Dienstag, 07. Mai 2024

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Ein traumatisiertes Volk

Monrovia ist die wohl dunkelste Hauptstadt der Welt. Nach Einbruch der Dunkelheit glimmt es in vielen Stadtteilen nur hie und da ein bisschen: ab und zu fährt ein Auto die Schlaglochpisten entlang, die mal Straßen waren, manchmal sieht man eine Kerze oder die Funzel einer Öllampe. An anderen Ecken glimmt Holzkohle, auf der Fleischspieße gegrillt werden.

Von Rüdiger Maack | 15.11.2003
    Auch Monate nach Kriegsende gibt es keinen Strom, aber die Europäische Union, so heißt es, arbeitet daran. Eine große Aufgabe, schließlich hat die Stadt seit 9 Jahren keinen öffentlichen Strom mehr, Leitungen hängen kreuz und quer über Straßen und Häusern und zum Teil so niedrig, dass auf Lastwagen oft Jungen mit Stangen mitfahren, die die Leitungen von der Ladefläche aus hochhalten, damit sie sich nicht darin der Leitung verheddern.

    Doch Monrovia ist heller geworden in den letzten Wochen. Denn die Stadt wurde besetzt – diesmal nicht von Kriegern, sondern von einer Dampfwalze, die alles überrollt und sich internationale Organisationen nennt. Die Vereinten Nationen und ihre zahlreichen Unterorganisationen, und so ziemlich jede Hilfsorganisation des Westens sind hier vertreten, von UNICEF bis zu Human Rights Watch und dem norwegischen Flüchtlingsrat.
    Sie verursachen nicht nur die ersten Verkehrsstaus, die die Stadt seit Jahren sieht, sondern erhöhen auch die Zahl der beleuchteten Häuser. Dieselgeneratoren, manche mit dem Lärmpegel eines Preßlufthammers, schaffen Inseln der Helligkeit im Dunkel, in dem Monrovia sonst liegt. An den meisten der Häuser sind Außenlaternen, unter denen sich Monrovier nachts versammeln und lesen oder plaudern.

    Tagsüber zeigt sich Leben in der Ruinenstadt. Auf den Bürgersteigen schieben sich Menschen an Straßenhändlern vorbei, die Konserven, Kosmetik, Handys und Obst verkaufen – fast alles über Sierra Leone ins Land geschmuggelt.

    An einigen Häusern wird gebaut, riesige Schlaglöcher im Straßenbelag werden notdürftig repariert. 14 Jahre Krieg haben aus Monrovia eine gezeichnete Stadt gemacht. Kaum ein Gebäude unbeschädigt. Ruinen schwarz verfärbt, an einigen wuchern Moose und Farne über die Gesteinsblöcke, unter denen in notdürftig instand gesetzten Erdgeschossen Menschen leben und ihre Geschäfte betreiben. Auch 3 Monate nach dem Ende der drei Weltkriege meint man, Brandgeruch noch in der Nase zu haben.
    Drei Weltkriege – das waren die letztendlich erfolglosen Versuche der LURD-Rebellen, die Hauptstadt Monrovia zwischen Juni und August diesen Jahres einzunehmen. LURD, das steht für Vereinigte Liberianer für Versöhnung und Demokratie.

    Drei Weltkriege – so nennen die Liberianer die Apokalypse, die das Land endgültig an den Nullpunkt geführt hat. In drei Wellen hatten die Rebellen wochenlang versucht, über den Hafen der Stadt nach Monrovia hineinzukommen. Im zweiten Weltkrieg, das war die Woche vom 15. bis 22. Juni, hatten sie es erstmals in ihrem 4-jährigen Kampf gegen Charles Taylor geschafft, in die Stadt einzudringen.

    Auf einem Hügel der mehr oder weniger zerstörten Hauptstadt Liberias liegt die Executive Mansion, das Präsidialmt, ein repräsentativer Stahl und Glasklotz in einem Park. Hier ist der Amtssitz von Gyude Bryant, Vorsitzender der Übergangsregierung Liberias.

