Mit Fidelio sind schon immer gern Theaterbauten eröffnet worden, so war es in Leipzig, Dresden, Berlin und Wien nach dem Kriege - nun gestern mit einer umjubelten Premiere in Stralsund. Intendant Anton Nekovar hat die Oper inszeniert, und in der wechselt nach 20 Minuten im ersten Akt das Bühnenbild abrupt: Aus einer heilen Biedermeierwelt mit warmen Farben und ländlicher Kulisse in eine gegenwärtige Welt mit kaltem Neonlicht, einem modernen Diktator und Gefangenen, die grell-orange Overalls tragen - Guantanamo ist die unwillkürliche Assoziation.
"Es ist bewusst so hart gegeneinander gesetzt. Diese Fröhlichkeit und Leichtigkeit am Beginn, das deutsche Singspiel, das sogenannte Happy-Gefängnis, und dann die Realität: Folter, Haft, Gefangennahme ohne Verurteilung und Willkür. Wir werden mit diesem Inszenierungsgedanken glaube ich diesem Werk gerecht, dass ja diese Dreiteilung innehat, das ja am Anfang leicht und fröhlich ist und gegen Ende dann wirklich substantiell wird. Und wenn wir diese Oper als Eröffnung bringen, müssen wir auch den Gedanken, der dieser Oper innewohnt, transportieren. Und wir versuchen es auf diesem Wege."
Am Freitag war auch Bundeskanzlerin Merkel zur Festveranstaltung erschienen, Kultur ist zwar Ländersache - Stralsund jedoch gehört zum Wahlkreis der Bundestagsabgeordneten Angela Merkel und die lobte nachdrücklich die Entscheidung der Stralsunder Bürgerschaft, 15 Millionen Euro aus dem Verkauf des städtischen Klinikums in die Sanierung des Theaters zu investieren.
Angela Merkel
"Es gibt in der Tat kaum ein Land, und deshalb können wir da wirklich stolz drauf sein, das so etwas hat wie Kulturföderalismus, das heißt so viele, hochrangige hochqualitative Spielstätten für Kunst, wie es Deutschland hat. Und dass die Hansestadt Stralsund sich entschlossen hat, dabei zu sein, auch im 21. Jahrhundert, das war eine großartige Entscheidung, weil wir ja auch viele andere Probleme haben in unserer Stadt und mit unserer Stadt. Und hoffentlich heißt es oft: Vorstellung ausverkauft, das ist mein Wunsch."
1916 hatte der Architekt Carl Moritz das Stralsunder Theater erbaut, Anlass war eine 1912 staatlicherseits festgestellte nicht mehr gegebene Brandsicherheit. Im Prinzip hat auch genau dieser Grund zur Schließung des Theaters vor zweieinhalb Jahren und zu seiner Sanierung geführt. Architekt Jörg Springer hält den Stralsunder Theaterbau für den bedeutendsten von Carl Moritz, der hatte auch das im Krieg schwer beschädigte und später abgerissene Opernhaus in Köln errichtet. In Stralsund seien die Ideen von Moritz am deutlichsten sichtbar.
Jörg Springer
"Für Moritz war der Zuschauerraum nicht einfach nur ein Raum, in dem man allein auf die Bühne starrt. Sein Verständnis des Theaters war nicht Theater als perfekte Illusion, sondern er hat gesagt, im Theater sei die Fantasie des Zuschauers zu lebhafter Mitbetätigung aufgefordert. Theater letztlich für ihn ist eine festliche Inszenierung, die Zuschauer und Bühnengeschehen einbindet."
Das Stralsunder Theater erstrahlt jetzt wieder im Gewand des späten Jugendstils, was auffindbar war, hat der Architekt wieder hergestellt, neueste Bühnentechnik ist eingebaut, lindgrün, gold und weiß sind die bestimmenden Farben, 452 Zuschauer finden Platz. Der Bau ist also gerettet. Allerdings bleiben die Probleme, den laufenden Betrieb zu finanzieren. Der Zuschuss des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Theaterfinanzierung ist seit 1994 gleich geblieben und soll es auch weiter bleiben, de facto heißt das aber, das diese Summe angesichts von Inflation, Preissteigerungen und Tariferhöhungen stetig kleiner wird. Intendant Nekovar ist derjenige, der diese Problematik in Mecklenburg-Vorpommern am deutlichsten anspricht, vielleicht auch, weil er Österreicher ist und seine Theatererfahrungen in Wien und Prag gesammelt hat. Und so scheute er sich auch nicht, in der Festveranstaltung dieses ernste Thema anzuschlagen.
