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Ein Tag Europa in Moskau

Mit der traditionellen Militärparade auf dem Roten Platz zeigte Russland vor zehn Tagen der EU und den USA die kalte Schulter. Am gleichen Tag, dem 9. Mai, feierte man in Europa die Geburtsstunde der europäischen Staatengemeinschaft. In Moskau wurde dieser Tag nun am Wochenende nachgefeiert - mit einem Europa-Festival auf Initiative der EU-Kommission. Mareike Aden berichtet.

    "Herzlich willkommen zum Europatag."

    Der junge Mann mit dem Megafon in der Hand steht am Tor des Moskauer Gorki-Parks. Die Scorpions machten den Park weltweit bekannt: Sie spürten dort den "Wind of change", den Wind des Wechsels. Heute weht im Gorki-Park eine europäische Brise: Eine Europa-Reise ohne Pass und Visum versprechen das Moskauer Studentenzentrum und die Delegation der EU-Kommission in Russland. Bevor es losgeht, können sich Besucher am Eingang eine Flagge auf die Wange malen lassen.

    "England, Russland und Deutschland - diese Flaggen wollen die Leute am liebsten","

    erzählt Studentin Christina, während sie die Wange der 20 Jahre alten Swetlana bemalt.

    ""Ich habe die Flagge von Großbritannien gewählt, denn ich lerne Englisch, und die Sprache und die Kultur sind mir sehr nahe. Ich war zwar bisher noch nicht im Westen, aber ich habe große Lust, dorthin zu reisen oder dort zu studieren. Heute will ich mehr darüber herausfinden."

    Mit der Flagge auf der Wange verschwindet Swetlana in der Menge, um sich in den Länderpavillions zu informieren: über Studienmöglichkeiten, Reiseziele, Geschichte und Kultur. Am deutschen Stand ist es besonders voll. Vor allem junge Menschen drängeln sich um einen Tisch mit Informationsmaterial. Eine von ihnen ist Zeitungsredakteurin Marina. Sie interessiert sich besonders für Politik und Wirtschaft in Deutschland, aber ärgert sich über dort herrschende Vorurteile.

    "Europa hat Angst vor uns, seit wir nicht mehr so schwach sind wie früher. Aber vor uns braucht niemand Angst zu haben, wir sind keine Bären: Wir sind ein kultiviertes und zivilisiertes Land. Schon Zar Peter der Große wollte Russland mit dem Westen verbinden. Wir haben viele Gemeinsamkeiten: auf die sollten wir uns besinnen."

    Ein Dudelsackspieler lockt die Menschen zum Stand von Großbritannien. Fließend Englisch zu sprechen, darin sehen junge Russen den Schlüssel zum Erfolg. Den Mitarbeitern vom British Council, dem britischen Kulturinstitut, das seine Filiale in Sankt Petersburg auf Druck der russischen Regierung Anfang des Jahres schließen musste, werden die Broschüren sprichwörtlich aus den Händen gerissen. Arthur Zawiolow, der Präsident des Moskauer Studentenzentrums, ist hoffnungsvoll, was die Zukunft betrifft - auch wenn es in den offiziellen Beziehungen zwischen Russland und einigen EU-Ländern immer wieder mal Probleme und Spannungen gibt.

    "Es wäre natürlich schön, wenn es auch auf der oberen Ebene so leicht und fröhlich zugehen würde, wie heute auf diesem Fest. Aber meine Hoffnung ist, dass es mit jedem Jahr auch zwischen den Regierungen besser wird. Es ist unsere Aufgabe, auf Bevölkerungsebene eventuelle Störungen auszugleichen. Aber wir kriegen das schon hin."

    Der graue Politik-Alltag spielt auf dem Europafest im Gorki-Park wahrlich keine Rolle. Streitereien über russische Kriegsdenkmäler in Estland oder die Einfuhrblockade von Rindfleisch aus Polen sind weit weg. Heute zählt es, beim Volkstanz im Takt zu bleiben. Jede Stunde wechselt das Land, aus dem Tänze erklärt werden. Gerade sind Volkstänze aus Deutschland an der Reihe. Ein junger Russe in Trachtenuniform erklärt die Schrittfolge.

    Auf der in Russland-Farben geschmückten Bühne versammeln sich derweil in Moskau lebende EU-Vertreter zu ein paar Grußworten. Es wird eng, denn jede Einrichtung hat mindestens eine Person geschickt, um zu zeigen: Russland gehört zu Europa. Das ist auch die Botschaft von Marc Franco, dem Vorsitzenden der Delegation der EU-Kommission in Russland.

    "Von meinen Kollegen aus den EU-Konsulaten weiß ich, dass die Nachfrage nach Visa für Touristen und Studenten Jahr für Jahr steigt. Im Konsulat von Frankreich sind im vergangenen Jahr zum Beispiel 50 Prozent mehr Bewerbungen eingegangen als im Vorjahr."

    Im Zelt der Fremdsprachen, wo alle 20 Minuten ein neuer Schnupperkurs beginnt, verschwindet der Unterschied zwischen EU, Europa und Russland – jedenfalls, wenn man hört, was die Deutschlehrerin ihren Zuhörern beibringt:

    "Wir leben in Moskau, wir leben in Russland und wir leben in Europa."

    Die Harmonie ist perfekt:

    "Wir können das alle gemeinsam sagen: Alles Gute zum Geburtstag, Europa! Und noch einmal: Alles Gute zum Geburtstag, Europa!"