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Ein neuronaler Sensor für Kommunikation

Neurologie. - Seit einigen Jahren interessieren sich die Neurowissenschaftler vermehrt für die soziale Seite des Gehirns. Sie möchten nicht nur verstehen, wie das Gehirn auf sein Umwelt reagiert, sondern auch, wie es mit anderen menschlichen Gehirnen interagiert und kommuniziert und welche Spuren das hinterlassen haben könnte. Eine deutsch-italienische Forschergruppe hat nun Hinweise auf einen speziellen neuronalen Sensor für Kommunikation gefunden.

Von Martin Hubert | 25.01.2006
    Wie tief und in welcher Weise hat sich das Soziale ins menschliche Gehirn eingegraben? Um diese Frage zu beantworten, suchen Neurowissenschaftler nach Hirnregionen, mit deren Hilfe Menschen die Absichten, Überzeugungen und Wünsche anderer Menschen verstehen können. Dazu legen sie Versuchspersonen zum Beispiel in einen Kernspintomographen, der anzeigt, wo im Gehirn bei bestimmten Aufgaben die Hirnaktivität ansteigt. Die Probanden dürfen sich dann bunte Bildergeschichten ansehen, auf denen menschliche Absichten dargestellt werden. Bisherige Versuche zeigen, dass dabei unter anderem der so genannte mediale präfrontale Kortex aktiv ist, der innen gelegene Teil des menschlichen Vorderhirns. Eine deutsch-italienische Forschergruppe stellte nun aber bei der Analyse solcher Experimente Unklarheiten fest. Henrik Walter, Professor für Biologische Psychiatrie an der Universität Frankfurt:

    " Wir haben uns die Studien angeguckt, die es da gibt, und eine Form, das zu machen, ist mit kurzen Storys, die man da erzählt, eine andere Form ist, das in Cartoons oder Bildern darzustellen. Und da ist uns - uns heißt in diesem Fall eine Arbeitsgruppe an der Universität Turin um Professor Bara - aufgefallen, dass dort verschiedene Arten von Storys vermischt werden. Zum Beispiel gibt es manchmal Storys, wo nur eine Person handelt, die zum Beispiel eine Birne einschraubt, um ein Buch zu lesen, wo man diese Absicht erkennen muss, andererseits gibt es aber Storys, wo zwei Personen miteinander kommunizieren. Und aus der Kommunikations- und Sprachwissenschaft gibt es Unterscheidungen, wo man zwischen verschiedenen Arten von Absichten unterscheidet, nämlich zwischen Absichten, die einer nur für sich alleine hat, so genannte private Absichten, die sich dann in Handlungen manifestieren, und andererseits kommunikativen Absichten, das heißt, jemand hat die Absicht, Bedeutung zu übermitteln, und dazu gehört auch immer die Absicht, dass der andere das versteht."

    Weil bisher private und kommunikative Absichten in den Experimenten miteinander vermischt wurden, ist vielleicht eine bestimmte Form der Arbeitsteilung im inneren Bereich des Vorderhirns übersehen worden. Mit dieser These widmeten sich Henrik Walter und die Turiner Forscher einer ganz speziellen Region innerhalb dieses Bereichs. Denn Henrik Walter hatte bereits bei einer früheren bildgebenden Studie bemerkt, dass diese Region offenbar starke soziale Neigungen besitzt.

    " Das heißt diese Region ist umso mehr aktiv, je größer der Grad an sozialer Interaktion ist."

    Nun untersuchte die deutsch-italienische Forschergruppe bei 13 Versuchspersonen im Kernspintomographen, wie die Region auf unterschiedliche Comics reagiert. Einmal auf Comics, die einen rein physikalischen Vorgang zeigen: ein Ball rollt einen Abhang herunter und wirft eine Flasche um; zum anderen auf Comics, die eine private Absicht einer einzelnen Person zeigen: jemand macht Licht an, um zu lesen; und zum dritten auf Comics, die eine kommunikative Absicht zwischen zwei Personen abbilden: jemand deutet auf eine Flasche, damit der andere ihm Wein nachschenkt. Das Ergebnis: die untersuchte Region war ausschließlich bei kommunikativen Absichten zwischen zwei Personen signifikant aktiv. Das war aber noch nicht alles:

    " Dann fiel uns aber auf, dass bei den Cartoons mit den einzelne Personen man auch durchaus Situationen konstruieren kann, die zwar keine aktuelle Kommunikation zeigen, die aber auf eine Kommunikation hinauslaufen. Ein Beispiel wäre: jemand packt ein Geschenk ein und geht hinaus, um es jemand zu bringen oder jemand bereitet ein Zweier-Mahl zu, das ja auch auf eine kommunikative Situation hinausläuft . Und unsere Vorstellung war, wenn man solche Storys sieht und interpretiert und dann diese Kommunikation schon vorweggenommen wird, dass wir dann so eine mittlere Aktivierung in diesem Bereich finden sollten und genau das war auch der Fall."

    Der untersuchte Region im inneren Vorderhirn scheint also so etwas wie ein neuronaler Sensor für kommunikative Absichten bzw. für deren Vorbereitung zu sein. Die Evolution hat das soziale Wesen Mensch mit einem für soziale Kommunikation spezialisierten Hirnareal ausgestattet. Und den Neurowissenschaftler sind dabei, nach und nach die Form der Arbeitsteilung zu entschlüsseln, mit denen das Gehirn die soziale Welt repräsentiert.