    Bryant sieht müde aus. Der Vorsitzende war Geschäftsmann und Chef einer kleineren Partei Liberias, bevor er sich auf das Wagnis eingelassen hat, die Übergangsregierung zu leiten. Die Übergangsregierung besteht zu gleichen Teilen aus Parteigängern des Ex-Präsidenten Charles Taylor und der beiden Rebellen Gruppen LURD und MODEL – und Bryant soll moderieren, weshalb er sich nicht Präsident, sondern "nur" Vorsitzender nennt. Schon wenige Tage nach seinem Amtsantritt gibt es Ärger: die Rebellen von LURD werfen ihm vor, eigene Kandidaten bei den Nominierungen für die neue Regierung zu bevorzugen, was ihm nicht zustehe.

    Wir sind unter dem Nullpunkt. Wir suchen jetzt Hilfe, um wieder eine Regierung aufzubauen. Es gibt keine Schreibtische, keine Fenster, keine Türen, keine Ministerien, keine Autos, kein Geld, um Gehälter zu bezahlen, wir sind damit beschäftigt uns das alles zu besorgen, damit die Regierung funktionieren kann.

    Die Aufgaben, die Bryant bewältigen soll, sind riesig: alle Kriegsparteien entwaffnen. Die Infrastruktur wieder herstellen. Die Repatriierung der hunderttausende Menschen organisieren, die ihre Heimatorte verlassen mussten. Und Wahlen organisieren.

    Die Liberianer wollen das alles. Sie sind den Krieg leid, sie wollen Frieden, sie haben das auf viele Arten gezeigt. Wir haben die Verpflichtung, die die Führer der Kriegsparteien eingegangen sind und der Leute, die in die Regierung nominiert werden. Alle sind müde, alle wollen Frieden.

    Die drei Weltkriege, das war das absolute Ende.
    Was bis jetzt noch nicht kaputt ist, wurde bei Raketenangriffen zerstört. Oder geplündert. Alles wurde geplündert – von allen, mehr oder weniger. Zum Beispiel das Informationsministerium. Eigentlich steht nur noch ein Rohbau. Die meisten Fensterscheiben sind weg. Stühle, Tische, Regale, Akten, Ordner – Fehlanzeige, von Stiften, Computern oder Kopierern ganz zu schweigen. Das Gebäude ist schlicht leer. Selbst die Lichtschalter und die Toilettenschüsseln haben die Plünderer mitgehen lassen.

    Die Plünderer, das waren zunächst die Angestellten und Beamten, die seit Jahren nicht bezahlt worden waren. Den Rest haben die Taylor-Boys mitgehen lassen, wie die Treuen des Ex-Präsidenten genannt werden – kurz bevor Taylor und einige mit ihm ins Exil gingen. Jetzt ist Gyude Bryant Hausherr in Executive Mansion. Der wahre Herrscher Liberias aber ist Jacques Klein – Chef der Vereinten Nationen in Liberia, der schon auf dem Balkan Erfahrungen mit heiklen Situationen gemacht hat. Doch nirgendwo hat er es bisher mit einem Land wie Liberia zu tun gehabt.

    Jedes Ministerium wurde geplündert, aber was noch schlimmer ist, die Archive und Kataster sind weg. Wir haben hier im Prinzip überhaupt nichts. Taylor hat diesen Staat zerstört. Die Tragödie ist, und daran hat die Weltgemeinschaft schuld, daß 14 Jahre lang, niemand eingegriffen hat, während dieser Mann sein eigenes Land terrorisiert und zerstört hat. Erst als Sierra Leone, die Elfenbeinküste und alle anderen Länder der Region unstabil wurden, hat das jemand ernst genommen.

    Charles Taylor, bauernschlau und sich schon mal mit Jesus vergleichend, kam 1989 über Liberia. Er war vom damaligen Präsidenten Samuel Doe kaltgestellt worden, weil er die Korruption als Regierungsbeamter übertrieben hatte. Taylor trainierte mit einigen Getreuen in Lybien und ließ Doe ermorden. Die Doe-Anhänger schlagen zurück – bis 1996 taumelt Liberia in einen Bürgerkrieg, in den auch noch Friedenstruppen aus Nigeria hineingezogen werden. Schließlich wählen die Liberianer Taylor zu ihrem Präsidenten. Andernfalls hatte er schon vorsorglich gedroht, den Bürgerkrieg wieder aufzunehmen.
    Danach regiert Taylor das Land so, wie er vorher seine Milizen geführt hatte. Die Taylor-Boys sicherten sich lukrative Posten und fahren heute noch mit dicken Goldketten behängt in neuen japanischen Autos durch die Hauptstadt.

