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"Ein so gut wie plotloser Roman"

Mit den Worten, das sei "der Ground Zero dessen, was man zwischen zwei Buchdeckeln begegnen kann", zerreißt Literaturkritiker Denis Scheck den neuen Roman von Charlotte Roche in der Luft. Wenn man das "PR-Gedöns" wegnehme und den Text allein lese, "dann sieht es ziemlich mau aus".

Denis Scheck im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: Sie ist jung, frech und originell, und sie hat einen beeindruckenden Weg gemacht von der Viva-Zwei-Moderatorin zur Kultautorin der "Feuchtgebiete". Charlotte Roche wurde das deutsche Fräuleinwunder des 21. Jahrhunderts, weit jenseits vom feministischen Pragmatismus der neuen Alphamädchen. Im vergangenen Jahr machte sie auch politisch von sich reden – als engagierte Atomkraftgegnerin und weil sie Bundespräsident Christian Wulff Sex anbot, falls der die längeren AKW-Laufzeiten ablehne. Jetzt erscheint ihr zweiter Roman "Schoßgebete", dazu gleich mehr. Charlotte Roches erster Roman "Feuchtgebiete" hat eine Gesamtauflage von inzwischen 1,8 Millionen Büchern. Der damals 2008 wirklich überraschende Erfolg basierte auf einem kalkulierten Tabubruch. Noch nie hatte in Deutschland eine junge Frau so offen über Selbstbefriedigung mit einem Duschkopf und andere eher unappetitliche Details ihres Körpers geschrieben – das aber ziemlich humorvoll. Noch nie waren in einer Autorinnenlesung so viele glucksende Mädchen mit ihren glucksenden Müttern gesichtet worden. Am Ende erfuhr man dann noch, dass die Protagonistin schrecklich unter der Scheidung ihrer Eltern litt, was den "Feuchtgebieten" ein kleines bisschen Tiefgang verlieh. Morgen erscheint nun das neue Buch von Charlotte Roche, "Schoßgebete". Mein Kollege Denis Scheck, Literaturredakteur beim Deutschlandfunk, hat es schon gelesen – Herr Scheck, wie lautet Ihr Urteil?

    Denis Scheck: Ja, Frau Fischer, um vielleicht schon mal die Katze aus dem Sack zu lassen: Verglichen mit dem, was Charlotte Roche der Literatur zufügt, hatten die Börsen heute einen richtig guten Tag. Das ist schon der Ground Zero dessen, was man so zwischen zwei Buchdeckeln wohl begegnen kann. Es geht um, tja, das Leben von Elizabeth Kiehl. Elizabeth Kiehl ist Fotografin, verheiratet mit einem älteren Galeristen, ihrem Galeristen Georg, aber es ist schon sehr bemerkenswert, dass diese Erwerbssphäre, die Arbeitswelt in diesem Buch im Grunde vollkommen fehlt. Das sind Pappschilder, die an diesen Figuren dran sind. Der Roman beginnt so mit einer 15-seitigen Sexszene und steigert sich dann langsam. Es ist dieser kalkulierte Tabubruch, der auch hier wieder im Vordergrund steht, also diese Attitüde des "noch nie wurde so offen von einer Frau über Sexualität gesprochen". Ich fürchte aber, dass in Wahrheit die Bücher von Charlotte Roche von einem 84-jährigen Insassen eines Altenheims geschrieben werden und sie vielleicht nur die Verkaufsfigur ist, wenn man dieses Denkmodell hat. Also wenn man diese mädchenhafte Frische im Auftreten der Autorin, dieses PR-Gedöns wegnimmt und den Text allein liest, dann sieht es ziemlich mau aus.

    Fischer: Sex, Vegetarismus, Therapiesitzungen, Kindererziehung, Monogamie, jede Menge lebensnahe Themen werden hier verhandelt, aber wie werden sie das?