Anton Nekovar
"Meine Damen und Herren, wollen wir doch nicht hoffen, dass etwas, was Jahrhunderte überdauert hat, jede politische Strömung, jede politische Herrschaft, dass das jetzt in den Zeiten des Wohlstands zugrunde geht. Denn wenn wir mit einer Spartenschließung oder mit einer Akutreduzierung anfangen, dann ist das das Ende des Ensembletheaters."
Anton Nekovar steht als Intendant nicht nur dem Theater in Stralsund vor - es gehört gemeinsam mit dem Haus in der benachbarten Universitätsstadt Greifswald zum Theater Vorpommern, einem Mehrspartentheater, das vor 14 Jahren aus einer Fusion hervorging. Nekovar weiß, dass er am Rande der Republik spielen lässt - ist aber in der Sache vollkommen unerschrocken und kann mit der Vokabel Provinz ganz offensiv agieren.
"Ich glaube, ich kann ohne Übertreibung sagen, dass es eines der schönsten Häuser in ganz Deutschland ist. Wissen Sie, Provinz ist nur ein topografischer Begriff, kein Qualitätsbegriff. Wir haben hier Sänger, die an anderen Häusern, an großen Häusern singen, wir haben wunderbare Künstler, es hat mit dem Ort nichts zu tun, ob eine Aufführung provinziell ist oder großstädtisch. Ich habe in Großstädten so viele provinzielle Inszenierungen gesehen und in vielen Provinztheatern wunderbares aufregendes Theater. Eigentlich ist "Provinz" nur die Hybris mancher Massenmedien, die alles, was in Berlin, Wien oder Hamburg ist, besprechen und hochloben, aber sich nicht die Mühe machen, in die Provinz zu fahren und zu sehen, welch großartiges Theater hier auch geleistet wird."
Nekovars internationale Kontakte nach Wien, Prag und Italien ermöglichen gerade im Musiktheater immer wieder Inszenierungen mit ausgesprochen guten Akteuren. Im "Fidelio" ist zum wiederholten Male der südafrikanische Tenor Michael Renier zu erleben, er gibt den Florestan, oder als Fidelio bzw. Leonore steht die armenische Sopranistin Anna Ryan auf der Bühne.
Stralsund hat sich auch deshalb das jetzt wohl neueste Theaterhaus in Deutschland geleistet, weil die Stadt die Aufnahme ihrer Backsteingotik in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes auch als weitergehende Verpflichtung begreift. Das Theater steht zwar nicht auf dieser Liste, ist aber schon als Architektur auch einen Besuch wert.
"Es ist bewusst so hart gegeneinander gesetzt. Diese Fröhlichkeit und Leichtigkeit am Beginn, das deutsche Singspiel, das sogenannte Happy-Gefängnis, und dann die Realität: Folter, Haft, Gefangennahme ohne Verurteilung und Willkür. Wir werden mit diesem Inszenierungsgedanken glaube ich diesem Werk gerecht, dass ja diese Dreiteilung innehat, das ja am Anfang leicht und fröhlich ist und gegen Ende dann wirklich substantiell wird. Und wenn wir diese Oper als Eröffnung bringen, müssen wir auch den Gedanken, der dieser Oper innewohnt, transportieren. Und wir versuchen es auf diesem Wege."
Am Freitag war auch Bundeskanzlerin Merkel zur Festveranstaltung erschienen, Kultur ist zwar Ländersache - Stralsund jedoch gehört zum Wahlkreis der Bundestagsabgeordneten Angela Merkel und die lobte nachdrücklich die Entscheidung der Stralsunder Bürgerschaft, 15 Millionen Euro aus dem Verkauf des städtischen Klinikums in die Sanierung des Theaters zu investieren.
Angela Merkel
"Es gibt in der Tat kaum ein Land, und deshalb können wir da wirklich stolz drauf sein, das so etwas hat wie Kulturföderalismus, das heißt so viele, hochrangige hochqualitative Spielstätten für Kunst, wie es Deutschland hat. Und dass die Hansestadt Stralsund sich entschlossen hat, dabei zu sein, auch im 21. Jahrhundert, das war eine großartige Entscheidung, weil wir ja auch viele andere Probleme haben in unserer Stadt und mit unserer Stadt. Und hoffentlich heißt es oft: Vorstellung ausverkauft, das ist mein Wunsch."
