heute schon in Lärmschutzverordnungen berücksichtigt, doch an wissenschaftlichen Grundlagen dazu mangele es noch immer. Sonoko Kuwano und ihr Team entwickeln daher jetzt ein mathematisches Verfahren, mit dem die vollständige Lärmbelastung über längere Zeiträume objektiver bestimmt werden kann. Dabei entdeckten die Akustikexperten in ihren Labors, dass auch noch dezente Geräusche als sehr störend empfunden werden können, wenn sie markant aus der Klangkulisse hervortreten. "Solche Geräusche können aber überdeckt werden, etwa vom Geräusch einer Klimaanlage. Ich will die Geräusche finden, an die wir uns leicht gewöhnen, um mit ihnen dann unerwünschte, leise Störungen zu kaschieren", sagt Kuwano.

    Tiefe Stille ist offenbar durchaus nicht unbedingte Voraussetzung für Wohlbefinden. So fanden Wissenschaftler bereits vor Jahren heraus, dass sich Mitarbeiter in einem Großraumbüro wohler fühlen, wenn ein konstanter Klangteppich besteht. Denn bei geradezu klösterlicher Stille nahmen die Probanden auch schon leise Gespräche von Kollegen als störend wahr. Langfristig sei aus solchen Erfahrungen heraus eine grundlegende Neuorientierung im Lärmschutz die Konsequenz, erklärt Professor Jürgen Hellbrück von der Universität Eichstätt, der mit den japanischen Lärmforschern in diesem Projekt kooperiert. "Meine Vorstellung ist, von der reinen Lärmbekämpfung im Sinne einer Schallpegel-Reduktion weg und hin zu einer Gestaltung der akustischen Umwelt zu kommen. Bei einem solchen akustischen Design müssen wir also überlegen, wie Schalle gestaltet sein müssen, damit sie auf den Menschen keine nachteiligen, aber eventuell sogar fördernde Effekte hervorrufen."

    [Quelle: Sascha Ott]