    Die reguläre Armee und die Verwaltung des Landes, selbst einfache Verkehrspolizisten aber gingen leer aus: Beamte sind zum Teil seit 4 Jahren nicht mehr bezahlt worden, die Soldaten zum Teil noch länger nicht.

    Wir sollten die einfachen Dinge anpacken: Leute für ihre Arbeit bezahlen. Die Schulen wieder öffnen und die Lehrer bezahlen, die Krankenschwestern und Ärzte bezahlen, damit die medizinische Hilfe leisten - dann können wir auch den Frieden in Gang bringen.

    Dafür braucht der Vorsitzende Bryant vor allem eines: Geld. Und er braucht es schnell. Das meiste Geld soll aus dem Land selbst kommen, sagt UN-Koordinator Jacques Klein.

    Liberia ist sehr reich. Es ist mit 3,7 Millionen Einwohnern unterbevölkert. Nur 15 % des fruchtbaren Landes Liberias werden landwirtschaftlich genutzt. Es gibt immer noch sehr viel Holz, Eisenerz, Gummi, das Schiffsregister.

    14 Jahre Bürgerkrieg und 7 Jahre Taylor-Herrschaft haben nicht nur Liberias Infrastruktur, sondern auch Liberias Gesellschaft zerstört.

    Liberia ist tabula rasa. Nur 38 % der Menschen hier können lesen und schreiben. Es ist das erste Mal, dass ich in einem Land bin, in dem die jüngere Generation weniger gut ausgebildet ist als ihre Eltern. Die Arbeitslosenquote liegt bei 83 % und kein Lehrer, Beamter oder anderer Staatsangesteller ist in den letzten zwei oder drei Jahren bezahlt worden.

    Die größte Herausforderung wird es sein, 40-50.000 junge Leute zu entwaffnen und demilitarisieren. 70 % dieser Kämpfer sind jünger als 18. ¼ von ihnen sind Frauen. Da haben wir 17Jährige, verheiratet mit einer 14-jährigen, die zusammen ein Kind haben. Das sind Menschen, die gar nicht mehr wissen, was eine Familie ist, welchem Stamm sie angehören, welchen Platz sie in der Gesellschaft haben.


    Welchem Platz in der Gesellschaft sie angehören, wissen die Gestalten, die in der Schieffrin-Kaserne ausharren, nicht so genau. Eigentlich haben sie keinen. Obagolo, Prince Djé und etwas 15 andere junge Männer leben im Hospital der Kaserne. Die Kaserne ist größtenteils verlassen, in einigen Gebäuden hausen Familien und schlagen sich mehr schlecht als recht durch. Auf den Übungsplätzen rosten gepanzerte Fahrzeuge vor sich hin.

    Das Hospital ist ein ebenerdiger Raum ohne Glas in den Fenstern. Keine Decken, keine Matratzen, keine Betten, kaum Essen, kein Arzt. Niemand. Zwar fahren täglich UN-Fahrzeuge hier an der Straße zum Flughafen vorbei, doch keiner hält.

    Ich wurde im 3. Weltkrieg verwundet und dann ins Krankenhaus gebracht, ich habe mir Hände und Beine gebrochen, dann wurde ich zum Präsidialamt gebracht und bevor die neue Regierung übernommen hat, haben sie uns hierher gebracht und seitdem hat uns niemand geholfen.