1916 hatte der Architekt Carl Moritz das Stralsunder Theater erbaut, Anlass war eine 1912 staatlicherseits festgestellte nicht mehr gegebene Brandsicherheit. Im Prinzip hat auch genau dieser Grund zur Schließung des Theaters vor zweieinhalb Jahren und zu seiner Sanierung geführt. Architekt Jörg Springer hält den Stralsunder Theaterbau für den bedeutendsten von Carl Moritz, der hatte auch das im Krieg schwer beschädigte und später abgerissene Opernhaus in Köln errichtet. In Stralsund seien die Ideen von Moritz am deutlichsten sichtbar.
Jörg Springer
"Für Moritz war der Zuschauerraum nicht einfach nur ein Raum, in dem man allein auf die Bühne starrt. Sein Verständnis des Theaters war nicht Theater als perfekte Illusion, sondern er hat gesagt, im Theater sei die Fantasie des Zuschauers zu lebhafter Mitbetätigung aufgefordert. Theater letztlich für ihn ist eine festliche Inszenierung, die Zuschauer und Bühnengeschehen einbindet."
Das Stralsunder Theater erstrahlt jetzt wieder im Gewand des späten Jugendstils, was auffindbar war, hat der Architekt wieder hergestellt, neueste Bühnentechnik ist eingebaut, lindgrün, gold und weiß sind die bestimmenden Farben, 452 Zuschauer finden Platz. Der Bau ist also gerettet. Allerdings bleiben die Probleme, den laufenden Betrieb zu finanzieren. Der Zuschuss des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Theaterfinanzierung ist seit 1994 gleich geblieben und soll es auch weiter bleiben, de facto heißt das aber, das diese Summe angesichts von Inflation, Preissteigerungen und Tariferhöhungen stetig kleiner wird. Intendant Nekovar ist derjenige, der diese Problematik in Mecklenburg-Vorpommern am deutlichsten anspricht, vielleicht auch, weil er Österreicher ist und seine Theatererfahrungen in Wien und Prag gesammelt hat. Und so scheute er sich auch nicht, in der Festveranstaltung dieses ernste Thema anzuschlagen.
Anton Nekovar
"Meine Damen und Herren, wollen wir doch nicht hoffen, dass etwas, was Jahrhunderte überdauert hat, jede politische Strömung, jede politische Herrschaft, dass das jetzt in den Zeiten des Wohlstands zugrunde geht. Denn wenn wir mit einer Spartenschließung oder mit einer Akutreduzierung anfangen, dann ist das das Ende des Ensembletheaters."
Anton Nekovar steht als Intendant nicht nur dem Theater in Stralsund vor - es gehört gemeinsam mit dem Haus in der benachbarten Universitätsstadt Greifswald zum Theater Vorpommern, einem Mehrspartentheater, das vor 14 Jahren aus einer Fusion hervorging. Nekovar weiß, dass er am Rande der Republik spielen lässt - ist aber in der Sache vollkommen unerschrocken und kann mit der Vokabel Provinz ganz offensiv agieren.
"Ich glaube, ich kann ohne Übertreibung sagen, dass es eines der schönsten Häuser in ganz Deutschland ist. Wissen Sie, Provinz ist nur ein topografischer Begriff, kein Qualitätsbegriff. Wir haben hier Sänger, die an anderen Häusern, an großen Häusern singen, wir haben wunderbare Künstler, es hat mit dem Ort nichts zu tun, ob eine Aufführung provinziell ist oder großstädtisch. Ich habe in Großstädten so viele provinzielle Inszenierungen gesehen und in vielen Provinztheatern wunderbares aufregendes Theater. Eigentlich ist "Provinz" nur die Hybris mancher Massenmedien, die alles, was in Berlin, Wien oder Hamburg ist, besprechen und hochloben, aber sich nicht die Mühe machen, in die Provinz zu fahren und zu sehen, welch großartiges Theater hier auch geleistet wird."
Nekovars internationale Kontakte nach Wien, Prag und Italien ermöglichen gerade im Musiktheater immer wieder Inszenierungen mit ausgesprochen guten Akteuren. Im "Fidelio" ist zum wiederholten Male der südafrikanische Tenor Michael Renier zu erleben, er gibt den Florestan, oder als Fidelio bzw. Leonore steht die armenische Sopranistin Anna Ryan auf der Bühne.
Stralsund hat sich auch deshalb das jetzt wohl neueste Theaterhaus in Deutschland geleistet, weil die Stadt die Aufnahme ihrer Backsteingotik in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes auch als weitergehende Verpflichtung begreift. Das Theater steht zwar nicht auf dieser Liste, ist aber schon als Architektur auch einen Besuch wert.