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Ein Prophet blickt zurück

Nouriel Roubini sah bereits die Finanzkrise voraus. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos prognostizierte der Ökonom in der vergangenen Woche den Zerfall des Euros - sein neues Buch wirkt dagegen überraschend konventionell.

Von Eva Bahner |
    "Well you know my nickname is Dr. Doom."
    Dr. Doom, Doktor Untergang, diesen Spitznamen hat Nouriel Roubini seit der Finanzkrise. Zuvor wurde der New Yorker Professor auf den Wirtschaftsforen in Davos gerne als unterhaltsamer Unheilsprophet verspottet, nachdem er bereits im September 2006 vor den verheerenden Folgen der Immobilienkrise gewarnt hatte. Heute hängt die Welt an seinen Lippen, seine präzise Prognose hat ihn zum Star gemacht. Gemessen an diesen Erwartungen kann sein neues Buch, "Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft", das er zusammen mit dem Journalisten Stephen Mihm geschrieben hat, nur enttäuschen, denn es widmet sich in großen Teilen der Aufarbeitung der Vergangenheit, also den Ursachen der Krise, der Blick in die Zukunft fällt vergleichsweise sparsam aus. Erst im zehnten und letzten Kapitel beschreiben die beiden Autoren die Gefahrenzone, in der sich die Weltwirtschaft aktuell befindet, an einem nach ihrer Ansicht besonders heiklen Punkt in der Finanzgeschichte:

    In der Vergangenheit waren internationale Bankenkrisen wie die gerade erlebte häufig der Auftakt für eine Welle von Staatspleiten und Währungskrisen. Diesmal konzentriert sich dieses Problem auf die Industriestaaten. Die Gefahr wächst, dass diese Länder – nennen wir sie die "riskanten Reichen" – ihre Defizite nicht länger finanzieren können.

    Dabei streift der in Italien aufgewachsene Ökonom nur am Rande "Europas Tanz auf dem Vulkan", wie die Schuldenkrise Griechenlands und anderer Euroländer betitelt wird. Viel größere Sorgen macht sich Roubini um das enorme Leistungsbilanzdefizit und den ausufernden Schuldenhaushalt der USA, der größten Volkswirtschaft der Welt.

    Während die Vereinigten Staaten sich weiterhin immer mehr Geld im Ausland leihen, äußern ihre Gläubiger hinter vorgehaltener Hand schon das Unvorstellbare: dass die Vereinigten Staaten auf das bewährte Mittel zur Schuldentilgung zurückgreifen, die Druckerpresse anwerfen und die Welt mit abgewerteten Dollars überschwemmen könnten.
    Die daraus resultierende Inflation würde die Schuldtitel der ausländischen Gläubiger aushöhlen, befürchtet Roubini. Investoren vor allem aus Schwellenländern wie China, die das Leistungsbilanzdefizit der USA finanzieren, würden sich nach und nach von ihren Währungsreserven trennen. Ein unkontrollierter Absturz des Dollars würde die Zinsen rasant steigen lassen, die globalen Gleichgewichte empfindlich stören - mit fatalen Folgen:

    In gewisser Hinsicht hat der Dollar die Rolle übernommen, die früher das Gold hatte. Wenn er zusammenbräche, dann wäre das so, als hätten Regenten und Bankiers vergangener Zeiten ihre Gewölbe geöffnet und festgestellt, dass ihre kostbaren Münzbestände zu Staub zerfallen sind. Die Vereinigten Staaten stehen am Scheideweg. Wenn sie ihren Haushalt nicht in den Griff bekommen und die privaten Ersparnisse nicht steigen, wird ein Erdbeben immer wahrscheinlicher.
    Aber nicht nur durch Währungs- und Schuldenkrisen sehen Roubini und sein Co-Autor die Stabilität des globalen Finanzsystems bedroht, sondern auch durch die Verschleppung der dringend benötigten Reformen auf den Finanzmärkten:
    Während der Weltwirtschaftskrise waren Politiker zu Reformen bereit, mit denen sie die Grundlagen für fast 80 Jahre Stabilität und Sicherheit im Finanzsystem schufen. Wie immer blieb es nicht dabei. Doch 80 Jahre sind eine lange Zeit – ein ganzes Menschenleben. Wenn wir im Morast unserer eigenen Weltwirtschaftskrise über die Zukunft der Finanzwelt nachdenken, sollten wir uns ähnlich ehrgeizige Ziele setzen.
    Die Blaupause für eine neue Finanzmarktarchitektur, die Roubini in den Kapiteln 8 und 9 skizziert, fällt dabei allerdings überraschend konventionell aus, geht kaum über die bislang kursierenden Reformvorschläge hinaus, die in einigen europäischen Ländern sogar schon umgesetzt wurden. Darunter eine Korrektur der schädlichen Vergütungsstruktur für Investmentbanker, mehr Transparenz bei verbrieften Wertpapieren, größerer Wettbewerb für Ratingagenturen und nicht zuletzt höhere Eigenkapitalvorschriften. Auch die radikaleren Schnitte, die das Autorenpaar skizziert, unter anderem die Zerschlagung systemrelevanter Finanzkonzerne oder etwa die strikte Trennung von Kunden- und Investmentbanking wirken altbekannt, liefern kaum neue Denkanstöße und wirken zuweilen sogar etwas unausgegoren. Umso interessanter hingegen die Erkenntnis, dass der "Krisenökonomie" – so auch der englische Originaltitel des Buches - in Zukunft eine größere Bedeutung zukommen wird:
    Die jüngste Krise hat deutlich gemacht, dass uns wohl eher ein Zeitalter der großen Instabilität bevorsteht als ein langer Aufschwung. Spekulationsblasen und Einbrüche können sich mehren, und Krisen, die nach früherer Überzeugung nur ein oder zweimal im Jahrhundert auftreten, könnten die Weltwirtschaft deutlich öfter beuteln.
    Nach Ansicht der Autoren sind Krisen also keineswegs die Ausnahme, sondern die Regel. Deshalb gehört das Zweite Kapitel zu den stärksten. Es listet die unterschiedlichen Strömungen in den Wirtschaftswissenschaften auf, die sich mit dem Versagen des Kapitalismus beschäftigen, angefangen bei den Vordenkern Marx und Schumpeter bis hin zu Keynes und Minsky. Die beiden Autoren leiten daraus einen pragmatischen Ansatz für den zukünftigen Umgang mit Krisen ab: "die kontrolliert kreative Zerstörung", die auf kurze Sicht dem Keynesianischem Drehbuch folgt, um Kollateralschäden zu vermeiden, die langfristig aber durchaus zum Konkurs insolventer Banken, Unternehmen und Haushalte führen sollte, für einen gelungenen Neuanfang.

    "Sie nennen mich Dr. Doom aber ich sehe nicht alles schwarz. Manchmal ist eine Krise eine Chance, Dinge zum Besseren zu wenden. Wir können es vermasseln, aber ich bin hoffnungsvoll, dass wir die richtigen Schritte tun und die richtige Politik machen."
    Roubini gibt sich auch in seinem Buch nicht nur als Schwarzseher, sondern vielmehr als überzeugter Pragmatiker, der die Lehren von Keynes mit den Erfahrungen aus der Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre verbindet. Insgesamt ist seine Gelassenheit im Umgang mit Krisen wohltuend – nicht zuletzt tragen dazu die häufigen Ausflüge in die Finanzgeschichte bei, die die These untermauern, dass Krisen häufig einem ähnlichen Muster folgen und meist vorhersehbar sind. "Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft" besticht durch eine messerscharfe, detaillierte Analyse der Ereignisse, die zur größten Rezession seit Jahrzehnten geführt haben.

    Allerdings gefällt sich Roubini zu sehr in der Rolle des einsamen Mahners, und so muss der Leser viel Energie in die Aufarbeitung der Vergangenheit stecken, bevor er sich der Zukunft der Weltwirtschaft zuwenden darf. Differenzierte Zukunftsszenarien unter Hinzuziehung verschiedener Annahmen sind Mangelware, der Blick in die Glaskugel wirkt zu flüchtig für einen Wissenschaftler, der den Ruf eines Propheten genießt. Und dennoch ist Roubinis Werk ein Gewinn. Nach der Tradition amerikanischer Professoren ist die Sprache klar und verständlich, Fachbegriffe bleiben niemals unerklärt, und dramaturgisch klug wird dem Leser am Ende jedes Kapitels Appetit auf das nächste gemacht. Wer sich mit etwas Abstand intensiv mit der Finanzkrise auseinandersetzen, sie verstehen will und auch Spaß hat an einer historischen und akademischen Aufarbeitung, der wird begeistert sein.

    Eva Bahner über Nouriel Roubini und Stephen Mihm: Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft. Aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Neubauer und veröffentlicht bei Campus. Das Buch umfasst 470 Seiten und kostet 24 Euro und 90 Cent (ISBN: 978-3-593-39102-1).