    Obagolo ist Veteran: heute 27 Jahre alt, kommt aus Bong im Landesinneren und hat seit 13 Jahren in der Taylormiliz gekämpft. Wo seine Eltern sind, weiß er nicht.
    Sein Gipsverband ist schmutzig. Wie die anderen, die mit ihm zusammen im Garten der Executive Mansion gecampt hatten und dann kurz vor der Vereidigung Gyude Bryants hierher gekarrt wurden, hat er sich seit Wochen nicht gewaschen. Sie sind die Loser. Die Fußsoldaten der Taylor-Boys, die es nicht geschafft haben, sich zu bereichern und zu plündern.
    Ich habe nicht für Charles Taylor gekämpft, ich habe nur für Liberia gekämpft. Für Recht, Moral und Gerechtigkeit. Ich habe für mein Land und für mein Volk gekämpft, nicht so sehr für Charles Taylor. Ich weiß nicht, ob das richtig war, aber so ist es nun mal.

    Prince Dje wurde der Unterschenkel amputiert. Er sagt, er sei 23, aber er sieht viel jünger aus. Wie alle anderen auch, will er nur eins: nach hause. Auch wenn er nicht mehr weiß, wo das ist. Er wurde mit 10 Jahren Soldat.

    Das war nicht meine Entscheidung. Wir haben in einem Dorf gelebt. Dann sind die gekommen, haben die Jungen verprügelt, mit genommen und an die Front geschleppt. Nach der ersten Entwaffnung bin ich in Monrovia geblieben, dann haben die Kämpfe wieder angefangen und ich wusste, wie man mit einer Waffe umgeht, also habe ich wieder gekämpft. Ich hatte auch keinen Ort, wo ich hätte hingehen können.

    Die, die glauben, dass sie die Gewinner sind, sitzen auf der anderen Seite der Hauptstadt Monrovias. Auf dem Weg nach Tubmanburg, dem Rebellenhauptquartier, ist General Snow Herr über Clay Junction. Clay Junction war im Sommer wochenlang heftig umkämpft. Hier trifft sich die Straße nach Norden mit der wichtigsten Straße ins Nachbarland Sierra Leone.
    General Snow heißt eigentlich Shaq Kamara, sagt, er sei 23 und hat 4 Jahre für die Rebellen von LURD gekämpft. Er hat 1000 Leute unter seinem Kommando. Kinder mit Kalaschnikows halten an der Straßensperre Autos an – die UN-Blauhelme, die seit Oktober im Land stationiert sind, haben hier nichts zu sagen: sie werden einfach wieder zurück geschickt.

    Vor ein paar Stunden war Snow noch deutlich sichtbar unter Drogeneinfluß und rannte im Regen hin und her, jetzt sitzt er unter einer Plastikplane an Kreuzung und erzählt, wieso er vor Charles Taylor aus seiner Heimat Monrovia geflüchtet ist.

    Er hatte Spezialeinheiten, die nachts Leute aus ihren Häusern holten, und mehrere meiner Freunde waren verhaftet worden und im Gefängnis. Sie wurden verhaftet, weil sie jung und Mandingos waren, und sie hatten sich geweigert, bei Taylor Antiterrorsoldaten zu werden. Mich wollten sie auch holen, und weil sie mich nicht fanden, haben sie meine Schwester, die zu hause war, vergewaltigt und dann bin ich geflohen.

    General Snow ist Mandingo – eine der 16 Volksgruppen des Landes. Die muslimischen Mandingo sind ein Händlervolk, ohne eigenes Territorium. Sie bilden den Kern der LURD-Rebellen, die sich erst vor vier Jahren im Nachbarland Guinea gegründet haben – Snow war mit dabei. Einige sagen, die Mandingo führten den Krieg, um endlich in Liberia anerkannt zu werden.

    Es gibt Hinweise, dass die schnellen Erfolge der LURD-Rebellen auch damit zu tun haben, dass sie von den USA massiv unterstützt wurden – Beweise gibt es nicht, aber Augenzeugen behaupten, LURD-Kämpfer in amerikanischen Hubschraubern gesehen zu haben – und in Guinea an der Grenze zu Liberia arbeiten schon länger Ausbilder der US-Armee – angeblich, um der guineischen Armee Grenzsicherung beizubringen.

    Hauptquartier der LURD ist Tubmanburg: eine frühere Minenstadt etwa 100 Kilometer von Monrovia entfernt im Landesinneren. Schon vor dem Krieg waren die Erzminen erschöpft und wurden geschlossen. Seitdem verfällt Tubmanburg. Jetzt steht hier kaum noch ein Haus unbeschädigt, in den Ruinen leben noch ein paar Menschen.

