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Ein Sehtest für Mäuse

Tierversuche lassen sich in der Medizin nicht immer vermeiden. So werden Wirkstoffe an blinden Mäusen getestet, um zu untersuchen, ob sie den Tieren ihre Sehfähigkeit zurückgeben. Nur kann man eine Maus schlecht fragen, wie gut sie sieht. Tübinger Forscher haben deshalb einen Sehtest für Mäuse entwickelt, der einen uralten Reflex nutzt.

Von Monika Seynsche |
    Marion Mutter geht in einem fensterlosen Raum auf einen schwarzen Kasten zu. Auf ihrer Handfläche hockt eine kleine Maus. Die Masterstudentin öffnet die linke Seite des Kastens und setzt das Tier auf eine runde Plattform im Inneren.

    "Und alles, was ich dann mache ist, hier diese Tür zu, dass die Maus von allen Seiten von dem Muster umgeben ist. Das mach ich jetzt einfach mal."

    Der Kasten mit der Maus darin steht im Zentrum für Integrative Neurowissenschaften der Universität Tübingen.

    "Und dann ist die ganze Kammer zu und ich kann die Maus aber weiter über die Kamera beobachten. Also ich sehe jetzt: Ist die Maus total nervös oder ist sie einigermaßen ruhig und verhält sich normal? Und wenn ich sehe, okay, die Maus ist jetzt soweit, dass sie einigermaßen ruhig sitzt und auch die Aufmerksamkeit ein bisschen auf ihre Umgebung lenkt, dann kann ich ganz einfach hier nur noch auf Start drücken."

    Der Kasten besteht aus vier Computermonitoren, die zu einer rechteckigen Kammer zusammengestellt sind. Die Monitore zeigen der Maus ein Muster aus schwarz-weißen Streifen, das jetzt langsam um sie herum rotiert. Das Tier folgt den Bewegungen mit seinem Kopf. Es nutze dafür den Augenfolge- oder Optokinetischen Reflex, erzählt der Studienleiter, Thomas Münch.

    "Man kennt das daher, wenn man aus dem fahrenden Auto schaut oder aus dem fahrenden Zug schaut und die Landschaft vorbeizieht, bewegt sich das Auge immer ruckartig mit der Landschaft mit und zurück und periodisch immer so weiter. Dieser Reflex ist auch bei vielen Tieren, bei den meisten Tieren ausgeprägt. Und das kann man beobachten, wenn sich ein Sehreiz an einem Tier vorbei bewegt. Darauf beruht auch unser Versuch."

    Thomas Münch und seine Kollegen wollen mit dem Test herausfinden, wie gut ihre Versuchsmäuse sehen können. Sie alle leiden an Augenerkrankungen bis hin zur Blindheit und werden mit verschiedenen Wirkstoffen und Methoden behandelt. Wie erfolgreich diese Therapien sind, zeigt der schwarze Kasten. Der kann der Maus nicht nur ein und dasselbe schwarz-weiße Streifenmuster zeigen.

    "Zum Beispiel Streifenbreite lässt sich verändern, um das Auflösungsvermögen zu testen. Schmalere Streifen sind natürlich schwerer zu erkennen als breitere Streifen. Es lässt sich der Kontrast ändern. Das heißt, man zeigt entweder ein schwarz-weißes Streifenmuster oder man macht es komplizierter oder schwieriger, indem man ein hellgrau-dunkelgraues Muster zeigt, dass nicht so leicht zu erkennen ist. Man kann Streifen unterschiedlicher Farbe benutzen. Man kann sehen, ob die zwei Farben voneinander unterscheidbar sind. Immer dann, wenn es nicht voneinander unterscheidbar ist, dann bleibt der Reflex aus, und wenn es erkannt werden kann oder die Farbe oder der Kontrast unterschieden werden können, dann zeigt das Tier den Reflex."

    Dieser Optokinetische Reflex wird schon länger genutzt, um das Sehvermögen von Tieren zu testen. Die Wissenschaftler der Universität Tübingen haben jetzt aber eine Software entwickelt, die das Verhalten der Tiere automatisch auswertet. Bislang mussten die Forscher selbst beobachten, ob die Maus dem Muster folgt.

    "Und als wir die Software dann zum ersten Mal angewendet haben, hat sich auch gezeigt, dass die manuelle Auswertung, die man normalerweise macht, gar nicht so ohne ist, weil dieses Streifenmuster, das die Maus sieht, das sieht natürlich auch der Forscher, der den Versuch macht, und wird dadurch auch oft abgelenkt, beziehungsweise er denkt, die Maus folgt dem Streifenmuster, denkt das aber nur, weil er selber das Streifenmuster sieht. Und das ist gar nicht so einfach, objektiv das Ganze selber zu analysieren, und unsere Software macht das ganz hervorragend, und vor allem macht sie es auch viel schneller."

    Dadurch kommen die Forscher schneller an ihre Ergebnisse, und die Maus kann den schwarzen Kasten schneller wieder verlassen.