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Ein Meister der Bravourmalerei

Übertrieben, üppig, künstlich, überhöht. Jacopo Robusti, Mitglied der italienischen Malerfamilie Tintoretto, beeinflusste mit seinen Sujets und Malweisen die europäische Kunstgeschichte bis weit in den Barock hinein. Eine Ausstellung in Rom beleuchtet die Geschäftspraktiken des Malers.

Von Thomas Migge |
    "Das Bild, das ihn wahrscheinlich am berühmtesten machte, er war noch nicht einmal 30 Jahre alt, ist "Das Wunder des Heiligen Markus" von 1548. Er erfand das Sujet eines Heiligen, der vom Himmel herabschwebt, um einen Sklaven zu retten, der gefoltert wird, weil er den Heiligen Markus anbetete."

    Für den Kunsthistoriker Giovanni Morello, Organisator der Tintoretto-Ausstellung, ist der 1518 in Venedig und 1594 dort gestorbene Jacopo Robusti ein malerisches Genie. Ein Erfinder neuer Sujets und Malweisen, die die europäische Kunstgeschichte bis weit in den Barock hinein beeinflussen sollte.

    Wie schon bei ihren Ausstellungen über Caravaggio und Lorenzo Lotto wollen die Kuratoren der römischen Scuderie del Quirinale auch bei Tintoretto, der übrigens so genannt wurde, weil sein Vater ein "tintore" war, ein Seidenfärber, die modernen, die über seine Zeit hinausgehenden Aspekte dieses Malers beleuchten. Anhand von rund 40 Gemälden, sakrale Motive und Selbstporträts, denen die Werke von Zeitgenossen gegenüber gestellt werden. Zeitgenossen wie zum Beispiel Tizian.

    "Als Junge wurde er in die Werkstatt Tizians geschickt, um das Malen zu erlernen. Doch der Schüler erwies sich schon bald als so geschickt, dass Tizian ihn wegschickte, soll er doch auf Tintoretto eifersüchtig gewesen sein. Tintoretto wurde so zum Selfmademen, der sich als Künstler selbst erschuf"."

    Und damit eine Malweise, die für ihre Zeit fast schon unerhört war. Der Kunstkritiker und Maler Vasari kritisierte zum Beispiel das seiner Meinung nach viel zu schnelle Malen Tintorettos – eine handwerkliche Eile, dank derer Dutzende von Venedigs Kirchen mindestens einen Tintoretto besitzen.

    Er wurde zum Meister der sogenannten Bravourmalerei, die sich in prunkhaften und massenhaften Kompositionen und komplizierten Perspektiven erging. Tintoretto überlud selbst seine religiösen Motive mit oft nicht zur Sache gehörenden, theatralisch gespreizten Figuren. Seine Sujets setzt er oft in glänzende Beleuchtungsgegensätze. Wenn er sich Zeit zu sorgfältiger Arbeit ließ, wirkt sein Kolorit tief und warm. Doch wenn er von Eile getrieben war improvisierte er schnell, um vor allem großflächige Leinwände zu füllen, erklärt der Kunsthistoriker Giovanni Villa. Er ist wissenschaftlicher Berater der Ausstellung:

    ""Das Neue Tintorettos, man kann es zeitlich in den 40er-Jahren des 16. Jahrhunderts ansiedeln, lag in seiner großen Fähigkeit reale Menschen darzustellen. Doch diese Menschen und das was ihnen widerfährt gibt er auf theatralische Weise wieder."

    Also übertrieben, üppig, künstlich, überhöht – und somit fast schon barock. Wie auf dem Gemälde "Auferweckung des Lazarus" von 1576 aus der Sankt Katharinen Kirche in Lübeck . Ein Über- und Nebeneinander von Personen, die zu schweben scheinen. Die Schwerkraft scheint aufgehoben, obwohl man bei genauem Hinschauen erkennt, dass die einzelnen Bildfiguren auf dem Boden stehen oder auf Sockeln liegen und sitzen. Auf diesem Bild wird auch eine weitere Erfindung Tintorettos deutlich: er verlegte die dominierende Lichtquelle seiner Sujets mitten ins Bild. Die einzelnen Szenen werden nicht mehr, wie bei anderen Malern seiner Zeit, von Außen beleuchtet. Das Licht ist Teil der Bildkomposition. Um diese Erfindung deutlich zu machen, wurden verschiedene der in der Ausstellung gezeigten Werke gereinigt, denn das mit den Jahrhunderten typische Nachdunkeln ließ diesen ursprünglichen Lichteffekt fast gänzlich verschwinden.

    Eine andere Neuheit, die Tintoretto in die Malerei einführte, so Giovanni Villa, betrifft seinen Bilduntergrund:

    "Tintoretto machte aus dem üblicherweise weißen Bilduntergrund einen dunklen. Darauf zeichnete er keine präzise Skizze des zukünftigen Gemäldes, sondern gab mit einigen schwungvollen Pinselstrichen nur ungefähr das Bildthema vor."

    Er brauchte sich also während des Malens nicht mehr lange mit dem Ausfüllen des ursprünglich weißen Bilduntergrunds abgeben – was eine enorme Zeitersparnis bedeutete. Nur so wird verständlich, warum Tintoretto, um nur eines von vielen Beispielen zu nennen, für zwei Gemälde, die in Venedig eine große Orgel zieren, nur 15 Tage Arbeit benötigte – und das für Bilder, die drei Mal vier Meter groß sind.