    800.000 Liberianer, die nicht zurück kommen konnten, unterstützten mich. Sie gaben mir alles, was ich brauchte.

    Sekou Damate Conneh ist Chef von LURD und von US-Unterstützung mag er nichts sagen. Das ist für ihn auch gar nicht wichtig, denn der ganz in Weiß gekleidete Rebellenführer ficht gerade Händel aus mit Gyude Bryant. Es geht um Nominierungen – wichtige Sache, denn es geht um Einfluss – und vor allem um Geld. Jetzt fordert Conneh den Rücktritt Bryants.

    Wir bringen Frieden in dieses Land und w i r sollten an den Entscheidungen beteiligt werden, nicht Gyude Bryant. Das trifft auf jeden Bürger dieses Landes zu. Wir sind bereit zur Entwaffnung, wann immer wir in der Regierung vertreten sind, um Entscheidungen für unser Volk zu treffen.

    LURD sind im Prinzip auch nicht besser als die Mördertruppen Taylor, sagen viele Insider. Zwangsrekrutierungen, Vergewaltigungen, unter Drogen gesetzte Kindersoldaten als Kanonenfutter, Terror gegen die Zivilbevölkerung, und vor allem immer wieder Plünderungen – das sind die Vorwürfe gegen LURD.

    Charles Taylor kam, um das liberianische Volk zu töten und die Blauhelme auch, er nahm das Geld dieses Landes und brachte seine Politiker um, sperrte Leute ins Gefängnis. Wie können Sie nur meine Organisation mit Charles Taylor vergleichen? Wir wollten nicht Präsident werden, er brachte Krieg in alle Nachbarländer, Guinea, Sierra Leone, Elfenbeinküste, wir haben nie Angriffe in Nachbarländern durchgeführt, wir haben niemanden getötet. Leute von uns, die sterben, sterben an der Frontlinie, wir haben nie einen Politiker umgebracht. Wir kamen, um dieses Land zu befreien, wir haben nie Kriegsverbrechen begangen. Wir ermutigen unsere Kämpfer, dass sie in die Schule gehen. Wir haben niemals Kindersoldaten rekrutiert, das waren Freiwillige, die sich bei uns eingeschrieben haben.

    Was LURD unter Frontlinie verstehen, ist im Grenzgebiet zu Guinea zu besichtigen: Lofa-County, einer der größten Bezirke des Landes, ist heute quasi entvölkert. Hilfsorganisationen dringen dort nur selten vor, wenn, berichten sie von verlassenen Dörfern, entvölkerten Städten und unbestellten Feldern.

    Vor Plünderungen und Zwangsrekrutierungen sind die Menschen immer mehr Richtung Küste und Monrovia geflüchtet.

    Gelandet sind sie schließlich in Flüchtlingscamps, die die Hauptstadt umringen. Camps wie Parra zum Beispiel. Die Menschen hier haben alles verloren, was sie jemals hatten. Mani Johnson Zulu, letztes Jahr geflüchtet aus der Gegend von Tubmanburg. Dort war er respektierter Dorfältester und hat Cassava und Reis angebaut.

    Jetzt sind wir hier und wir haben gar nichts, wir leiden, wir haben nicht genügend zu essen, wir haben keine Kleidung, wir haben überhaupt nichts, keine Töpfe, um zu kochen, uns geht es schlecht, keine Toiletten, keine Badezimmer, gar nichts.

    Er und seine Nachbarin Moussi mussten im Sommer auch noch aus dem Flüchtlingslager fliehen – vor den anrückenden LURD-Kämpfern. Sie wurden in die Hölle von Monrovia getrieben. Jetzt sind sie in Notzelten wieder zurück, ihre Hütten waren von anderen Flüchtlingen besetzt worden.

    Moussi, gehört auch mit zu der Gruppe und bittet um Spenden.

    Wenn die Entwaffnung beendet ist, kann ich endlich nach hause. Ich habe keine Angst davor, wieder heimzugehen, aber ich will, dass die Leute vorher entwaffnet werden. Hier geht es uns überhaupt nicht gut.