    Scheck: Wie gesagt, die Arbeitswelt existiert so gut wie gar nicht. Es gibt dafür die Beziehungswelt, in der Sex eine große Rolle spielt, es gibt die Beziehung zum Kind, und wir haben eine traumatisierte Hauptfigur. Diese Elizabeth wollte vor acht Jahren heiraten, auf dem Weg zu ihrer Hochzeit in England kamen drei ihrer Brüder ums Leben, ihre Mutter überlebte schwer verletzt. Das ist eine Parallelführung mit der Biografie von Charlotte Roche, die ein ähnliches Schicksal hatte. Das ist sozusagen der heiße Magmakern. Ich wiederum hatte Anlass, vor Kurzem ein Buch wieder zu lesen, das eine ganz ähnliche Ausgangssituation beschreibt, "Portnoys Beschwerden" von Philip Roth, und wenn man das nebeneinanderhält, dann ist das natürlich wirklich, wie wenn man ein Soufflé im Backofen hat und die Klappe aufmacht zum ungünstigen Zeitpunkt – da merkt man dann eben doch die Fallhöhe. Hier ist das Merkwürdige, dass das ein so gut wie plotloser Roman ist, das tritt unglaublich auf der Stelle, und die Autorin merkt das selber und versucht dann immer wieder neue essayistische Themen einzuführen. Da wird gepredigt, ständig wird in diesem Roman gepredigt. Das ist der Vegetarismus zum Beispiel, das ist aber auch sehr interessanterweise ein radikaler Atheismus und ein areligiöser antiklerikaler Zug in diesem Buch, aber da merkt man dann auch das Kalkulierte der Tabuverletzungen von Charlotte Roche. Wenn sie da zum Beispiel schreibt, "Christen halten die seelische Obdachlosigkeit nicht aus, wie ich sie mein Leben lang in vollem Bewusstsein aushalte. Es gibt niemals ein Leben nach dem Tod.", dann ist das eben kein Zufall, dass Charlotte Roche ausschließlich hier immer von Christen und niemals von Juden oder Moslems schreibt, weil ihre Provokation, wenn sie Juden und Moslems da einschlösse, natürlich ein ganz anderes Gewicht bekäme, sie aber nur den Gratismut hat, auf diesen toten Dinosaurier Christentum einzuschlagen und nicht etwa an die Stellen zu gehen, wo tatsächlich noch Tabus eventuell wären. Mit anderen Worten: Das ist keine Tabubrecherin, Charlotte Roche, sondern bestenfalls ein Girlie, das gegen Konventionen verstößt in der Literatur. Aber literarisch ist es wahnsinnig langweilig.

    Fischer: Was ich im Vergleich zum ersten Buch ja offenbar nicht verändert hat, ist eine gewisse manische Haltung zum Leben, bei gleichzeitig lakonischer, um nicht zu sagen umgangssprachlicher Sprechweise. "Ich schreibe, wie ich spreche", hat sie selber auch zu Protokoll gegeben, jetzt die große Frage: Ist das Literatur?

    Scheck: Ach Gott, wissen Sie, ich habe kein Problem, dieses Buch auch der Literatur zuzurechnen, es ist eben nur schlechte Literatur. Wenn Sie zum Beispiel Interviewäußerungen von Charlotte Roche vergleichen mit ihrem Sprechton von der Elizabeth – das ist ja kein Zufall, Ich-Perspektive – in diesem Roman, sehen Sie so gut wie keinen Unterschied. Und diese forcierte krawallige Kindersprache, in dem dieser Roman geschrieben ist, wo dauernd von Poloch und solchen Dingen die Rede ist, die geht auf 283 Seiten einem dann schwer auf den Keks und man sehnt sich regelrecht danach, vielleicht mal wieder einen Gottfried Benn zu lesen oder mal einen Hugo von Hofmannsthal in die Arme zu schließen, ja selbst die Welt einer Georgette Heyer wäre im Vergleich zu Charlotte Roche absolute Hochliteratur.

    Fischer: Und das ist, das war Unterhaltungsliteratur der 20er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Vielen Dank, Denis Scheck, für diese Einschätzungen über Charlotte Roches neuen Roman "Schoßgebete".

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.