    In einer Hand hält sie eine Pamphlet der Zeugen Jehovas. Sie verkaufen oder verteilen den Habenichtse ihre Schriften – helfen tun sie nicht.

    In Paynesville, etwa 25 km weiter, leben knapp 1000 Flüchtlinge. Sie kommen aus Lofa County – und bevor sie wieder zurück können, wird es wohl noch 2 oder 3 Jahre dauern, wie Experten schätzen.

    Mitarbeiter des Christlichen Vereins Junger Menschen CVJM versuchen in der Zwischenzeit anzupacken, was in den nächsten Jahren Hauptaufgabe der Liberianer sein wird: Versöhnung und Erziehung zum Frieden.
    Fomi Neegan unterrichtet samstags morgens.

    Wir versuchen, Kindern aus verschiedenen Schichten, verschiedenen Gruppen zusammen zu führen und ihnen eine Kultur des Friedens beizubringen. Wir haben da unterschiedliche Strategien. Manchmal bringen wir sie hier her, und versuchen, sie mit vielen Dingen zu konfrontieren, die sie umgeben. Manchmal machen wir Spiele.

    Heute hat sie Kinder-Zeichnungen mit Kriegserlebnissen dabei.

    Ich habe Leute gesehen, die Gewehre getragen und geschossen haben, und sie haben den anderen gesagt, dass sie ihr Geld wollen.

    Vertriebene, die wieder zurück müssen, bewaffnete Kämpfer, von denen die meisten minderjährige sind, kaum ein Liberianer, der keine Opfer in der Familie hat – ein traumatisiertes Volk, wie viele behaupten.

    Jetzt muss es irgendwie wieder zusammen finden. Nicht überall wird das so einfach gehen wie in Kakata, nordöstlich von Monrovia. Noch im September gab es hier Zusammenstöße zwischen LURD-Kämpfern und Blauhelmsoldaten. Jetzt sind hier Trupps von Jugendlichen unterwegs, um Wege und öffentliche Flächen der Gemeinde von wuchernden Pflanzen und Gestrüpp zu befreien. Ein anderes Programm des CVJM: Einheimische, Flüchtlinge der umliegenden Lager und Ex-Kämpfer sollen zusammen zum Wohl der Allgemeinheit arbeiten.

    Nach dem Waffenstillstand habe ich beschlossen, meine Eltern zu besuchen und als ich hier in Kakata das YMCA-Programm gesehen habe, habe ich mich gemeldet und beschlossen, mich in die Gemeinde einzugliedern und ich finde es gut, für die Gemeinde zu arbeiten und einen Fußballplatz wieder herzustellen, ich habe selbst früher Fußball gespielt, oder Straßen oder Schul- oder Krankenhausgelände wieder herzurichten, in denen meine Brüder und Schwestern sind, das gefällt mir und ich kann dabei die Vergangenheit vergessen.

    Kwai Tuman ist einer der Jugendlichen, die mit ihren Macheten auf die Pflanzen eindreschen. Ein Monat zuvor war er noch unter den LURD-Kämpfern. Mit 12 Jahren wurde er zwangsrekrutiert, an der Grenze zu Guinea, wo bei seinen Großeltern lebte.

    Die Leute wissen, was ich gemacht habe, aber wir haben jetzt alle den Wunsch nach Versöhnung. Was mich angeht: ich habe meine Mutter und meine Brüder hier; vor dem Krieg war ich in der 10. Klasse und ich musste die Schule verlassen wegen des Krieges, und für mich ist es jetzt Zeit, zurück zur Schule zu gehen; meine Eltern können sich das im Moment nicht leisten, und der CVJM gibt mir wenigstens diesen Job.

    In Monrovia wird nicht mehr geschossen. Wenn alles gut geht, sind die UN bald in ganz Liberia stationiert. Wenn alles gut geht, werden in 6 bis 8 Monaten die zwischen 30 und 50 tausend Kämpfer entwaffnet sein. Selten war bei den Liberianern die Hoffnung größer als heute.

    Doch selbst wenn alles gut geht – bis die zerrissenen Seelen der Liberianer heilen, wird es noch ein langer Weg sein.